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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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heim auf und versichert mit unvergleichlicher Naivetät: wie hätten wir die
Preußen zu Paaren getrieben, wenn wir eine Volksmiliz gewesen wären!
Mayer selbst erzählt von der ersten von ihm veranstalteten Versammlung,
daß "ein Bauer, der Unterofficier gewesen, der unsinnig langen Präsenz
gegenüber sich auf seine Erfahrung berief und unter dem Jubel der Ver¬
sammlung behauptete, schon nach 6 Wochen Exercitium würde er mit seinen
Soldaten den Teufel aus der Hölle gejagt haben!" Solches Vramarbasiren
weist aus bedenkliche Schäden in unserem Volksthum. Zunächst sind es aller¬
dings die Agitatoren, die sür so unrühmliche Scenen verantwortlich sind,
indem sie geflissentlich den wilden renommistischen Sinn des Volkes nähren.
Aber wenn das Volk dieselben Agitatoren auf den Schild erhebt und, wie
die letzten Wahlen gezeigt haben, blind ihrer Leitung sich überläßt, so fällt
dadurch doch ein erschreckendes Licht auf den Charakter des Stamms. -- An¬
dere Redner in diesen Versammlungen lieben dann mehr das melodramatische
Fach. Beweglich malt Einer seinen Zuhörern das Bild aus, wie der Sohn
"anstatt der Eltern Stütze zu sein, in der Kaserne den preußischen Stehschritt
lernen muß, um dereinst vielleicht mit einem abgeschossenen Bein nach Hause
zurückzukehren und nachher mit einer Drehorgel im Land umherziehen und
das tägliche Brod erbetteln zu müssen." Wieder ein Anderer versichert allen
Ernstes, es sei die Art des Schwaben, daß er um so "malitiöser und ver¬
stockter" werde, je länger er in der Kaserne sei. Kurz, wer im Detail die
Wirkungen kennen lernen will, welche auf ein groß und frei angelegtes Volk
die Gewöhnung an die kleinstaatliche Wirthschaft ausgeübt hat, dem kann
das Studium dieser schwäbischen "Landesagitation" bestens empfohlen werden.

Was die Haltung der deutschen Partei in der Militärfrage sein wird,
kann nicht zweifelhaft sein. Sie hat geholfen das Kriegsdienstgesetz zu Stande
zu bringen, sie wird auch für seine Erhaltung einstehen; nicht um dem Mi¬
nisterium gefällig zu sein, sondern um eine nationale Pflicht zu erfüllen. In
diesem Sinne hat sie aus einer oberschwäbischen Gauversammlung zu Wald¬
see am 2. Januar einen Beschluß gefaßt, der erwähnt zu werden verdient,
weil es wohl die erste Volksversammlung war, die ausdrücklich sür die neue
Wehrverfassung sich aussprach. Und zwar bestand dieselbe vorzugsweise aus
Landleuten der Umgebung, ein Beweis, daß es allerdings im Volk nicht an
Elementen gefehlt hätte, mit welchen die Regierung, wenn sie nur wollte,
eine ganz andere Stimmung im Lande hätte schaffen können, als sie jetzt in
der radicalen Agitation zu Tage tritt. Die Regierung wollte nicht, weil sie
sich einerseits wieder auf die deutsche Partei verläßt, andererseits aber die
Meinung begünstigt, daß im Grund nur diese Preußen an den Mehrlasten
der neuen Einrichtungen die Schuld tragen. Eine solche Haltung der Re¬
gierung erschwert der deutschen Partei allerdings ihre Pflicht, erleichtert ihr


heim auf und versichert mit unvergleichlicher Naivetät: wie hätten wir die
Preußen zu Paaren getrieben, wenn wir eine Volksmiliz gewesen wären!
Mayer selbst erzählt von der ersten von ihm veranstalteten Versammlung,
daß „ein Bauer, der Unterofficier gewesen, der unsinnig langen Präsenz
gegenüber sich auf seine Erfahrung berief und unter dem Jubel der Ver¬
sammlung behauptete, schon nach 6 Wochen Exercitium würde er mit seinen
Soldaten den Teufel aus der Hölle gejagt haben!" Solches Vramarbasiren
weist aus bedenkliche Schäden in unserem Volksthum. Zunächst sind es aller¬
dings die Agitatoren, die sür so unrühmliche Scenen verantwortlich sind,
indem sie geflissentlich den wilden renommistischen Sinn des Volkes nähren.
Aber wenn das Volk dieselben Agitatoren auf den Schild erhebt und, wie
die letzten Wahlen gezeigt haben, blind ihrer Leitung sich überläßt, so fällt
dadurch doch ein erschreckendes Licht auf den Charakter des Stamms. — An¬
dere Redner in diesen Versammlungen lieben dann mehr das melodramatische
Fach. Beweglich malt Einer seinen Zuhörern das Bild aus, wie der Sohn
„anstatt der Eltern Stütze zu sein, in der Kaserne den preußischen Stehschritt
lernen muß, um dereinst vielleicht mit einem abgeschossenen Bein nach Hause
zurückzukehren und nachher mit einer Drehorgel im Land umherziehen und
das tägliche Brod erbetteln zu müssen." Wieder ein Anderer versichert allen
Ernstes, es sei die Art des Schwaben, daß er um so „malitiöser und ver¬
stockter" werde, je länger er in der Kaserne sei. Kurz, wer im Detail die
Wirkungen kennen lernen will, welche auf ein groß und frei angelegtes Volk
die Gewöhnung an die kleinstaatliche Wirthschaft ausgeübt hat, dem kann
das Studium dieser schwäbischen „Landesagitation" bestens empfohlen werden.

Was die Haltung der deutschen Partei in der Militärfrage sein wird,
kann nicht zweifelhaft sein. Sie hat geholfen das Kriegsdienstgesetz zu Stande
zu bringen, sie wird auch für seine Erhaltung einstehen; nicht um dem Mi¬
nisterium gefällig zu sein, sondern um eine nationale Pflicht zu erfüllen. In
diesem Sinne hat sie aus einer oberschwäbischen Gauversammlung zu Wald¬
see am 2. Januar einen Beschluß gefaßt, der erwähnt zu werden verdient,
weil es wohl die erste Volksversammlung war, die ausdrücklich sür die neue
Wehrverfassung sich aussprach. Und zwar bestand dieselbe vorzugsweise aus
Landleuten der Umgebung, ein Beweis, daß es allerdings im Volk nicht an
Elementen gefehlt hätte, mit welchen die Regierung, wenn sie nur wollte,
eine ganz andere Stimmung im Lande hätte schaffen können, als sie jetzt in
der radicalen Agitation zu Tage tritt. Die Regierung wollte nicht, weil sie
sich einerseits wieder auf die deutsche Partei verläßt, andererseits aber die
Meinung begünstigt, daß im Grund nur diese Preußen an den Mehrlasten
der neuen Einrichtungen die Schuld tragen. Eine solche Haltung der Re¬
gierung erschwert der deutschen Partei allerdings ihre Pflicht, erleichtert ihr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/243>, abgerufen am 26.06.2024.