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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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zierliches netzförmiges Muster, das jenen Namen veranlaßte. Einfassungen
und Entlastungsbögen der Thüren bestehen aus kleinen Tuffquadern, Ziegel
sind nur an einzelnen wenigen Stellen des weiter zurückliegenden Theiles zum
Bau verwendet. Vitruv, welcher seine Bücher über Architectur dem Augustus
gewidmet hat, gibt an, daß zu seiner Zeit Jedermann mit Vernachlässigung
der älteren festeren Construetionsweise sich dieser netzartigen bediente. Liegt
hierin schon eine ungefähre Zeitbestimmung für den Bau des Hauses, so
führt der durchaus nur auf einfache Mosaikfußböden beschränkte Gebrauch
des Marmors darauf hin, seine Ausschmückung nicht für jünger, als etwa
den Beginn unserer Aera zu halten. Schon einige Jahrzehnte früher fand
die Liebhaberei für das schöne Luxusmaterial Eingang in Rom und es ist
bekannt, daß mehrere auf dem Palatin gelegene Wohnungen von Staats¬
männern der letzten republikanischen Zeit reich damit versehen waren. Das große
Publicum behalf sich mit Nachahmung des bunten Marmors durch Wand¬
malerei, und eine solche Nachahmung, die Vitruv im Allgemeinen als den
Anfang dieser Art Malerei in Rom bezeichnet, findet sich hie und da auch
in dem Hause, welches wir jetzt betreten.

Von jenem Kryptoporticus aus steigt man einige Stufen hinunter in
das sanft abwärts führende, einfach decorirte gewölbte Vestibulum, welches
nach wenigen Schritten sich nach Osten wendet und damit einen vollen Blick
in das Atrium und in drei an der gegenüberliegenden Seite desselben neben
einander gelegene Zimmer gewährt. Dieser Hauptbestandtheil der vorderen
Hälfte des Hauses ist geräumig und in glücklichen Verhältnissen geordnet.
Das Atrium besitzt bet einer Breite von circa vierzig Fuß eine Tiefe von
fünfunddreißig, zwei Pfeiler stützten das jetzt fehlende Dach und halfen zu¬
gleich wohl die Oeffnung bilden, welche Luft und Licht einließ. Die drei
Zimmer haben dieselbe Tiefe wie das Atrium; in seine Breite theilen sie
sich in der Weise, daß der mittlere, die Wände eingerechnet, ungefähr die
eine Hälfte erhielt, die Seitenzimmer die andere zu gleichen Theilen. Unter
einander durch schmale Thüren verbunden sind sie gegen das Atrium völlig
offen. Wer Analogien aufsucht zwischen dem altitalischen Tempel der soge¬
nannten tuscanischen Ordnung und dem römischen Wohnhause und beide auf
einen gemeinsamen architectonischen Grundgedanken zurückführen will, könnte
veranlaßt sein, in den drei Zimmern eine Ähnlichkeit mit den drei Zellen
der capitolinischen Gottheiten zu erkennen, doch war hier sicher nicht eine reli¬
giöse Idee, sondern das Terrain maßgebend für die bezeichnete Disposition.

Alle genannten Räume sind mit Wandmalereien verziert. Der Charakter
sowie die Ausführung dieser Fresken ist von solcher Vortrefflichkeit, daß selbst
nach Durchmusterung der gleichartigen Schätze Hereulaneums und Pompeji's
ein Jeder sie mit hohem Genusse betrachtet. Besonders werden sich Arabi-


zierliches netzförmiges Muster, das jenen Namen veranlaßte. Einfassungen
und Entlastungsbögen der Thüren bestehen aus kleinen Tuffquadern, Ziegel
sind nur an einzelnen wenigen Stellen des weiter zurückliegenden Theiles zum
Bau verwendet. Vitruv, welcher seine Bücher über Architectur dem Augustus
gewidmet hat, gibt an, daß zu seiner Zeit Jedermann mit Vernachlässigung
der älteren festeren Construetionsweise sich dieser netzartigen bediente. Liegt
hierin schon eine ungefähre Zeitbestimmung für den Bau des Hauses, so
führt der durchaus nur auf einfache Mosaikfußböden beschränkte Gebrauch
des Marmors darauf hin, seine Ausschmückung nicht für jünger, als etwa
den Beginn unserer Aera zu halten. Schon einige Jahrzehnte früher fand
die Liebhaberei für das schöne Luxusmaterial Eingang in Rom und es ist
bekannt, daß mehrere auf dem Palatin gelegene Wohnungen von Staats¬
männern der letzten republikanischen Zeit reich damit versehen waren. Das große
Publicum behalf sich mit Nachahmung des bunten Marmors durch Wand¬
malerei, und eine solche Nachahmung, die Vitruv im Allgemeinen als den
Anfang dieser Art Malerei in Rom bezeichnet, findet sich hie und da auch
in dem Hause, welches wir jetzt betreten.

Von jenem Kryptoporticus aus steigt man einige Stufen hinunter in
das sanft abwärts führende, einfach decorirte gewölbte Vestibulum, welches
nach wenigen Schritten sich nach Osten wendet und damit einen vollen Blick
in das Atrium und in drei an der gegenüberliegenden Seite desselben neben
einander gelegene Zimmer gewährt. Dieser Hauptbestandtheil der vorderen
Hälfte des Hauses ist geräumig und in glücklichen Verhältnissen geordnet.
Das Atrium besitzt bet einer Breite von circa vierzig Fuß eine Tiefe von
fünfunddreißig, zwei Pfeiler stützten das jetzt fehlende Dach und halfen zu¬
gleich wohl die Oeffnung bilden, welche Luft und Licht einließ. Die drei
Zimmer haben dieselbe Tiefe wie das Atrium; in seine Breite theilen sie
sich in der Weise, daß der mittlere, die Wände eingerechnet, ungefähr die
eine Hälfte erhielt, die Seitenzimmer die andere zu gleichen Theilen. Unter
einander durch schmale Thüren verbunden sind sie gegen das Atrium völlig
offen. Wer Analogien aufsucht zwischen dem altitalischen Tempel der soge¬
nannten tuscanischen Ordnung und dem römischen Wohnhause und beide auf
einen gemeinsamen architectonischen Grundgedanken zurückführen will, könnte
veranlaßt sein, in den drei Zimmern eine Ähnlichkeit mit den drei Zellen
der capitolinischen Gottheiten zu erkennen, doch war hier sicher nicht eine reli¬
giöse Idee, sondern das Terrain maßgebend für die bezeichnete Disposition.

Alle genannten Räume sind mit Wandmalereien verziert. Der Charakter
sowie die Ausführung dieser Fresken ist von solcher Vortrefflichkeit, daß selbst
nach Durchmusterung der gleichartigen Schätze Hereulaneums und Pompeji's
ein Jeder sie mit hohem Genusse betrachtet. Besonders werden sich Arabi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/252>, abgerufen am 28.09.2024.