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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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dem Herrscherhause bildeten."., Die Vertretung der einzelnen Länder als solcher
sand er auch noch in der Februar- und Decemberverfassung gewahrt und
selbst die Abstimmung nach Curien bet der Wahl in die Delegationen aus¬
gesprochen. Nach ihm bestand nur ein Gesetzgebungsrecht der Landtage und
die Pflicht der Berathung der gemeinsamen Angelegenheiten, soweit dabei die
Macht des Gesammtreiches, d. i. der Kaiser, in Frage komme, wobei selbst¬
verständlich der gegenwärtige Reichsrath gänzlich ausfallen und nur noch die
Delegationen bleiben würden. Die Landtage und Landtagswahlordnungen,
wie sie aus dem Februarpatent hervorgegangen, waren ihm nur Destillir-
apparate zur Fabrikation k. k. Reichsrathe, d. i. Werkzeuge für den Centra-
lismus. Mit den jetzigen Verfassungsgesetzen könne man nicht mehr weiter
kommen, darüber seien "auch alle denkenden Männer einig, die dem Libera¬
lismus huldig/n." Die Länder wollten nun einmal Selbständigkeit, weshalb
sich die straffen Anhänger des gegenwärtigen Ministeriums von Tag zu Tag
minderten, Abfall rechts und Abfall links, Niederlagen von allen Seiten
sich zeigten; sei doch selbst Dr. Sturm Föderalist geworden, und Dr. Giskra
möge ihm zugerufen haben: "Auch Du, Brutus!" Die deutsch-östreichische
Partei verwechsle sich selbst mit Oestreich, es gelte ihr die eigene Herrschaft.
Habe doch Dr. Kaiserfeld am 10. December 1866 im Steirer Landtage ge¬
droht, wenn der deutsch-östreichischen Partei ihre Stellung vergällt würde,
den Fall des Reiches zu benutzen, um die Bleisohlen von den Füßen zu
streifen, die sie an jeder Bewegung hinderten, und Dr. Giskra im Frank¬
furter Parlamente erklärt: "Wenn er Minister wäre, würde er Oestreich in
Departements theilen, deren Grenzen nie mit den Landesgrenzen zusammen¬
fielen." Nur der Föderalismus werde das nach seinem Naturgesetze groß
gewordene Oestreich "der Herrschaft der Deutschen und der gegen¬
wärtig allzu sehr herrschenden Judenpartei entreißen."

Freiherr v. Lasser erinnerte hierauf, daß man sich bei Citaten von Ge¬
setzen, zumal wenn sie vorgelesen würden, genau an den Text halten müsse,
der Ausdruck "Landboten" sei daselbst nirgends zu finden. Die Landtage
seien nur Wahlmänner-Collegien für die Entsendung ihrer Mitglieder in das
Haus der Abgeordneten, das directe Recht der Beschickung des Reichsraths
stehe den Gebieten. Städten und Körperschaften zu. Die Debatte habe sich
übrigens weniger um die directen Wahlen, als die staatsrechtliche Stellung
des Landes zum Reihe gedreht, und so der ferneren über den Antrag, "der
von Dietl den Namen trägt", vorgegriffen. Dem Abgeordneten Greuter, der
die Ausführung der freiheitlichen Gesetze in Tirol so miserabel gefunden hatte,
daß er sie lieber ganz entbehren wolle, erwiderte der Statthalter, daß es,
falls die Gesetze auch nicht nach seinem Geschmacke wären, doch Pflicht jedes
Staatsbürgers sei, sie zu achten; die Freiheit dürfe nicht als das Recht


dem Herrscherhause bildeten."., Die Vertretung der einzelnen Länder als solcher
sand er auch noch in der Februar- und Decemberverfassung gewahrt und
selbst die Abstimmung nach Curien bet der Wahl in die Delegationen aus¬
gesprochen. Nach ihm bestand nur ein Gesetzgebungsrecht der Landtage und
die Pflicht der Berathung der gemeinsamen Angelegenheiten, soweit dabei die
Macht des Gesammtreiches, d. i. der Kaiser, in Frage komme, wobei selbst¬
verständlich der gegenwärtige Reichsrath gänzlich ausfallen und nur noch die
Delegationen bleiben würden. Die Landtage und Landtagswahlordnungen,
wie sie aus dem Februarpatent hervorgegangen, waren ihm nur Destillir-
apparate zur Fabrikation k. k. Reichsrathe, d. i. Werkzeuge für den Centra-
lismus. Mit den jetzigen Verfassungsgesetzen könne man nicht mehr weiter
kommen, darüber seien „auch alle denkenden Männer einig, die dem Libera¬
lismus huldig/n." Die Länder wollten nun einmal Selbständigkeit, weshalb
sich die straffen Anhänger des gegenwärtigen Ministeriums von Tag zu Tag
minderten, Abfall rechts und Abfall links, Niederlagen von allen Seiten
sich zeigten; sei doch selbst Dr. Sturm Föderalist geworden, und Dr. Giskra
möge ihm zugerufen haben: „Auch Du, Brutus!" Die deutsch-östreichische
Partei verwechsle sich selbst mit Oestreich, es gelte ihr die eigene Herrschaft.
Habe doch Dr. Kaiserfeld am 10. December 1866 im Steirer Landtage ge¬
droht, wenn der deutsch-östreichischen Partei ihre Stellung vergällt würde,
den Fall des Reiches zu benutzen, um die Bleisohlen von den Füßen zu
streifen, die sie an jeder Bewegung hinderten, und Dr. Giskra im Frank¬
furter Parlamente erklärt: „Wenn er Minister wäre, würde er Oestreich in
Departements theilen, deren Grenzen nie mit den Landesgrenzen zusammen¬
fielen." Nur der Föderalismus werde das nach seinem Naturgesetze groß
gewordene Oestreich „der Herrschaft der Deutschen und der gegen¬
wärtig allzu sehr herrschenden Judenpartei entreißen."

Freiherr v. Lasser erinnerte hierauf, daß man sich bei Citaten von Ge¬
setzen, zumal wenn sie vorgelesen würden, genau an den Text halten müsse,
der Ausdruck „Landboten" sei daselbst nirgends zu finden. Die Landtage
seien nur Wahlmänner-Collegien für die Entsendung ihrer Mitglieder in das
Haus der Abgeordneten, das directe Recht der Beschickung des Reichsraths
stehe den Gebieten. Städten und Körperschaften zu. Die Debatte habe sich
übrigens weniger um die directen Wahlen, als die staatsrechtliche Stellung
des Landes zum Reihe gedreht, und so der ferneren über den Antrag, „der
von Dietl den Namen trägt", vorgegriffen. Dem Abgeordneten Greuter, der
die Ausführung der freiheitlichen Gesetze in Tirol so miserabel gefunden hatte,
daß er sie lieber ganz entbehren wolle, erwiderte der Statthalter, daß es,
falls die Gesetze auch nicht nach seinem Geschmacke wären, doch Pflicht jedes
Staatsbürgers sei, sie zu achten; die Freiheit dürfe nicht als das Recht


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[0237] dem Herrscherhause bildeten."., Die Vertretung der einzelnen Länder als solcher sand er auch noch in der Februar- und Decemberverfassung gewahrt und selbst die Abstimmung nach Curien bet der Wahl in die Delegationen aus¬ gesprochen. Nach ihm bestand nur ein Gesetzgebungsrecht der Landtage und die Pflicht der Berathung der gemeinsamen Angelegenheiten, soweit dabei die Macht des Gesammtreiches, d. i. der Kaiser, in Frage komme, wobei selbst¬ verständlich der gegenwärtige Reichsrath gänzlich ausfallen und nur noch die Delegationen bleiben würden. Die Landtage und Landtagswahlordnungen, wie sie aus dem Februarpatent hervorgegangen, waren ihm nur Destillir- apparate zur Fabrikation k. k. Reichsrathe, d. i. Werkzeuge für den Centra- lismus. Mit den jetzigen Verfassungsgesetzen könne man nicht mehr weiter kommen, darüber seien „auch alle denkenden Männer einig, die dem Libera¬ lismus huldig/n." Die Länder wollten nun einmal Selbständigkeit, weshalb sich die straffen Anhänger des gegenwärtigen Ministeriums von Tag zu Tag minderten, Abfall rechts und Abfall links, Niederlagen von allen Seiten sich zeigten; sei doch selbst Dr. Sturm Föderalist geworden, und Dr. Giskra möge ihm zugerufen haben: „Auch Du, Brutus!" Die deutsch-östreichische Partei verwechsle sich selbst mit Oestreich, es gelte ihr die eigene Herrschaft. Habe doch Dr. Kaiserfeld am 10. December 1866 im Steirer Landtage ge¬ droht, wenn der deutsch-östreichischen Partei ihre Stellung vergällt würde, den Fall des Reiches zu benutzen, um die Bleisohlen von den Füßen zu streifen, die sie an jeder Bewegung hinderten, und Dr. Giskra im Frank¬ furter Parlamente erklärt: „Wenn er Minister wäre, würde er Oestreich in Departements theilen, deren Grenzen nie mit den Landesgrenzen zusammen¬ fielen." Nur der Föderalismus werde das nach seinem Naturgesetze groß gewordene Oestreich „der Herrschaft der Deutschen und der gegen¬ wärtig allzu sehr herrschenden Judenpartei entreißen." Freiherr v. Lasser erinnerte hierauf, daß man sich bei Citaten von Ge¬ setzen, zumal wenn sie vorgelesen würden, genau an den Text halten müsse, der Ausdruck „Landboten" sei daselbst nirgends zu finden. Die Landtage seien nur Wahlmänner-Collegien für die Entsendung ihrer Mitglieder in das Haus der Abgeordneten, das directe Recht der Beschickung des Reichsraths stehe den Gebieten. Städten und Körperschaften zu. Die Debatte habe sich übrigens weniger um die directen Wahlen, als die staatsrechtliche Stellung des Landes zum Reihe gedreht, und so der ferneren über den Antrag, „der von Dietl den Namen trägt", vorgegriffen. Dem Abgeordneten Greuter, der die Ausführung der freiheitlichen Gesetze in Tirol so miserabel gefunden hatte, daß er sie lieber ganz entbehren wolle, erwiderte der Statthalter, daß es, falls die Gesetze auch nicht nach seinem Geschmacke wären, doch Pflicht jedes Staatsbürgers sei, sie zu achten; die Freiheit dürfe nicht als das Recht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/237>, abgerufen am 26.06.2024.