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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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in sich und von den übrigen in reicher Abwechslung unterschieden; jene Fi¬
guren sind von beträchtlicher Größe, selbst etwas zu groß im Vergleiche mit
den schwachen Ranken, die sie tragen, doch wird dies Mißverhältniß dadurch
gemildert, daß fast alle Flügel haben, mit welchen sie sich zugleich selber zu
halten scheinen. Jedenfalls wird man angesichts ihrer durchaus nicht in den
bitteren einseitigen Tadel einstimmen, mit dem bekanntlich Vitruv als ein
nach alten Regeln geschulter Architect solche und ähnliche gerade zu seiner
Zeit in Aufnahme gekommene Decorationsmotive verfolgt. Freilich machen
sich auch andere phantastische Elemente in den Fresken gerade dieses Zimmers
bemerklich, insofern den Basen der mit Bändern und Masken geschmückten
Säulen dunkle Bärenkrallen vorgelegt und die obern Theile des cocinthischen
Capitells aus Vordertheilen von Pferden componirt sind.

Die Ausschmückung des Mittelzimmers entzieht sich einer ins Einzelne
gehenden Beschreibung wegen ihrer reichen Mannichfaltigkeit, die besonders
dadurch hervorgerufen ist, daß der Künstler in der Mitte einer jeden Wand
ein großes Gemälde dargestellt und, indem er es als einen hinter einem
weiter zurückliegenden Gemache befindlichen Prospect auffaßte, mit mehreren
verschiedenartig gegliederten Umrahmungen versehen hat. Die Gemälde
führen Scenen aus griechischen Mythen vor: Polyphem, dem Amor auf die
Schulter gestiegen ist, während Galathea in Gemeinschaft anderer Nereiden auf
ihrem Seepferde erteilt, dann Hermes, welcher sich der von Argos bewachten
Jo nähert, um sie zu befreien. (Der rechten Seitenwand und einem Theile
der Rückwand war in späterer Zeit eine Mauer vorgesetzt werden; als man
sie forträumte, war die Decoration völlig zerstört). Beide Gemälde sind
anderen schon früher in Pompeji gefundenen im Allgemeinen sehr ähnlich und
gleich ihnen im Geiste einer zarten Ausfassung der Mythen componirt. Po¬
lyphem ist sogar allzu wenig als kyklopischer Unhold charakterisirt und die
Nereiden erscheinen etwas puppenhaft. Bedeutender in Zeichnung und
Farbengebung ist das Jo-Bild, sodaß es mit Recht den vorzüglicheren unter
den pompejanischen Fresken an die Seite gestellt werden darf.

Von gleicher Feinheit erscheinen zwei kleinere in halber Höhe des Zim¬
mers befindliche Gemälde, welche im Gegensatze zu den genannten als Tafel¬
bilder gedacht sind. Der Maler hat sie in ähnlicher Weise, wie es bei den
Altarbildern des Mittelalters der Fall ist, mit fingirten Thüren zum Schließen
versehn. Beide stellen drei Frauen in wenig bewegter Handlung dar; auf
dem einen sind sie beschäftigt, eine Guirlande zu winden, auf dem andern
scheinen sie ein Opfer zu verrichten. Schließlich ist noch ein größeres Bild
neben dem Eckpfeiler der erhaltenen Langseite zu erwähnen: aus einem auch
seiner architektonischen Struktur nach nicht uninteressanter hohen Gebäude
schreitet eine Frau, eine Cultushandlung zu vollziehen, während andere ihr


in sich und von den übrigen in reicher Abwechslung unterschieden; jene Fi¬
guren sind von beträchtlicher Größe, selbst etwas zu groß im Vergleiche mit
den schwachen Ranken, die sie tragen, doch wird dies Mißverhältniß dadurch
gemildert, daß fast alle Flügel haben, mit welchen sie sich zugleich selber zu
halten scheinen. Jedenfalls wird man angesichts ihrer durchaus nicht in den
bitteren einseitigen Tadel einstimmen, mit dem bekanntlich Vitruv als ein
nach alten Regeln geschulter Architect solche und ähnliche gerade zu seiner
Zeit in Aufnahme gekommene Decorationsmotive verfolgt. Freilich machen
sich auch andere phantastische Elemente in den Fresken gerade dieses Zimmers
bemerklich, insofern den Basen der mit Bändern und Masken geschmückten
Säulen dunkle Bärenkrallen vorgelegt und die obern Theile des cocinthischen
Capitells aus Vordertheilen von Pferden componirt sind.

Die Ausschmückung des Mittelzimmers entzieht sich einer ins Einzelne
gehenden Beschreibung wegen ihrer reichen Mannichfaltigkeit, die besonders
dadurch hervorgerufen ist, daß der Künstler in der Mitte einer jeden Wand
ein großes Gemälde dargestellt und, indem er es als einen hinter einem
weiter zurückliegenden Gemache befindlichen Prospect auffaßte, mit mehreren
verschiedenartig gegliederten Umrahmungen versehen hat. Die Gemälde
führen Scenen aus griechischen Mythen vor: Polyphem, dem Amor auf die
Schulter gestiegen ist, während Galathea in Gemeinschaft anderer Nereiden auf
ihrem Seepferde erteilt, dann Hermes, welcher sich der von Argos bewachten
Jo nähert, um sie zu befreien. (Der rechten Seitenwand und einem Theile
der Rückwand war in späterer Zeit eine Mauer vorgesetzt werden; als man
sie forträumte, war die Decoration völlig zerstört). Beide Gemälde sind
anderen schon früher in Pompeji gefundenen im Allgemeinen sehr ähnlich und
gleich ihnen im Geiste einer zarten Ausfassung der Mythen componirt. Po¬
lyphem ist sogar allzu wenig als kyklopischer Unhold charakterisirt und die
Nereiden erscheinen etwas puppenhaft. Bedeutender in Zeichnung und
Farbengebung ist das Jo-Bild, sodaß es mit Recht den vorzüglicheren unter
den pompejanischen Fresken an die Seite gestellt werden darf.

Von gleicher Feinheit erscheinen zwei kleinere in halber Höhe des Zim¬
mers befindliche Gemälde, welche im Gegensatze zu den genannten als Tafel¬
bilder gedacht sind. Der Maler hat sie in ähnlicher Weise, wie es bei den
Altarbildern des Mittelalters der Fall ist, mit fingirten Thüren zum Schließen
versehn. Beide stellen drei Frauen in wenig bewegter Handlung dar; auf
dem einen sind sie beschäftigt, eine Guirlande zu winden, auf dem andern
scheinen sie ein Opfer zu verrichten. Schließlich ist noch ein größeres Bild
neben dem Eckpfeiler der erhaltenen Langseite zu erwähnen: aus einem auch
seiner architektonischen Struktur nach nicht uninteressanter hohen Gebäude
schreitet eine Frau, eine Cultushandlung zu vollziehen, während andere ihr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/254>, abgerufen am 29.06.2024.