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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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herabgehe, so weit, daß der Kriegsminister genöthigt sein wird, sein Porte¬
feuille niederzulegen. Denn das ist der eigentliche Zweck der Agitation.

Die ungünstige Lage der Finanzen unterstützt diesen Operationsplan.
Obgleich gerade das Kriegsdepartement durch die geordnetste und Sparsamste
Verwaltung sich auszeichnet, -- es war dem "Beobachter" immer besonders
ärgerlich, daß Herr v. Wagner trotz anerkannt sehr beschränkter Mittel so
Tüchtiges zu leisten vermochte -- ist doch vorauszusehen, daß, wenn an den
Voranschlägen überhaupt noch Reductionen anzubringen sind, diese in erster
Linie dem unpopulärsten Ministerium werden zugemuthet werden. Es lassen
sich auch wirklich ein paarmalhunderttausend Gulden ersparen, wenn man be¬
züglich der Präsenzzeit um ein paar Monate herabgeht. Damit wäre freilich
die ganze Reorganisation in Frage gestellt und die Antwort auf einen solchen
Kammerbeschluß könnte nur sein: entweder Rücktritt des Kriegsministers
oder Auflösung der Kammer.

Auch in diesem Falle rächen sich wieder alte Sünden. Schwerlich hätte
die Volkspartei die Stirn, gegen ein eben erst in Wirksamkeit getretenes
Gesetz die Sturmglocke im Lande zu läuten, wenn sie nicht den Hintergedanken
hätte, daß sie im Stillen mächtige Verbündete besitzt und daß die übrigen
Minister keineswegs von demselben Interesse für die neue Wehrverfassung
beseelt sind als der Kriegsminister. Dieser Hintergedanke mag vielleicht irrig
sein, aber er hat wenigstens seinen Grund. Er kann sich auf die Haltung
stützen, welche die anderen Minister bei der Berathung des Gesetzes in der
Kammer einnahmen. Damals überließ man die Vertheidigung desselben
gegen die radikale Opposition ausschließlich dem Kriegsministerium und der
deutschen Partei. Auf die letztere gedachten die Herrn v. Varnbüler, Goß-
ler, Mittnacht, Golther nebst ihrem Anhang die ganze Unpopularität des
neuen Gesetzes abzuladen. Es kam so weit, daß die deutsche Partei drohte,
sie werde es vor dem ganzen Lande constatiren, daß von ministerieller Seite
auch nicht ein Wort für Vertheidigung der ministeriellen Vorlage gesagt
worden sei. Erst diese Drohung bewog nachträglich noch einige ministerielle
Redner, das Wort zu ergreifen. Die Frage ist also die, ob die Minister
sich diesmal ihres College" wirksamer annehmen werden, als damals, ob sie
die Durchführung der neuen Wehrverfassung zu einer Angelegenheit des Ge-
sammtministeriums zu machen gedenken, eventuell also zur Auflösung der
Kammer entschlossen sind. Wir hätten dann einen um so interessanteren
Conflict, als die Auflösung, zumal wenn sie über die Militärfrage erfolgt,
sicher nicht dem Ministerium zu statten käme.

Allein wer sich die in unseren Regierungskreisen herrschende Strömung
vergegenwärtigt, wird es nicht für wahrscheinlich halten, daß man mit so
hartnäckiger Loyalität an der Heeresreform festhalten wird, um sich gerade


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herabgehe, so weit, daß der Kriegsminister genöthigt sein wird, sein Porte¬
feuille niederzulegen. Denn das ist der eigentliche Zweck der Agitation.

Die ungünstige Lage der Finanzen unterstützt diesen Operationsplan.
Obgleich gerade das Kriegsdepartement durch die geordnetste und Sparsamste
Verwaltung sich auszeichnet, — es war dem „Beobachter" immer besonders
ärgerlich, daß Herr v. Wagner trotz anerkannt sehr beschränkter Mittel so
Tüchtiges zu leisten vermochte — ist doch vorauszusehen, daß, wenn an den
Voranschlägen überhaupt noch Reductionen anzubringen sind, diese in erster
Linie dem unpopulärsten Ministerium werden zugemuthet werden. Es lassen
sich auch wirklich ein paarmalhunderttausend Gulden ersparen, wenn man be¬
züglich der Präsenzzeit um ein paar Monate herabgeht. Damit wäre freilich
die ganze Reorganisation in Frage gestellt und die Antwort auf einen solchen
Kammerbeschluß könnte nur sein: entweder Rücktritt des Kriegsministers
oder Auflösung der Kammer.

Auch in diesem Falle rächen sich wieder alte Sünden. Schwerlich hätte
die Volkspartei die Stirn, gegen ein eben erst in Wirksamkeit getretenes
Gesetz die Sturmglocke im Lande zu läuten, wenn sie nicht den Hintergedanken
hätte, daß sie im Stillen mächtige Verbündete besitzt und daß die übrigen
Minister keineswegs von demselben Interesse für die neue Wehrverfassung
beseelt sind als der Kriegsminister. Dieser Hintergedanke mag vielleicht irrig
sein, aber er hat wenigstens seinen Grund. Er kann sich auf die Haltung
stützen, welche die anderen Minister bei der Berathung des Gesetzes in der
Kammer einnahmen. Damals überließ man die Vertheidigung desselben
gegen die radikale Opposition ausschließlich dem Kriegsministerium und der
deutschen Partei. Auf die letztere gedachten die Herrn v. Varnbüler, Goß-
ler, Mittnacht, Golther nebst ihrem Anhang die ganze Unpopularität des
neuen Gesetzes abzuladen. Es kam so weit, daß die deutsche Partei drohte,
sie werde es vor dem ganzen Lande constatiren, daß von ministerieller Seite
auch nicht ein Wort für Vertheidigung der ministeriellen Vorlage gesagt
worden sei. Erst diese Drohung bewog nachträglich noch einige ministerielle
Redner, das Wort zu ergreifen. Die Frage ist also die, ob die Minister
sich diesmal ihres College« wirksamer annehmen werden, als damals, ob sie
die Durchführung der neuen Wehrverfassung zu einer Angelegenheit des Ge-
sammtministeriums zu machen gedenken, eventuell also zur Auflösung der
Kammer entschlossen sind. Wir hätten dann einen um so interessanteren
Conflict, als die Auflösung, zumal wenn sie über die Militärfrage erfolgt,
sicher nicht dem Ministerium zu statten käme.

Allein wer sich die in unseren Regierungskreisen herrschende Strömung
vergegenwärtigt, wird es nicht für wahrscheinlich halten, daß man mit so
hartnäckiger Loyalität an der Heeresreform festhalten wird, um sich gerade


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[0241] herabgehe, so weit, daß der Kriegsminister genöthigt sein wird, sein Porte¬ feuille niederzulegen. Denn das ist der eigentliche Zweck der Agitation. Die ungünstige Lage der Finanzen unterstützt diesen Operationsplan. Obgleich gerade das Kriegsdepartement durch die geordnetste und Sparsamste Verwaltung sich auszeichnet, — es war dem „Beobachter" immer besonders ärgerlich, daß Herr v. Wagner trotz anerkannt sehr beschränkter Mittel so Tüchtiges zu leisten vermochte — ist doch vorauszusehen, daß, wenn an den Voranschlägen überhaupt noch Reductionen anzubringen sind, diese in erster Linie dem unpopulärsten Ministerium werden zugemuthet werden. Es lassen sich auch wirklich ein paarmalhunderttausend Gulden ersparen, wenn man be¬ züglich der Präsenzzeit um ein paar Monate herabgeht. Damit wäre freilich die ganze Reorganisation in Frage gestellt und die Antwort auf einen solchen Kammerbeschluß könnte nur sein: entweder Rücktritt des Kriegsministers oder Auflösung der Kammer. Auch in diesem Falle rächen sich wieder alte Sünden. Schwerlich hätte die Volkspartei die Stirn, gegen ein eben erst in Wirksamkeit getretenes Gesetz die Sturmglocke im Lande zu läuten, wenn sie nicht den Hintergedanken hätte, daß sie im Stillen mächtige Verbündete besitzt und daß die übrigen Minister keineswegs von demselben Interesse für die neue Wehrverfassung beseelt sind als der Kriegsminister. Dieser Hintergedanke mag vielleicht irrig sein, aber er hat wenigstens seinen Grund. Er kann sich auf die Haltung stützen, welche die anderen Minister bei der Berathung des Gesetzes in der Kammer einnahmen. Damals überließ man die Vertheidigung desselben gegen die radikale Opposition ausschließlich dem Kriegsministerium und der deutschen Partei. Auf die letztere gedachten die Herrn v. Varnbüler, Goß- ler, Mittnacht, Golther nebst ihrem Anhang die ganze Unpopularität des neuen Gesetzes abzuladen. Es kam so weit, daß die deutsche Partei drohte, sie werde es vor dem ganzen Lande constatiren, daß von ministerieller Seite auch nicht ein Wort für Vertheidigung der ministeriellen Vorlage gesagt worden sei. Erst diese Drohung bewog nachträglich noch einige ministerielle Redner, das Wort zu ergreifen. Die Frage ist also die, ob die Minister sich diesmal ihres College« wirksamer annehmen werden, als damals, ob sie die Durchführung der neuen Wehrverfassung zu einer Angelegenheit des Ge- sammtministeriums zu machen gedenken, eventuell also zur Auflösung der Kammer entschlossen sind. Wir hätten dann einen um so interessanteren Conflict, als die Auflösung, zumal wenn sie über die Militärfrage erfolgt, sicher nicht dem Ministerium zu statten käme. Allein wer sich die in unseren Regierungskreisen herrschende Strömung vergegenwärtigt, wird es nicht für wahrscheinlich halten, daß man mit so hartnäckiger Loyalität an der Heeresreform festhalten wird, um sich gerade 30"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/241>, abgerufen am 26.06.2024.