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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Unterricht sein muß, der hier ertheilt wird. Recht lächerlich aber nimmt es
sich aus. wenn angekündigt wird, daß in einer Stunde wöchentlich "über
die Rhetorik und Beredsamkeit bei den Alten" gehandelt werden wird, oder,
-- immer einmal in der Woche -- "über die Eroberung der griechischen
Welt durch Rom, nebst kritischer Prüfung der Quellen, oder über Lessing,
Goethe, Schiller, Shakespeare! Ist es möglich, in einer so kurz gemessenen
Zeit etwas anderes zu leisten als was jedes Handbuch liefert? Ist es mög¬
lich, über nichtssagende Redensarten und Allgemeinheiten hinauszugehen, und
zwar vor einem Publieum, bei welchem detaillirte Sachkenntniß unmöglich
vorausgesetzt werden kann?

Für wen sind überhaupt die Vorlesungen der I?a<)nie68 ach Isttrss be¬
stimmt? Hier stoßen wir auf eine auffallende Erscheinung: den Ausdruck
6tuäig,ut es lettros, wie es einerseits einen 1ieenei6 und äveteur of Isttres
andererseits einen "Zwäiant es Aron oder of nMioins gibt, hört man nie,
und daraus schon könnte man schließen, daß auch die Sache nicht existirt!
Sehen wir aber weiter, wie es damit steht. Auch hier folgen wir den sta-
tistischen Tabellen, deren Richtigkeit wir aus eigener Anschauung und Er¬
fahrung bezeugen können. Bei der juristischen, bei der medicinischen Facul-
tät finden wir jedesmal die Zahl der Studirenden angegeben nebst der
Summe der erlangten academischen Würden. Bei unseren ?acute6s ass lettres
aber finden wir nur letzteren Posten aufgeführt; diejenigen, welche das vor
dem Eintritt in jede Facultät überhaupt obligatorische Baecalaureatsexamen
bestanden, zweitens diejenigen, welche die den Candidaten der Aggre'gation*)
und der Doctorwürde nothwendige Licenz, endlich das zur Bekleidung einer
academischen Professur unentbehrliche Doctorat selbst erlangt haben. Dazu
kommen die Studirenden des Rechts, welche so lange, bis sie zum Range
eines Licentiaten emporgestiegen sind, jährlich sich zu zwei Vorlesungen der
?s,ente6 ach lettres einschreiben lassen müssen. Unter den 16"") Städten
nämlich, welche eine ^aculeo ach lettres besitzen, gibt es nur fünf, die nicht
auch mit einer Rechtsschule bedacht sind. Das sind also, wenigstens auf dem
Papier, die regelmäßigen Zuhörer der I?s,ollltög ach lettres, die noth-
gedrungenen Candidaten der academischen Würden und die Studirenden
der Rechte: auf eigne, ihnen allein zugehörige Schüler machen sie nicht ein¬
mal Anspruch. Sie sind froh, wenn ihre Vorlesungen von auäiteurs bsns-




*) Die Aggregation enspricht, obwohl weit weniger umfassend, ungefähr dem preußischen,
vor Staatsbehörden bestandenen Oberlchrercxamen; sie gibt das Recht zur Anstellung auf den
Lyceen. Die Levis uorrn-Ah ist die eigentliche Pflanzschule für die ^M'6hos.
-
) Paris, Aix, f Besancon, -^Bordeaux, Caen, -f-Clermont, Dijon, Donai, Grenoble,
5 Lyon, -j-Montpellier, Nancy, Poitiers, Renncs, Straßburg, Toulouse. Dicuil 5 bezeich-
neten Städte haben keine juristische Facultät.

Unterricht sein muß, der hier ertheilt wird. Recht lächerlich aber nimmt es
sich aus. wenn angekündigt wird, daß in einer Stunde wöchentlich „über
die Rhetorik und Beredsamkeit bei den Alten" gehandelt werden wird, oder,
— immer einmal in der Woche — „über die Eroberung der griechischen
Welt durch Rom, nebst kritischer Prüfung der Quellen, oder über Lessing,
Goethe, Schiller, Shakespeare! Ist es möglich, in einer so kurz gemessenen
Zeit etwas anderes zu leisten als was jedes Handbuch liefert? Ist es mög¬
lich, über nichtssagende Redensarten und Allgemeinheiten hinauszugehen, und
zwar vor einem Publieum, bei welchem detaillirte Sachkenntniß unmöglich
vorausgesetzt werden kann?

Für wen sind überhaupt die Vorlesungen der I?a<)nie68 ach Isttrss be¬
stimmt? Hier stoßen wir auf eine auffallende Erscheinung: den Ausdruck
6tuäig,ut es lettros, wie es einerseits einen 1ieenei6 und äveteur of Isttres
andererseits einen «Zwäiant es Aron oder of nMioins gibt, hört man nie,
und daraus schon könnte man schließen, daß auch die Sache nicht existirt!
Sehen wir aber weiter, wie es damit steht. Auch hier folgen wir den sta-
tistischen Tabellen, deren Richtigkeit wir aus eigener Anschauung und Er¬
fahrung bezeugen können. Bei der juristischen, bei der medicinischen Facul-
tät finden wir jedesmal die Zahl der Studirenden angegeben nebst der
Summe der erlangten academischen Würden. Bei unseren ?acute6s ass lettres
aber finden wir nur letzteren Posten aufgeführt; diejenigen, welche das vor
dem Eintritt in jede Facultät überhaupt obligatorische Baecalaureatsexamen
bestanden, zweitens diejenigen, welche die den Candidaten der Aggre'gation*)
und der Doctorwürde nothwendige Licenz, endlich das zur Bekleidung einer
academischen Professur unentbehrliche Doctorat selbst erlangt haben. Dazu
kommen die Studirenden des Rechts, welche so lange, bis sie zum Range
eines Licentiaten emporgestiegen sind, jährlich sich zu zwei Vorlesungen der
?s,ente6 ach lettres einschreiben lassen müssen. Unter den 16"") Städten
nämlich, welche eine ^aculeo ach lettres besitzen, gibt es nur fünf, die nicht
auch mit einer Rechtsschule bedacht sind. Das sind also, wenigstens auf dem
Papier, die regelmäßigen Zuhörer der I?s,ollltög ach lettres, die noth-
gedrungenen Candidaten der academischen Würden und die Studirenden
der Rechte: auf eigne, ihnen allein zugehörige Schüler machen sie nicht ein¬
mal Anspruch. Sie sind froh, wenn ihre Vorlesungen von auäiteurs bsns-




*) Die Aggregation enspricht, obwohl weit weniger umfassend, ungefähr dem preußischen,
vor Staatsbehörden bestandenen Oberlchrercxamen; sie gibt das Recht zur Anstellung auf den
Lyceen. Die Levis uorrn-Ah ist die eigentliche Pflanzschule für die ^M'6hos.
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) Paris, Aix, f Besancon, -^Bordeaux, Caen, -f-Clermont, Dijon, Donai, Grenoble,
5 Lyon, -j-Montpellier, Nancy, Poitiers, Renncs, Straßburg, Toulouse. Dicuil 5 bezeich-
neten Städte haben keine juristische Facultät.
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[0261] Unterricht sein muß, der hier ertheilt wird. Recht lächerlich aber nimmt es sich aus. wenn angekündigt wird, daß in einer Stunde wöchentlich „über die Rhetorik und Beredsamkeit bei den Alten" gehandelt werden wird, oder, — immer einmal in der Woche — „über die Eroberung der griechischen Welt durch Rom, nebst kritischer Prüfung der Quellen, oder über Lessing, Goethe, Schiller, Shakespeare! Ist es möglich, in einer so kurz gemessenen Zeit etwas anderes zu leisten als was jedes Handbuch liefert? Ist es mög¬ lich, über nichtssagende Redensarten und Allgemeinheiten hinauszugehen, und zwar vor einem Publieum, bei welchem detaillirte Sachkenntniß unmöglich vorausgesetzt werden kann? Für wen sind überhaupt die Vorlesungen der I?a<)nie68 ach Isttrss be¬ stimmt? Hier stoßen wir auf eine auffallende Erscheinung: den Ausdruck 6tuäig,ut es lettros, wie es einerseits einen 1ieenei6 und äveteur of Isttres andererseits einen «Zwäiant es Aron oder of nMioins gibt, hört man nie, und daraus schon könnte man schließen, daß auch die Sache nicht existirt! Sehen wir aber weiter, wie es damit steht. Auch hier folgen wir den sta- tistischen Tabellen, deren Richtigkeit wir aus eigener Anschauung und Er¬ fahrung bezeugen können. Bei der juristischen, bei der medicinischen Facul- tät finden wir jedesmal die Zahl der Studirenden angegeben nebst der Summe der erlangten academischen Würden. Bei unseren ?acute6s ass lettres aber finden wir nur letzteren Posten aufgeführt; diejenigen, welche das vor dem Eintritt in jede Facultät überhaupt obligatorische Baecalaureatsexamen bestanden, zweitens diejenigen, welche die den Candidaten der Aggre'gation*) und der Doctorwürde nothwendige Licenz, endlich das zur Bekleidung einer academischen Professur unentbehrliche Doctorat selbst erlangt haben. Dazu kommen die Studirenden des Rechts, welche so lange, bis sie zum Range eines Licentiaten emporgestiegen sind, jährlich sich zu zwei Vorlesungen der ?s,ente6 ach lettres einschreiben lassen müssen. Unter den 16"") Städten nämlich, welche eine ^aculeo ach lettres besitzen, gibt es nur fünf, die nicht auch mit einer Rechtsschule bedacht sind. Das sind also, wenigstens auf dem Papier, die regelmäßigen Zuhörer der I?s,ollltög ach lettres, die noth- gedrungenen Candidaten der academischen Würden und die Studirenden der Rechte: auf eigne, ihnen allein zugehörige Schüler machen sie nicht ein¬ mal Anspruch. Sie sind froh, wenn ihre Vorlesungen von auäiteurs bsns- *) Die Aggregation enspricht, obwohl weit weniger umfassend, ungefähr dem preußischen, vor Staatsbehörden bestandenen Oberlchrercxamen; sie gibt das Recht zur Anstellung auf den Lyceen. Die Levis uorrn-Ah ist die eigentliche Pflanzschule für die ^M'6hos. - ) Paris, Aix, f Besancon, -^Bordeaux, Caen, -f-Clermont, Dijon, Donai, Grenoble, 5 Lyon, -j-Montpellier, Nancy, Poitiers, Renncs, Straßburg, Toulouse. Dicuil 5 bezeich- neten Städte haben keine juristische Facultät.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/261>, abgerufen am 28.09.2024.