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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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sie doch nur für schwach begründet halten, wenigstens so lange noch nicht
die angrenzenden Theile des Tiberischen Palastes offen gelegt sind.

Möge dies in nicht zu ferner Zeit geschehen und von glücklichen Funden
begleitet sein. Inzwischen kann der oft genannte Herr stolz darauf sein, daß
durch seinen neuesten Erfolg die Lücke, welche der Mangel an bedeutenden
antiken Wandgemälden im Denkmälerschatze Roms bisher gelassen hatte, in
so glänzender Weise ausgefüllt ist.


-- v--


Die Reform des höheren Unterrichts in Frankreich.*)
II.

Wir schlössen kürzlich unseren Bericht über die Doole ach tantes 6wäss
mit der Behauptung, daß es durch diese neue Anstalt erst wieder möglich
geworden sei, in Frankreich Philologie zu studiren. Es ist nämlich völlig
wahr: seit langer Zeit gab es hier zu Lande kein philologisches, ja auch kein
historisches Studium. Damit soll nun nicht gesagt sein, es habe auch keine
Philologen und keine Historiker gegeben. Einzelne Männer wie Boissonade,
Letronne, Raoul Rochette, um nur unter den Todten einige allbekannte
Namen anzuführen, behaupten eine hervorragende Stellung in der Alter¬
thumswissenschaft, und die letzten Generationen könnten eine ansehnliche Reihe
von Geschichtschreibern aufweisen. Was aber immer noch in Frankreich un¬
bekannt ist, das ist die sichere Tradition der Schule, die vom Lehrer auf
den Schüler übergeht, die dieser wieder seinen Nachfolgern hinterläßt. Die
sich fortwährend vererbende Methode öffnet nicht nur den Weg. den die fol¬
genden Geschlechter von Arbeitern weiter bahnen und erweitern sollen; indem
sie ein festes Band knüpft um alle, welche je nach ihren Kräften, wissen¬
schaftliche Forschung als ihr Lebensziel erwählt, erzeugt sie unter ihnen
eine Solidarität, welche auf allen Gebieten die tiefgehendste Wirkung übt.
Das wissenschaftliche Gewissen, diese eigentlich einzig wahre Religion des
Gelehrten, wurzelt großentheils in diesem Bewußtsein.

In Frankreich aber steht der junge Mann, der sich den philologischen,
archaeologischen oder historischen Studien widmen will, völlig vereinsamt in



*) Siehe Grenzboten v. 31. December 1869.

sie doch nur für schwach begründet halten, wenigstens so lange noch nicht
die angrenzenden Theile des Tiberischen Palastes offen gelegt sind.

Möge dies in nicht zu ferner Zeit geschehen und von glücklichen Funden
begleitet sein. Inzwischen kann der oft genannte Herr stolz darauf sein, daß
durch seinen neuesten Erfolg die Lücke, welche der Mangel an bedeutenden
antiken Wandgemälden im Denkmälerschatze Roms bisher gelassen hatte, in
so glänzender Weise ausgefüllt ist.


— v—


Die Reform des höheren Unterrichts in Frankreich.*)
II.

Wir schlössen kürzlich unseren Bericht über die Doole ach tantes 6wäss
mit der Behauptung, daß es durch diese neue Anstalt erst wieder möglich
geworden sei, in Frankreich Philologie zu studiren. Es ist nämlich völlig
wahr: seit langer Zeit gab es hier zu Lande kein philologisches, ja auch kein
historisches Studium. Damit soll nun nicht gesagt sein, es habe auch keine
Philologen und keine Historiker gegeben. Einzelne Männer wie Boissonade,
Letronne, Raoul Rochette, um nur unter den Todten einige allbekannte
Namen anzuführen, behaupten eine hervorragende Stellung in der Alter¬
thumswissenschaft, und die letzten Generationen könnten eine ansehnliche Reihe
von Geschichtschreibern aufweisen. Was aber immer noch in Frankreich un¬
bekannt ist, das ist die sichere Tradition der Schule, die vom Lehrer auf
den Schüler übergeht, die dieser wieder seinen Nachfolgern hinterläßt. Die
sich fortwährend vererbende Methode öffnet nicht nur den Weg. den die fol¬
genden Geschlechter von Arbeitern weiter bahnen und erweitern sollen; indem
sie ein festes Band knüpft um alle, welche je nach ihren Kräften, wissen¬
schaftliche Forschung als ihr Lebensziel erwählt, erzeugt sie unter ihnen
eine Solidarität, welche auf allen Gebieten die tiefgehendste Wirkung übt.
Das wissenschaftliche Gewissen, diese eigentlich einzig wahre Religion des
Gelehrten, wurzelt großentheils in diesem Bewußtsein.

In Frankreich aber steht der junge Mann, der sich den philologischen,
archaeologischen oder historischen Studien widmen will, völlig vereinsamt in



*) Siehe Grenzboten v. 31. December 1869.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/258>, abgerufen am 29.06.2024.