Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

völkerung besonders ausgebildet erscheint. Außer dem Appell an die private
Bequemlichkeit wendet sich die Agitation noch an die Nachklänge jener Ge¬
sinnung, welche im Heer den natürlichen Feind des Volks erblickte, jener Ge¬
sinnung, die immer ein wesentliches Moment des süddeutschen Liberalismus
gewesen ist, und die bekannten Vorschläge für allgemeine Volksbewaffnung.
Jugendwehren u. tgi. hervorgetrieben hat, In Schwaben hat sich neben den
anderen Zügen jener Anschauung der 30er und 40 er Jahre auch dieser Zug
am reinsten und zähesten bewahrt. Und das Jahr 1866 hat in diesen Krei¬
sen keine andere Bedeutung, als daß es "Deutschland zertrümmert" und
Würtemberg in die glückliche Lage der Volkssouveränetät gebracht hat.
Warum soll dieses souveräne Land, wofern es überhaupt ein Heer braucht,
nicht diejenigen Heereseinrichtungen sich geben, die ihm am bequemsten und
seinen Stammeseigenthümlichkeiten am entsprechendsten sind ? Was gehen uns
die Nachbarn an? Mögen sie sich durch den Militarismus ruiniren. wenn
es ihnen Vergnügen macht, aber uns ungeschoren lassen. Und ist uns nicht
der Schweizer eben so gut ein Nachbar wie der Badener und der Bayer und
vollends als der Preuße? Allerdings sind nun die fatalen Verträge da, mit
denen ein neuer Versuch gemacht worden ist. das freie Land in Bande zu
schlagen. Aber eben gegen diesen Versuch gilt es jetzt mit aller Kraft sich
zu wehren. Bevor die Schlinge uns vollends über den Hals geworfen wird,
müssen wir sie zerreißen. Hat Bismarck das einige Deutschland zertrümmert,
so geschieht es ihm ganz recht, daß wir nun vollends gar nichts mehr von
Deutschland wissen wollen. Mit einem Wort, das angebahnte Werk der
Einigung soll rückgängig gemacht werden; ein Mittel dazu ist eben die Agi¬
tation gegen das Kriegsdienstgesetz.

Es ist ein sprechendes Zeugniß für die Bedeutung der neuen Wehr¬
verfassung, daß die Volkspartei ihre Agitationsmittel zu einem großen letzten
Versuche gegen dieselbe aufrafft. So kurz diese Verfassung in Wirksamkeit
ist, so klar sind doch ihre Wirkungen vorauszusehen. Das Militärwesen ist
das einzige Gebiet, aus dem auch in Würtemberg mit dem Anschluß an
Norddeutschland Ernst gemacht wurde, und wenn dennoch keine völlige Ueberein¬
stimmung erzielt worden ist. so trägt daran wenigstens das Kriegsdepartement
nicht die Schuld. Je mehr das allerdings in alle bürgerliche Verhältnisse
eingreifende System sich einlebt, um so mehr gewöhnt sich die Bevölkerung
an den Gedanken, daß sie zu dem Ganzen gehört, mit dem sie durch dasselbe
Wehrsystem verbunden ist. Und schon jetzt ist es mit geringerem Widerstand
in die Wirklichkeit geführt worden, als man Anfangs hoffen durfte. Trotz
aller Agitationen werden sich mit der Zeit die greifbar wohlthätigen Neue¬
rungen fühlbar machen: daß mit der Beseitigung der Stellvertretung das


Grenzlwtcn I. 1"70 W

völkerung besonders ausgebildet erscheint. Außer dem Appell an die private
Bequemlichkeit wendet sich die Agitation noch an die Nachklänge jener Ge¬
sinnung, welche im Heer den natürlichen Feind des Volks erblickte, jener Ge¬
sinnung, die immer ein wesentliches Moment des süddeutschen Liberalismus
gewesen ist, und die bekannten Vorschläge für allgemeine Volksbewaffnung.
Jugendwehren u. tgi. hervorgetrieben hat, In Schwaben hat sich neben den
anderen Zügen jener Anschauung der 30er und 40 er Jahre auch dieser Zug
am reinsten und zähesten bewahrt. Und das Jahr 1866 hat in diesen Krei¬
sen keine andere Bedeutung, als daß es „Deutschland zertrümmert" und
Würtemberg in die glückliche Lage der Volkssouveränetät gebracht hat.
Warum soll dieses souveräne Land, wofern es überhaupt ein Heer braucht,
nicht diejenigen Heereseinrichtungen sich geben, die ihm am bequemsten und
seinen Stammeseigenthümlichkeiten am entsprechendsten sind ? Was gehen uns
die Nachbarn an? Mögen sie sich durch den Militarismus ruiniren. wenn
es ihnen Vergnügen macht, aber uns ungeschoren lassen. Und ist uns nicht
der Schweizer eben so gut ein Nachbar wie der Badener und der Bayer und
vollends als der Preuße? Allerdings sind nun die fatalen Verträge da, mit
denen ein neuer Versuch gemacht worden ist. das freie Land in Bande zu
schlagen. Aber eben gegen diesen Versuch gilt es jetzt mit aller Kraft sich
zu wehren. Bevor die Schlinge uns vollends über den Hals geworfen wird,
müssen wir sie zerreißen. Hat Bismarck das einige Deutschland zertrümmert,
so geschieht es ihm ganz recht, daß wir nun vollends gar nichts mehr von
Deutschland wissen wollen. Mit einem Wort, das angebahnte Werk der
Einigung soll rückgängig gemacht werden; ein Mittel dazu ist eben die Agi¬
tation gegen das Kriegsdienstgesetz.

Es ist ein sprechendes Zeugniß für die Bedeutung der neuen Wehr¬
verfassung, daß die Volkspartei ihre Agitationsmittel zu einem großen letzten
Versuche gegen dieselbe aufrafft. So kurz diese Verfassung in Wirksamkeit
ist, so klar sind doch ihre Wirkungen vorauszusehen. Das Militärwesen ist
das einzige Gebiet, aus dem auch in Würtemberg mit dem Anschluß an
Norddeutschland Ernst gemacht wurde, und wenn dennoch keine völlige Ueberein¬
stimmung erzielt worden ist. so trägt daran wenigstens das Kriegsdepartement
nicht die Schuld. Je mehr das allerdings in alle bürgerliche Verhältnisse
eingreifende System sich einlebt, um so mehr gewöhnt sich die Bevölkerung
an den Gedanken, daß sie zu dem Ganzen gehört, mit dem sie durch dasselbe
Wehrsystem verbunden ist. Und schon jetzt ist es mit geringerem Widerstand
in die Wirklichkeit geführt worden, als man Anfangs hoffen durfte. Trotz
aller Agitationen werden sich mit der Zeit die greifbar wohlthätigen Neue¬
rungen fühlbar machen: daß mit der Beseitigung der Stellvertretung das


Grenzlwtcn I. 1»70 W
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123327"/>
          <p xml:id="ID_655" prev="#ID_654"> völkerung besonders ausgebildet erscheint. Außer dem Appell an die private<lb/>
Bequemlichkeit wendet sich die Agitation noch an die Nachklänge jener Ge¬<lb/>
sinnung, welche im Heer den natürlichen Feind des Volks erblickte, jener Ge¬<lb/>
sinnung, die immer ein wesentliches Moment des süddeutschen Liberalismus<lb/>
gewesen ist, und die bekannten Vorschläge für allgemeine Volksbewaffnung.<lb/>
Jugendwehren u. tgi. hervorgetrieben hat, In Schwaben hat sich neben den<lb/>
anderen Zügen jener Anschauung der 30er und 40 er Jahre auch dieser Zug<lb/>
am reinsten und zähesten bewahrt. Und das Jahr 1866 hat in diesen Krei¬<lb/>
sen keine andere Bedeutung, als daß es &#x201E;Deutschland zertrümmert" und<lb/>
Würtemberg in die glückliche Lage der Volkssouveränetät gebracht hat.<lb/>
Warum soll dieses souveräne Land, wofern es überhaupt ein Heer braucht,<lb/>
nicht diejenigen Heereseinrichtungen sich geben, die ihm am bequemsten und<lb/>
seinen Stammeseigenthümlichkeiten am entsprechendsten sind ? Was gehen uns<lb/>
die Nachbarn an? Mögen sie sich durch den Militarismus ruiniren. wenn<lb/>
es ihnen Vergnügen macht, aber uns ungeschoren lassen. Und ist uns nicht<lb/>
der Schweizer eben so gut ein Nachbar wie der Badener und der Bayer und<lb/>
vollends als der Preuße? Allerdings sind nun die fatalen Verträge da, mit<lb/>
denen ein neuer Versuch gemacht worden ist. das freie Land in Bande zu<lb/>
schlagen. Aber eben gegen diesen Versuch gilt es jetzt mit aller Kraft sich<lb/>
zu wehren. Bevor die Schlinge uns vollends über den Hals geworfen wird,<lb/>
müssen wir sie zerreißen. Hat Bismarck das einige Deutschland zertrümmert,<lb/>
so geschieht es ihm ganz recht, daß wir nun vollends gar nichts mehr von<lb/>
Deutschland wissen wollen. Mit einem Wort, das angebahnte Werk der<lb/>
Einigung soll rückgängig gemacht werden; ein Mittel dazu ist eben die Agi¬<lb/>
tation gegen das Kriegsdienstgesetz.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_656" next="#ID_657"> Es ist ein sprechendes Zeugniß für die Bedeutung der neuen Wehr¬<lb/>
verfassung, daß die Volkspartei ihre Agitationsmittel zu einem großen letzten<lb/>
Versuche gegen dieselbe aufrafft. So kurz diese Verfassung in Wirksamkeit<lb/>
ist, so klar sind doch ihre Wirkungen vorauszusehen. Das Militärwesen ist<lb/>
das einzige Gebiet, aus dem auch in Würtemberg mit dem Anschluß an<lb/>
Norddeutschland Ernst gemacht wurde, und wenn dennoch keine völlige Ueberein¬<lb/>
stimmung erzielt worden ist. so trägt daran wenigstens das Kriegsdepartement<lb/>
nicht die Schuld. Je mehr das allerdings in alle bürgerliche Verhältnisse<lb/>
eingreifende System sich einlebt, um so mehr gewöhnt sich die Bevölkerung<lb/>
an den Gedanken, daß sie zu dem Ganzen gehört, mit dem sie durch dasselbe<lb/>
Wehrsystem verbunden ist. Und schon jetzt ist es mit geringerem Widerstand<lb/>
in die Wirklichkeit geführt worden, als man Anfangs hoffen durfte. Trotz<lb/>
aller Agitationen werden sich mit der Zeit die greifbar wohlthätigen Neue¬<lb/>
rungen fühlbar machen: daß mit der Beseitigung der Stellvertretung das</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzlwtcn I. 1»70 W</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0239] völkerung besonders ausgebildet erscheint. Außer dem Appell an die private Bequemlichkeit wendet sich die Agitation noch an die Nachklänge jener Ge¬ sinnung, welche im Heer den natürlichen Feind des Volks erblickte, jener Ge¬ sinnung, die immer ein wesentliches Moment des süddeutschen Liberalismus gewesen ist, und die bekannten Vorschläge für allgemeine Volksbewaffnung. Jugendwehren u. tgi. hervorgetrieben hat, In Schwaben hat sich neben den anderen Zügen jener Anschauung der 30er und 40 er Jahre auch dieser Zug am reinsten und zähesten bewahrt. Und das Jahr 1866 hat in diesen Krei¬ sen keine andere Bedeutung, als daß es „Deutschland zertrümmert" und Würtemberg in die glückliche Lage der Volkssouveränetät gebracht hat. Warum soll dieses souveräne Land, wofern es überhaupt ein Heer braucht, nicht diejenigen Heereseinrichtungen sich geben, die ihm am bequemsten und seinen Stammeseigenthümlichkeiten am entsprechendsten sind ? Was gehen uns die Nachbarn an? Mögen sie sich durch den Militarismus ruiniren. wenn es ihnen Vergnügen macht, aber uns ungeschoren lassen. Und ist uns nicht der Schweizer eben so gut ein Nachbar wie der Badener und der Bayer und vollends als der Preuße? Allerdings sind nun die fatalen Verträge da, mit denen ein neuer Versuch gemacht worden ist. das freie Land in Bande zu schlagen. Aber eben gegen diesen Versuch gilt es jetzt mit aller Kraft sich zu wehren. Bevor die Schlinge uns vollends über den Hals geworfen wird, müssen wir sie zerreißen. Hat Bismarck das einige Deutschland zertrümmert, so geschieht es ihm ganz recht, daß wir nun vollends gar nichts mehr von Deutschland wissen wollen. Mit einem Wort, das angebahnte Werk der Einigung soll rückgängig gemacht werden; ein Mittel dazu ist eben die Agi¬ tation gegen das Kriegsdienstgesetz. Es ist ein sprechendes Zeugniß für die Bedeutung der neuen Wehr¬ verfassung, daß die Volkspartei ihre Agitationsmittel zu einem großen letzten Versuche gegen dieselbe aufrafft. So kurz diese Verfassung in Wirksamkeit ist, so klar sind doch ihre Wirkungen vorauszusehen. Das Militärwesen ist das einzige Gebiet, aus dem auch in Würtemberg mit dem Anschluß an Norddeutschland Ernst gemacht wurde, und wenn dennoch keine völlige Ueberein¬ stimmung erzielt worden ist. so trägt daran wenigstens das Kriegsdepartement nicht die Schuld. Je mehr das allerdings in alle bürgerliche Verhältnisse eingreifende System sich einlebt, um so mehr gewöhnt sich die Bevölkerung an den Gedanken, daß sie zu dem Ganzen gehört, mit dem sie durch dasselbe Wehrsystem verbunden ist. Und schon jetzt ist es mit geringerem Widerstand in die Wirklichkeit geführt worden, als man Anfangs hoffen durfte. Trotz aller Agitationen werden sich mit der Zeit die greifbar wohlthätigen Neue¬ rungen fühlbar machen: daß mit der Beseitigung der Stellvertretung das Grenzlwtcn I. 1»70 W

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/239
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/239>, abgerufen am 26.06.2024.