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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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wurde und nicht studirt werden konnte, mag Manchem gewagt erscheinen;
wir wollen sie daher durch Thatsachen stützen und erhärten, und dieser Be¬
weis wird uns nicht allzuschwer werden. -- Wir haben vor uns einen statt¬
lichen*) Quartband, in welchem das Ministerium allerhand werthvolle histo¬
rische und statistische Notizen über alle vom Staate abhängigen höheren Un¬
terrichtsanstalten hat vereinigen lassen; hier findet sich alles mögliche Wün-
schenswerthe, von der Geschichte der Facultäten bis zu Nachrichten über die
Gehalte der Lehrer und den Zustand der academischen Gebäulichkeiten. Dieser
sicheren Quelle entnehmen wir die folgenden Angaben.

Die ?g,ente6s ach Isttres (philosophische, historische und philologische
Wissenschaften) wurden an Stelle der alten, von der Revolution aufgehobe¬
nen ?aoult6s Zizs g-res durch das Decret vom 17. März 1808, das die Uni¬
versität überhaupt ins Leben rief, gegründet. Die jetzt noch bestehenden
16 Facultäten datiren alle von jenem Jahre, mit Ausnahme derjenigen zu
Aix in der Provence, die erst 1846 errichtet ward. Seit 1808 aber sind
schon acht eingegangen; der einzige, einfache Grund war Mangel an Lebens¬
kraft. Was nun Zweck und Ziel dieser Anstalten betrifft, so spricht sich das
Statut vom Jahre 1810 klar und verständlich darüber aus: "Die Vorlesun¬
gen der ?s.en1t68 ass lettres bilden die Fortsetzung und Ergänzung der
Lycealstudien," Also werden weder Geschichte noch Philosophie noch Alter-
thumswissenschaft als besonders zu lehrende Disciplinen mit eignen Mitteln
und eigner Methode anerkannt; nur die allgemeine Bildung soll durch diese
Fächer repräsentirt werden, die allgemeine humanistische Bildung, die auf
dem Gymnasium jedem jungen Manne gegeben wird, ohne Rücksicht auf das
specielle Studium, dem er sich später widmen will. Daß jene drei Wissen¬
schaften auf eigne Existenz und Fortbildung Anspruch machen, davon scheint
die neue Institution keine Ahnung zu haben.

Alle ^acute^s clef Isttres sind gleichmäßig mit fünf Lehrstühlen bedacht:
Philosophie, Geschichte, alte, französische und ausländische Literatur. Paris
allein zählt deren elf: Philosophie, Geschichte der Philosophie, alte und neue
Geschichte, Geographie, griechische Literatur, lateinische Poesie und Beredsam¬
keit, französische Poesie und Gelehrsamkeit, ausländische Literatur. Wie hohl,
schablonenmäßig und unzureichend diese Einrichtung ist, sieht man auf den
ersten Blick ein. Wenn man aber bedenkt, daß die Zahl der Vorlesungen
über einen Gegenstand nie zwei wöchentlich übersteigt, in vielen Fällen sogar
sich auf eine beschränkt, wenn man hinzunimmt, daß eine, wohl auch zwei
Professuren auf derselben Facultät längere Zeit unbesetzt bleiben können,
dann erst macht man sich einen Begriff, wie dürftig, wie ärmlich der "höhere"



") LtstistigUL Ah I'snseigllsmont suxöi-ihm-, -- Imprimsris imxörialv 1868.

wurde und nicht studirt werden konnte, mag Manchem gewagt erscheinen;
wir wollen sie daher durch Thatsachen stützen und erhärten, und dieser Be¬
weis wird uns nicht allzuschwer werden. — Wir haben vor uns einen statt¬
lichen*) Quartband, in welchem das Ministerium allerhand werthvolle histo¬
rische und statistische Notizen über alle vom Staate abhängigen höheren Un¬
terrichtsanstalten hat vereinigen lassen; hier findet sich alles mögliche Wün-
schenswerthe, von der Geschichte der Facultäten bis zu Nachrichten über die
Gehalte der Lehrer und den Zustand der academischen Gebäulichkeiten. Dieser
sicheren Quelle entnehmen wir die folgenden Angaben.

Die ?g,ente6s ach Isttres (philosophische, historische und philologische
Wissenschaften) wurden an Stelle der alten, von der Revolution aufgehobe¬
nen ?aoult6s Zizs g-res durch das Decret vom 17. März 1808, das die Uni¬
versität überhaupt ins Leben rief, gegründet. Die jetzt noch bestehenden
16 Facultäten datiren alle von jenem Jahre, mit Ausnahme derjenigen zu
Aix in der Provence, die erst 1846 errichtet ward. Seit 1808 aber sind
schon acht eingegangen; der einzige, einfache Grund war Mangel an Lebens¬
kraft. Was nun Zweck und Ziel dieser Anstalten betrifft, so spricht sich das
Statut vom Jahre 1810 klar und verständlich darüber aus: „Die Vorlesun¬
gen der ?s.en1t68 ass lettres bilden die Fortsetzung und Ergänzung der
Lycealstudien," Also werden weder Geschichte noch Philosophie noch Alter-
thumswissenschaft als besonders zu lehrende Disciplinen mit eignen Mitteln
und eigner Methode anerkannt; nur die allgemeine Bildung soll durch diese
Fächer repräsentirt werden, die allgemeine humanistische Bildung, die auf
dem Gymnasium jedem jungen Manne gegeben wird, ohne Rücksicht auf das
specielle Studium, dem er sich später widmen will. Daß jene drei Wissen¬
schaften auf eigne Existenz und Fortbildung Anspruch machen, davon scheint
die neue Institution keine Ahnung zu haben.

Alle ^acute^s clef Isttres sind gleichmäßig mit fünf Lehrstühlen bedacht:
Philosophie, Geschichte, alte, französische und ausländische Literatur. Paris
allein zählt deren elf: Philosophie, Geschichte der Philosophie, alte und neue
Geschichte, Geographie, griechische Literatur, lateinische Poesie und Beredsam¬
keit, französische Poesie und Gelehrsamkeit, ausländische Literatur. Wie hohl,
schablonenmäßig und unzureichend diese Einrichtung ist, sieht man auf den
ersten Blick ein. Wenn man aber bedenkt, daß die Zahl der Vorlesungen
über einen Gegenstand nie zwei wöchentlich übersteigt, in vielen Fällen sogar
sich auf eine beschränkt, wenn man hinzunimmt, daß eine, wohl auch zwei
Professuren auf derselben Facultät längere Zeit unbesetzt bleiben können,
dann erst macht man sich einen Begriff, wie dürftig, wie ärmlich der „höhere"



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/260>, abgerufen am 29.06.2024.