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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Die französischen Ausgrabungen auf dem Palatin in Nom.

Der im Herzen des alten Rom gelegene palatinische Hügel ist, wie er
allen Palästen den Namen gab, am bekanntesten durch die großen von Au-
gustus und seinen Nachfolgern zu ihrem Herrschersitze errichteten Bauten.
Zugleich erinnert sich aber auch ein jeder, wie weit seine Geschichte über die
Zeit der Kaiser zurückreicht, wie so manche Tempel allverehrter Gottheiten,
so manche Wohnhäuser hervorragender Staatsmänner der Republik hier
standen, ja wie sich an den Palatin vorzüglich der Name des Stadtgründers
Romulus knüpft. Jetzt ist die Stätte, die der ewigen Rom" zur Wiege
gedient, öde und bietet nur antiquarisches und künstlerisches Interesse. Glanz
und Pracht und mit ihnen der Anspruch auf unbedingte Herrschaft über den
Erdkreis, den Rom nie aufgeben zu können scheint, ist auf einen anderen
Hügel gewandert. Ist es nun auch ein interessantes Schauspiel, welches der
Aatican gerade jetzt bietet, da Roms Kraft sich noch nicht altersschwach
fühlt, sondern zu siegen gedenkt selbst über die gesammte moderne Cultur,
so wird doch, wer in reiner Stimmung bleiben will, auch in diesen Tagen
sich gern vom Vaticane hinweg dem Palatin zuwenden.

Die ganze Gestalt dieses Hügels hat sich im Lause der Zeit ungemein
verändert. Die Form eines Vierecks mit fast gleichen Seiten und ebener
oberer Fläche, welche ihn so regelmäßig erscheinen ließen, war mehr durch
Kunst als durch die Natur hervorgebracht. Die Trümmermassen, die ihn
bedecken, sind so gewaltig, daß auch die neueren Ausgrabungen nur an ein¬
zelnen Stellen bis zu dem Tuff hindurchdringen konnten, woraus er besteht.
Es hat sich dabei sogar herausgestellt, daß er ursprünglich zwei Spitzen hatte,
die eine im Westen, die andere im Osten, welche durch eine Einsattlung in
ähnlicher Weise^ von einander getrennt waren, wie dies bei dem nahen capi-
tolinischen Hügel offen vor Augen liegt. Schon früh aber scheinen Ge¬
bäude dieses Thal ausgefüllt zu haben; denn man sieht dort in der Tiefe
Quadersteinmauern, wie sie bei den Kaiserbauten nicht mehr gebräuchlich waren.
'

Um die Topographie der neueren Ausgrabungen zu verstehen, ist es
nöthig, sich.zu vergegenwärtigen, daß der ganze Hügel jetzt eingenommen


Grenzboten I. 1870. 31
Die französischen Ausgrabungen auf dem Palatin in Nom.

Der im Herzen des alten Rom gelegene palatinische Hügel ist, wie er
allen Palästen den Namen gab, am bekanntesten durch die großen von Au-
gustus und seinen Nachfolgern zu ihrem Herrschersitze errichteten Bauten.
Zugleich erinnert sich aber auch ein jeder, wie weit seine Geschichte über die
Zeit der Kaiser zurückreicht, wie so manche Tempel allverehrter Gottheiten,
so manche Wohnhäuser hervorragender Staatsmänner der Republik hier
standen, ja wie sich an den Palatin vorzüglich der Name des Stadtgründers
Romulus knüpft. Jetzt ist die Stätte, die der ewigen Rom« zur Wiege
gedient, öde und bietet nur antiquarisches und künstlerisches Interesse. Glanz
und Pracht und mit ihnen der Anspruch auf unbedingte Herrschaft über den
Erdkreis, den Rom nie aufgeben zu können scheint, ist auf einen anderen
Hügel gewandert. Ist es nun auch ein interessantes Schauspiel, welches der
Aatican gerade jetzt bietet, da Roms Kraft sich noch nicht altersschwach
fühlt, sondern zu siegen gedenkt selbst über die gesammte moderne Cultur,
so wird doch, wer in reiner Stimmung bleiben will, auch in diesen Tagen
sich gern vom Vaticane hinweg dem Palatin zuwenden.

Die ganze Gestalt dieses Hügels hat sich im Lause der Zeit ungemein
verändert. Die Form eines Vierecks mit fast gleichen Seiten und ebener
oberer Fläche, welche ihn so regelmäßig erscheinen ließen, war mehr durch
Kunst als durch die Natur hervorgebracht. Die Trümmermassen, die ihn
bedecken, sind so gewaltig, daß auch die neueren Ausgrabungen nur an ein¬
zelnen Stellen bis zu dem Tuff hindurchdringen konnten, woraus er besteht.
Es hat sich dabei sogar herausgestellt, daß er ursprünglich zwei Spitzen hatte,
die eine im Westen, die andere im Osten, welche durch eine Einsattlung in
ähnlicher Weise^ von einander getrennt waren, wie dies bei dem nahen capi-
tolinischen Hügel offen vor Augen liegt. Schon früh aber scheinen Ge¬
bäude dieses Thal ausgefüllt zu haben; denn man sieht dort in der Tiefe
Quadersteinmauern, wie sie bei den Kaiserbauten nicht mehr gebräuchlich waren.
'

Um die Topographie der neueren Ausgrabungen zu verstehen, ist es
nöthig, sich.zu vergegenwärtigen, daß der ganze Hügel jetzt eingenommen


Grenzboten I. 1870. 31
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[0247] Die französischen Ausgrabungen auf dem Palatin in Nom. Der im Herzen des alten Rom gelegene palatinische Hügel ist, wie er allen Palästen den Namen gab, am bekanntesten durch die großen von Au- gustus und seinen Nachfolgern zu ihrem Herrschersitze errichteten Bauten. Zugleich erinnert sich aber auch ein jeder, wie weit seine Geschichte über die Zeit der Kaiser zurückreicht, wie so manche Tempel allverehrter Gottheiten, so manche Wohnhäuser hervorragender Staatsmänner der Republik hier standen, ja wie sich an den Palatin vorzüglich der Name des Stadtgründers Romulus knüpft. Jetzt ist die Stätte, die der ewigen Rom« zur Wiege gedient, öde und bietet nur antiquarisches und künstlerisches Interesse. Glanz und Pracht und mit ihnen der Anspruch auf unbedingte Herrschaft über den Erdkreis, den Rom nie aufgeben zu können scheint, ist auf einen anderen Hügel gewandert. Ist es nun auch ein interessantes Schauspiel, welches der Aatican gerade jetzt bietet, da Roms Kraft sich noch nicht altersschwach fühlt, sondern zu siegen gedenkt selbst über die gesammte moderne Cultur, so wird doch, wer in reiner Stimmung bleiben will, auch in diesen Tagen sich gern vom Vaticane hinweg dem Palatin zuwenden. Die ganze Gestalt dieses Hügels hat sich im Lause der Zeit ungemein verändert. Die Form eines Vierecks mit fast gleichen Seiten und ebener oberer Fläche, welche ihn so regelmäßig erscheinen ließen, war mehr durch Kunst als durch die Natur hervorgebracht. Die Trümmermassen, die ihn bedecken, sind so gewaltig, daß auch die neueren Ausgrabungen nur an ein¬ zelnen Stellen bis zu dem Tuff hindurchdringen konnten, woraus er besteht. Es hat sich dabei sogar herausgestellt, daß er ursprünglich zwei Spitzen hatte, die eine im Westen, die andere im Osten, welche durch eine Einsattlung in ähnlicher Weise^ von einander getrennt waren, wie dies bei dem nahen capi- tolinischen Hügel offen vor Augen liegt. Schon früh aber scheinen Ge¬ bäude dieses Thal ausgefüllt zu haben; denn man sieht dort in der Tiefe Quadersteinmauern, wie sie bei den Kaiserbauten nicht mehr gebräuchlich waren. ' Um die Topographie der neueren Ausgrabungen zu verstehen, ist es nöthig, sich.zu vergegenwärtigen, daß der ganze Hügel jetzt eingenommen Grenzboten I. 1870. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/247>, abgerufen am 26.06.2024.