Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die Seele zu nähren und zu erheben. In den lautersten Bildern nur ergeht
sich dieser gottbegabte Genius, und wie schwungvoll, wie immer neu ist seine
Phantasie!

Nächst diesem Componisten ist es Mozart, den man ohne jede Aus¬
nahme der Jugend übergeben kann, nicht nur seine Claviersachen, auch alle
seine Opern; die Zauberflöte und die Entführung zunächst; aber auch die
Musik zu Don Juan und Figaro steht in so idealer Höhe über dem Sujet,
übt eine so verklärende Kraft auf den Hörer, daß alles Gift des Textes nicht
zu ihm dringen kann. Mozart's Don Juan schildert selbst in der Verfüh¬
rungsscene die Verführung nie anders, als durch die dämonische Liebens¬
würdigkeit des Don Juan, und das "Reich mir die Hand mein Leben!" ist
so edel gehalten, wie die ganze Figaro-Musik von harmlosester und ent¬
zückendster Heiterkeit ist. Wie würde solche Situationen ein moderner musi¬
kalischer Realist ausgebeutet haben!

Wir wollen noch für angehende junge Clavierspieler erwähnen, daß unter
der Claviermusik ganze Schätze in Clementi und selbst unter den leichteren
Compositionen von Bach vorhanden und auch für die Jugend genießbar sind.
Und ungleich nützlicher für die Ausbildung des Klavierspielers sind Clementi
und Kramer als alle die modernen, aus diesen nur extraHirten geistlosen
Uebungen, wie z. B. die Schule der Geläufigkeit u. s. w.

Bedenkt man nun den unerschöpflichen Vorrath gedachter und empfunde¬
ner Musik, der in den Clavier-Compositionen mit und ohne Begleitung von
Mozart, Haydn, Bach, den ersten Sonaten von Beethoven und, will man
daneben zu Modernen greifen, in Schubert und Schumann vorliegt (denn
gut ists, auch Modernes kennen zu lernen, um die Größe des Alten zu be¬
greifen, sowie man neben die Pyramiden Häuser baut, damit das Auge die
Höhe erfaßt), wer möchte dann mit faden Salonstücken und mit den frivolen
Melodien Offenbach's die heilige Macht der Musik auf ein junges Gemüth
entweihen lassen! > "

Dies ist unsere pädagogische Ansprache, an Eltern und Lehrer, der sich
auch wohl noch die Mahnung anschließt, mit der Lehre', des Clavierspiels,
wo es thunlich ist, auch einige Kenntniß der Theorie zu verbinden. Schon
das Bewußtsein, daß die Musik zugleich eine Wissenschaft ist, erhöht den
Respect des Dilettanten vor der Kunst und zugleich das tiefere Eindringen,
seine Freude an der Kunst.

Wir empfehlen zu diesem Zweck Mark's vortreffliches und wirklich volks-
thümlich gehaltenes Buch: "Allgemeine Musiklehr'e."




Verantwortliche Redacteure: Gustav Areytag u. Julius Eckardt.
Verlag von F. 'L> Herbig. - Druck von Hüthel H Legler in Leipzig,

die Seele zu nähren und zu erheben. In den lautersten Bildern nur ergeht
sich dieser gottbegabte Genius, und wie schwungvoll, wie immer neu ist seine
Phantasie!

Nächst diesem Componisten ist es Mozart, den man ohne jede Aus¬
nahme der Jugend übergeben kann, nicht nur seine Claviersachen, auch alle
seine Opern; die Zauberflöte und die Entführung zunächst; aber auch die
Musik zu Don Juan und Figaro steht in so idealer Höhe über dem Sujet,
übt eine so verklärende Kraft auf den Hörer, daß alles Gift des Textes nicht
zu ihm dringen kann. Mozart's Don Juan schildert selbst in der Verfüh¬
rungsscene die Verführung nie anders, als durch die dämonische Liebens¬
würdigkeit des Don Juan, und das „Reich mir die Hand mein Leben!" ist
so edel gehalten, wie die ganze Figaro-Musik von harmlosester und ent¬
zückendster Heiterkeit ist. Wie würde solche Situationen ein moderner musi¬
kalischer Realist ausgebeutet haben!

Wir wollen noch für angehende junge Clavierspieler erwähnen, daß unter
der Claviermusik ganze Schätze in Clementi und selbst unter den leichteren
Compositionen von Bach vorhanden und auch für die Jugend genießbar sind.
Und ungleich nützlicher für die Ausbildung des Klavierspielers sind Clementi
und Kramer als alle die modernen, aus diesen nur extraHirten geistlosen
Uebungen, wie z. B. die Schule der Geläufigkeit u. s. w.

Bedenkt man nun den unerschöpflichen Vorrath gedachter und empfunde¬
ner Musik, der in den Clavier-Compositionen mit und ohne Begleitung von
Mozart, Haydn, Bach, den ersten Sonaten von Beethoven und, will man
daneben zu Modernen greifen, in Schubert und Schumann vorliegt (denn
gut ists, auch Modernes kennen zu lernen, um die Größe des Alten zu be¬
greifen, sowie man neben die Pyramiden Häuser baut, damit das Auge die
Höhe erfaßt), wer möchte dann mit faden Salonstücken und mit den frivolen
Melodien Offenbach's die heilige Macht der Musik auf ein junges Gemüth
entweihen lassen! > »

Dies ist unsere pädagogische Ansprache, an Eltern und Lehrer, der sich
auch wohl noch die Mahnung anschließt, mit der Lehre', des Clavierspiels,
wo es thunlich ist, auch einige Kenntniß der Theorie zu verbinden. Schon
das Bewußtsein, daß die Musik zugleich eine Wissenschaft ist, erhöht den
Respect des Dilettanten vor der Kunst und zugleich das tiefere Eindringen,
seine Freude an der Kunst.

Wir empfehlen zu diesem Zweck Mark's vortreffliches und wirklich volks-
thümlich gehaltenes Buch: „Allgemeine Musiklehr'e."




Verantwortliche Redacteure: Gustav Areytag u. Julius Eckardt.
Verlag von F. 'L> Herbig. - Druck von Hüthel H Legler in Leipzig,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0246" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123334"/>
          <p xml:id="ID_675" prev="#ID_674"> die Seele zu nähren und zu erheben. In den lautersten Bildern nur ergeht<lb/>
sich dieser gottbegabte Genius, und wie schwungvoll, wie immer neu ist seine<lb/>
Phantasie!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_676"> Nächst diesem Componisten ist es Mozart, den man ohne jede Aus¬<lb/>
nahme der Jugend übergeben kann, nicht nur seine Claviersachen, auch alle<lb/>
seine Opern; die Zauberflöte und die Entführung zunächst; aber auch die<lb/>
Musik zu Don Juan und Figaro steht in so idealer Höhe über dem Sujet,<lb/>
übt eine so verklärende Kraft auf den Hörer, daß alles Gift des Textes nicht<lb/>
zu ihm dringen kann. Mozart's Don Juan schildert selbst in der Verfüh¬<lb/>
rungsscene die Verführung nie anders, als durch die dämonische Liebens¬<lb/>
würdigkeit des Don Juan, und das &#x201E;Reich mir die Hand mein Leben!" ist<lb/>
so edel gehalten, wie die ganze Figaro-Musik von harmlosester und ent¬<lb/>
zückendster Heiterkeit ist. Wie würde solche Situationen ein moderner musi¬<lb/>
kalischer Realist ausgebeutet haben!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_677"> Wir wollen noch für angehende junge Clavierspieler erwähnen, daß unter<lb/>
der Claviermusik ganze Schätze in Clementi und selbst unter den leichteren<lb/>
Compositionen von Bach vorhanden und auch für die Jugend genießbar sind.<lb/>
Und ungleich nützlicher für die Ausbildung des Klavierspielers sind Clementi<lb/>
und Kramer als alle die modernen, aus diesen nur extraHirten geistlosen<lb/>
Uebungen, wie z. B. die Schule der Geläufigkeit u. s. w.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_678"> Bedenkt man nun den unerschöpflichen Vorrath gedachter und empfunde¬<lb/>
ner Musik, der in den Clavier-Compositionen mit und ohne Begleitung von<lb/>
Mozart, Haydn, Bach, den ersten Sonaten von Beethoven und, will man<lb/>
daneben zu Modernen greifen, in Schubert und Schumann vorliegt (denn<lb/>
gut ists, auch Modernes kennen zu lernen, um die Größe des Alten zu be¬<lb/>
greifen, sowie man neben die Pyramiden Häuser baut, damit das Auge die<lb/>
Höhe erfaßt), wer möchte dann mit faden Salonstücken und mit den frivolen<lb/>
Melodien Offenbach's die heilige Macht der Musik auf ein junges Gemüth<lb/>
entweihen lassen! &gt; »</p><lb/>
          <p xml:id="ID_679"> Dies ist unsere pädagogische Ansprache, an Eltern und Lehrer, der sich<lb/>
auch wohl noch die Mahnung anschließt, mit der Lehre', des Clavierspiels,<lb/>
wo es thunlich ist, auch einige Kenntniß der Theorie zu verbinden. Schon<lb/>
das Bewußtsein, daß die Musik zugleich eine Wissenschaft ist, erhöht den<lb/>
Respect des Dilettanten vor der Kunst und zugleich das tiefere Eindringen,<lb/>
seine Freude an der Kunst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_680"> Wir empfehlen zu diesem Zweck Mark's vortreffliches und wirklich volks-<lb/>
thümlich gehaltenes Buch: &#x201E;Allgemeine Musiklehr'e."</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <note type="byline"> Verantwortliche Redacteure: Gustav Areytag u. Julius Eckardt.<lb/>
Verlag von F. 'L&gt; Herbig. - Druck von Hüthel H Legler in Leipzig,</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0246] die Seele zu nähren und zu erheben. In den lautersten Bildern nur ergeht sich dieser gottbegabte Genius, und wie schwungvoll, wie immer neu ist seine Phantasie! Nächst diesem Componisten ist es Mozart, den man ohne jede Aus¬ nahme der Jugend übergeben kann, nicht nur seine Claviersachen, auch alle seine Opern; die Zauberflöte und die Entführung zunächst; aber auch die Musik zu Don Juan und Figaro steht in so idealer Höhe über dem Sujet, übt eine so verklärende Kraft auf den Hörer, daß alles Gift des Textes nicht zu ihm dringen kann. Mozart's Don Juan schildert selbst in der Verfüh¬ rungsscene die Verführung nie anders, als durch die dämonische Liebens¬ würdigkeit des Don Juan, und das „Reich mir die Hand mein Leben!" ist so edel gehalten, wie die ganze Figaro-Musik von harmlosester und ent¬ zückendster Heiterkeit ist. Wie würde solche Situationen ein moderner musi¬ kalischer Realist ausgebeutet haben! Wir wollen noch für angehende junge Clavierspieler erwähnen, daß unter der Claviermusik ganze Schätze in Clementi und selbst unter den leichteren Compositionen von Bach vorhanden und auch für die Jugend genießbar sind. Und ungleich nützlicher für die Ausbildung des Klavierspielers sind Clementi und Kramer als alle die modernen, aus diesen nur extraHirten geistlosen Uebungen, wie z. B. die Schule der Geläufigkeit u. s. w. Bedenkt man nun den unerschöpflichen Vorrath gedachter und empfunde¬ ner Musik, der in den Clavier-Compositionen mit und ohne Begleitung von Mozart, Haydn, Bach, den ersten Sonaten von Beethoven und, will man daneben zu Modernen greifen, in Schubert und Schumann vorliegt (denn gut ists, auch Modernes kennen zu lernen, um die Größe des Alten zu be¬ greifen, sowie man neben die Pyramiden Häuser baut, damit das Auge die Höhe erfaßt), wer möchte dann mit faden Salonstücken und mit den frivolen Melodien Offenbach's die heilige Macht der Musik auf ein junges Gemüth entweihen lassen! > » Dies ist unsere pädagogische Ansprache, an Eltern und Lehrer, der sich auch wohl noch die Mahnung anschließt, mit der Lehre', des Clavierspiels, wo es thunlich ist, auch einige Kenntniß der Theorie zu verbinden. Schon das Bewußtsein, daß die Musik zugleich eine Wissenschaft ist, erhöht den Respect des Dilettanten vor der Kunst und zugleich das tiefere Eindringen, seine Freude an der Kunst. Wir empfehlen zu diesem Zweck Mark's vortreffliches und wirklich volks- thümlich gehaltenes Buch: „Allgemeine Musiklehr'e." Verantwortliche Redacteure: Gustav Areytag u. Julius Eckardt. Verlag von F. 'L> Herbig. - Druck von Hüthel H Legler in Leipzig,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/246
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/246>, abgerufen am 26.06.2024.