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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Privilegium des Reichthums gefallen ist, daß der Soldat schon nach drei¬
jähriger Dienstzeit -- während früher nach sechsjähriger -- sich einen häus¬
lichen Heerd gründen kann und die Wohlthat des Freiwilltgeninstituts, die
hier so weit als möglich ausgedehnt worden ist. Eine Generation, in
welcher die ganze männliche Jugend in Reih und Glied gestanden ist und
die Angehörigen der besseren Stände die Vorbildung für das Landwehr-
offieierspatent sich erworben haben, wird vor den dictatorischen Befehlen des
Herrn Mayer allerdings wenig Respect mehr besitzen. Und dies fühlen die
Leiter der Volkspartei. Es ist Gefahr im Verzüge. Und es gilt eine Kammer
zu benutzen, in der man auf eine Mehrheit rechnen kann, die eben durch jene
persönliche Beseitigung der einzelnen Abgeordneten noch gesichert werden soll.

Dennoch ist nicht anzunehmen, daß die Volkspartei wirklich die Meinung
hege, "das Fluchgesetz" durch ihre Adressen wieder aus der Welt schaffen zu
können. Dem Publicum der Volksversammlungen hält sie allerdings die un¬
widerstehliche Perspective eines Gesetzes vor, welches den Dienst der Waffen
zu einem gemüthlichen Spiel für die Mußestunden machen würde. Aber sie
selbst weiß doch wohl, daß ein Gesetz, das gegen die Volkspartei zu Stande
gekommen ist, nicht auf den Wunsch der VoWpartei nach 1^ jährigem Be¬
stand wieder umgestoßen wird und daß zu seiner Beseitigung auch die an¬
deren gesetzgeberischen Factoren gehören, die Krone und die Erste Kammer,
auf deren Zustimmung nicht zu rechnen ist. Allein wenn das Gesetz nicht
beseitigt werden kann, so läßt es sich doch illusorisch machen durch das Budget¬
recht der Abgeordnetenkammer.

Schon auf dem Landtage von 1868 stand es auf dem Punkte, daß die
Militärreform scheiterte, weil, nachdem die Kammer das Gesetz bereits geneh¬
migt hatte, sie die Mittel nicht bewilligen wollte, es zur Wahrheit zu machen.
Das Gesetz ist zunächst nur ein ganz idealer Rahmen, der erst durch die
mehr oder weniger gnädige Laune einer Kammermehrheit eine mehr oder
weniger entsprechende Ausfüllung erhält. Von drei zu drei Jahren, nämlich
von einer Budgetperiode zur andern, hat die Kammer sowohl die Mittel für
die Dauer der Präsenz zu verwilligen, wie die Höhe der jährlichen Aus¬
hebung zu bestimmen. Im Jahr 1868 kam es nach langem Markten zu
einem Compromiß, bei dem ziemlich tief unter die ursprünglichen Forderungen
des Kriegsministers herabgegangen wurde, das aber diesem immerhin wenig¬
stens noch annehmbar schien. Nachdem im Gesetz für die Präsenzzeit ein
höchstes Maß von zwei Jahren festgesetzt war, wurden die Mittel nur für
18 Monate Präsenz bewilligt und die Höhe des Friedenscontingents auf
t/z Proc. der Bevölkerung bestimmt. Jetzt hofft die Volkspartei durch ihre
selbstgefällig betriebene Agitation so viel zu erreichen, daß die Mehrheit, ein¬
geschüchtert durch die Massenadressen, noch weiter in ihren Bewilligungen


Privilegium des Reichthums gefallen ist, daß der Soldat schon nach drei¬
jähriger Dienstzeit — während früher nach sechsjähriger — sich einen häus¬
lichen Heerd gründen kann und die Wohlthat des Freiwilltgeninstituts, die
hier so weit als möglich ausgedehnt worden ist. Eine Generation, in
welcher die ganze männliche Jugend in Reih und Glied gestanden ist und
die Angehörigen der besseren Stände die Vorbildung für das Landwehr-
offieierspatent sich erworben haben, wird vor den dictatorischen Befehlen des
Herrn Mayer allerdings wenig Respect mehr besitzen. Und dies fühlen die
Leiter der Volkspartei. Es ist Gefahr im Verzüge. Und es gilt eine Kammer
zu benutzen, in der man auf eine Mehrheit rechnen kann, die eben durch jene
persönliche Beseitigung der einzelnen Abgeordneten noch gesichert werden soll.

Dennoch ist nicht anzunehmen, daß die Volkspartei wirklich die Meinung
hege, „das Fluchgesetz" durch ihre Adressen wieder aus der Welt schaffen zu
können. Dem Publicum der Volksversammlungen hält sie allerdings die un¬
widerstehliche Perspective eines Gesetzes vor, welches den Dienst der Waffen
zu einem gemüthlichen Spiel für die Mußestunden machen würde. Aber sie
selbst weiß doch wohl, daß ein Gesetz, das gegen die Volkspartei zu Stande
gekommen ist, nicht auf den Wunsch der VoWpartei nach 1^ jährigem Be¬
stand wieder umgestoßen wird und daß zu seiner Beseitigung auch die an¬
deren gesetzgeberischen Factoren gehören, die Krone und die Erste Kammer,
auf deren Zustimmung nicht zu rechnen ist. Allein wenn das Gesetz nicht
beseitigt werden kann, so läßt es sich doch illusorisch machen durch das Budget¬
recht der Abgeordnetenkammer.

Schon auf dem Landtage von 1868 stand es auf dem Punkte, daß die
Militärreform scheiterte, weil, nachdem die Kammer das Gesetz bereits geneh¬
migt hatte, sie die Mittel nicht bewilligen wollte, es zur Wahrheit zu machen.
Das Gesetz ist zunächst nur ein ganz idealer Rahmen, der erst durch die
mehr oder weniger gnädige Laune einer Kammermehrheit eine mehr oder
weniger entsprechende Ausfüllung erhält. Von drei zu drei Jahren, nämlich
von einer Budgetperiode zur andern, hat die Kammer sowohl die Mittel für
die Dauer der Präsenz zu verwilligen, wie die Höhe der jährlichen Aus¬
hebung zu bestimmen. Im Jahr 1868 kam es nach langem Markten zu
einem Compromiß, bei dem ziemlich tief unter die ursprünglichen Forderungen
des Kriegsministers herabgegangen wurde, das aber diesem immerhin wenig¬
stens noch annehmbar schien. Nachdem im Gesetz für die Präsenzzeit ein
höchstes Maß von zwei Jahren festgesetzt war, wurden die Mittel nur für
18 Monate Präsenz bewilligt und die Höhe des Friedenscontingents auf
t/z Proc. der Bevölkerung bestimmt. Jetzt hofft die Volkspartei durch ihre
selbstgefällig betriebene Agitation so viel zu erreichen, daß die Mehrheit, ein¬
geschüchtert durch die Massenadressen, noch weiter in ihren Bewilligungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/240>, abgerufen am 26.06.2024.