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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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darüber mit der Kammermehrheit zu verfeinden. Selbst wenn die Auflösung
sich als eine Nothwendigkeit herausstellen sollte, wird man lieber einen an¬
deren Stein des Anstoßes wählen. Wenn die Opposition nicht, wie sie jetzt
scheinbar den Anlauf dazu nimmt, das neue Gesetz einfach wieder umwerfen
will, wenn sie vielmehr mit sich handeln läßt, mit Zugeständnissen in der
Präsenzzeit z. B. sich begnügt, warum soll man ihr nicht gleichfalls versöhn¬
lich entgegenkommen? Wenn sie ihre unbedingte Gegnerschaft gegen das
Ministerium aufgiebt, sobald nur der ihr verhaßteste Name aus demselben
entfernt ist, -- wie sie denn bereits zu verstehen gegeben hat, daß sie dann
mit den übrigen Ministern wohl auszukommen hoffe -- warum soll man
ihr nicht den kleinen Gefallen thun? Auf dem Papier bleibt ja dann das
Gesetz gleichwohl aufrecht und lächelnd kann man dieses Papier empor¬
halten, wenn etwa Preußen sich herausnehmen wollte, an den Allianzvertrag
zu erinnern. Man hat sich schon bisher mit Compromissen beholfen, warum
nicht auch weiterhin?

Nur bilde man sich nicht ein, für die Dauer durch dieses eine Opfer die
rasende See beschwichtigen zu können. Ein Zurückweichen von der begonne¬
nen Armeereform -- und dies wäre jener jämmerliche Compromiß -- würde
nicht nur überall als eine Verhöhnung der Allianzverträge aufgefaßt wer¬
den, sondern es könnten auch im Innern verhängnißvolle Rückwirkungen
nicht ausbleiben. Die Macht der Demagogie in Würtemberg würde aufs
Neue constatirt, und der Staat wieder um eine Strecke auf der abschüssigen
Bahn weitergerückt, von der ihn nur eine deutsche Politik zu retten ver¬
mocht hätte. Wer hindert die Volkspartei, durch die ersten Erfolge er-
muthigt, mehr und mehr zu verlangen, bis am Ende der Conflict gleichwohl
unausbleiblich ist, den jenes Compromiß doch nur vertagen, nicht verhin¬
dern kann?

Und noch in anderer Beziehung muß diese Agitation auf das Entsitt-
lichendste wirken. Nennt man das Ding beim rechten Namen, so ist sie
nichts Anderes als ein Appell an die Weichlichkeit der schwäbischen Bevölke¬
rung. Mit diesem weinerlichen Grundmotiv contrastirt nun der großspreche¬
rische Ton, in welchem die Agitation betrieben wird, auf eine geradezu ab¬
stoßende Weise. Eines der beliebtesten Argumente der Volksredner ist dies:
der schwäbische Stamm sei von einer so hervorragenden natürlichen Kriegs¬
tüchtigkeit, daß bei ihm die lange Dressur, die für die halbbarbarischen Völker¬
schaften des Nordens vielleicht passen möge, gänzlich überflüssig sei. Natür¬
lich ist ein solches Argument, das die Eitelkeit zum Bundesgenossen ausruft
und das Gefühl der eigenen Schwäche durch eine selbstgefällige Phrase zum
Schweigen bringt, der allgemeinen Zustimmung sicher. Da tritt dann in
Volksversammlungen zuweilen wohl ein Mög gloriosus von Tauberbischofs-


darüber mit der Kammermehrheit zu verfeinden. Selbst wenn die Auflösung
sich als eine Nothwendigkeit herausstellen sollte, wird man lieber einen an¬
deren Stein des Anstoßes wählen. Wenn die Opposition nicht, wie sie jetzt
scheinbar den Anlauf dazu nimmt, das neue Gesetz einfach wieder umwerfen
will, wenn sie vielmehr mit sich handeln läßt, mit Zugeständnissen in der
Präsenzzeit z. B. sich begnügt, warum soll man ihr nicht gleichfalls versöhn¬
lich entgegenkommen? Wenn sie ihre unbedingte Gegnerschaft gegen das
Ministerium aufgiebt, sobald nur der ihr verhaßteste Name aus demselben
entfernt ist, — wie sie denn bereits zu verstehen gegeben hat, daß sie dann
mit den übrigen Ministern wohl auszukommen hoffe — warum soll man
ihr nicht den kleinen Gefallen thun? Auf dem Papier bleibt ja dann das
Gesetz gleichwohl aufrecht und lächelnd kann man dieses Papier empor¬
halten, wenn etwa Preußen sich herausnehmen wollte, an den Allianzvertrag
zu erinnern. Man hat sich schon bisher mit Compromissen beholfen, warum
nicht auch weiterhin?

Nur bilde man sich nicht ein, für die Dauer durch dieses eine Opfer die
rasende See beschwichtigen zu können. Ein Zurückweichen von der begonne¬
nen Armeereform — und dies wäre jener jämmerliche Compromiß — würde
nicht nur überall als eine Verhöhnung der Allianzverträge aufgefaßt wer¬
den, sondern es könnten auch im Innern verhängnißvolle Rückwirkungen
nicht ausbleiben. Die Macht der Demagogie in Würtemberg würde aufs
Neue constatirt, und der Staat wieder um eine Strecke auf der abschüssigen
Bahn weitergerückt, von der ihn nur eine deutsche Politik zu retten ver¬
mocht hätte. Wer hindert die Volkspartei, durch die ersten Erfolge er-
muthigt, mehr und mehr zu verlangen, bis am Ende der Conflict gleichwohl
unausbleiblich ist, den jenes Compromiß doch nur vertagen, nicht verhin¬
dern kann?

Und noch in anderer Beziehung muß diese Agitation auf das Entsitt-
lichendste wirken. Nennt man das Ding beim rechten Namen, so ist sie
nichts Anderes als ein Appell an die Weichlichkeit der schwäbischen Bevölke¬
rung. Mit diesem weinerlichen Grundmotiv contrastirt nun der großspreche¬
rische Ton, in welchem die Agitation betrieben wird, auf eine geradezu ab¬
stoßende Weise. Eines der beliebtesten Argumente der Volksredner ist dies:
der schwäbische Stamm sei von einer so hervorragenden natürlichen Kriegs¬
tüchtigkeit, daß bei ihm die lange Dressur, die für die halbbarbarischen Völker¬
schaften des Nordens vielleicht passen möge, gänzlich überflüssig sei. Natür¬
lich ist ein solches Argument, das die Eitelkeit zum Bundesgenossen ausruft
und das Gefühl der eigenen Schwäche durch eine selbstgefällige Phrase zum
Schweigen bringt, der allgemeinen Zustimmung sicher. Da tritt dann in
Volksversammlungen zuweilen wohl ein Mög gloriosus von Tauberbischofs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/242>, abgerufen am 26.06.2024.