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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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eben gestern bis zur äußersten Grenze dessen ging, was ohne Verletzung der
Reichsinteressen möglich, mit solchem Undank zurückstoße, werde sie darnach
auch bemessen, ob und in wie weit das Reich und die Brudervölker auf
Tirol zählen könnten. Die Regierung müsse in der Zurückweisung ihres
Vorschlags eine Herausforderung erblicken und werde die Antwort nicht
schuldig bleiben: dazu bedürfe es keiner Gewalt, sondern nur der Ausübung
des Rechtes, der Erfüllung der Pflicht gegen das Reich und die übrigen
Länder. Wo es sich um eine Steuer an Gut und Blut handle, höre alle
Gemüthlichkeit auf, da wüßten auch die anderen Länder und das Reich zu
rechnen. Man möge an die Wohlthaten denken, die Tirol von der Regie¬
rung erhalte und nicht vergessen, daß kein östreichisches Ministerium den
Rechten des Reiches zu Gunsten eines Theiles desselben vergeben könne. Ein
Patriotismus, der erst vom Landtage erbeten oder erkauft werden müsse, sei
nicht der echte, der alttirolische. Was auch die Majorität beschließen möge,
die Regierung werde die Mittel finden auch die Landwehrkräste Tirols zur
Vertheidigung des Reiches heranzuziehen. -- Daß durch diese Warnung am
Erfolg nichts geändert wurde, war selbstverständlich, Giovanelli sah sich ja
im Geiste schon am Ministertische, wo er mit Hilfe seiner Sinnesgenossen
die uralten Privilegien der Stände wieder zur Geltung brachte; vor der
Hand hieß es nur warten. Der Regierungsvorschlag, dessen Annahme die
Linke beantragte, fiel mit 23 Stimmen gegen 31.

Ein zweites Vorspiel veranlaßte der von den Liberalen gestellte Antrag
auf Einführung directer Reichstagswahlen. Der Schluß des Landtags mit
Ende October war kein Geheimniß mehr und daher den Clerical-Feudalen
höchlich bange für ihre Deklaration. Als nun am 26. October obige Frage
zur Verhandlung kam, brachten sie, 31 an der Zahl (nur zwei welsche Geist¬
liche, Degara und Paisoli, schlossen sich nicht an), eine Jnterpellation an den
Landeshauptmann ein, wann er ihre Anträge auf die Tagesordnung zu
setzen gesonnen sei. Dr. v. Grebmer beruhigte sie zwar mit der Erklärung,
daß dies vor Schluß der Session geschehen werde; Giovanelli aber konnte
nicht länger warten und ließ seine Rakete noch vor dem großen Manoeuvre
steigen. Die Majorität des Ausschusses, an deren Spitze der Freiherr stand,
hatte den Uebergang zur Tagesordnung, der Berichterstatter der Minorität,
Dr. Harum, die Herbeiführung directer Wahlen der Reichstagsabgeordneten nur
in dem Sinne beantragt, daß die Wahl nicht mehr vom Landtage ausgehen
sollte. Er ließ ihre anfänglich begehrte Vermehrung fallen, und fügte sich
der allfälligen Beibehaltung des Gruppensystems. Zugeständnisse machen so
verstockte Fanatiker nur kecker, und so begann auch Ignatius Giovanelli mit
der bündigen Erklärung, daß Abgeordnete einzelner Thäler nicht das Land
vorstellten, diese im Reichsrathe nicht mehr Vertreter berechtigter Körper, nicht


eben gestern bis zur äußersten Grenze dessen ging, was ohne Verletzung der
Reichsinteressen möglich, mit solchem Undank zurückstoße, werde sie darnach
auch bemessen, ob und in wie weit das Reich und die Brudervölker auf
Tirol zählen könnten. Die Regierung müsse in der Zurückweisung ihres
Vorschlags eine Herausforderung erblicken und werde die Antwort nicht
schuldig bleiben: dazu bedürfe es keiner Gewalt, sondern nur der Ausübung
des Rechtes, der Erfüllung der Pflicht gegen das Reich und die übrigen
Länder. Wo es sich um eine Steuer an Gut und Blut handle, höre alle
Gemüthlichkeit auf, da wüßten auch die anderen Länder und das Reich zu
rechnen. Man möge an die Wohlthaten denken, die Tirol von der Regie¬
rung erhalte und nicht vergessen, daß kein östreichisches Ministerium den
Rechten des Reiches zu Gunsten eines Theiles desselben vergeben könne. Ein
Patriotismus, der erst vom Landtage erbeten oder erkauft werden müsse, sei
nicht der echte, der alttirolische. Was auch die Majorität beschließen möge,
die Regierung werde die Mittel finden auch die Landwehrkräste Tirols zur
Vertheidigung des Reiches heranzuziehen. — Daß durch diese Warnung am
Erfolg nichts geändert wurde, war selbstverständlich, Giovanelli sah sich ja
im Geiste schon am Ministertische, wo er mit Hilfe seiner Sinnesgenossen
die uralten Privilegien der Stände wieder zur Geltung brachte; vor der
Hand hieß es nur warten. Der Regierungsvorschlag, dessen Annahme die
Linke beantragte, fiel mit 23 Stimmen gegen 31.

Ein zweites Vorspiel veranlaßte der von den Liberalen gestellte Antrag
auf Einführung directer Reichstagswahlen. Der Schluß des Landtags mit
Ende October war kein Geheimniß mehr und daher den Clerical-Feudalen
höchlich bange für ihre Deklaration. Als nun am 26. October obige Frage
zur Verhandlung kam, brachten sie, 31 an der Zahl (nur zwei welsche Geist¬
liche, Degara und Paisoli, schlossen sich nicht an), eine Jnterpellation an den
Landeshauptmann ein, wann er ihre Anträge auf die Tagesordnung zu
setzen gesonnen sei. Dr. v. Grebmer beruhigte sie zwar mit der Erklärung,
daß dies vor Schluß der Session geschehen werde; Giovanelli aber konnte
nicht länger warten und ließ seine Rakete noch vor dem großen Manoeuvre
steigen. Die Majorität des Ausschusses, an deren Spitze der Freiherr stand,
hatte den Uebergang zur Tagesordnung, der Berichterstatter der Minorität,
Dr. Harum, die Herbeiführung directer Wahlen der Reichstagsabgeordneten nur
in dem Sinne beantragt, daß die Wahl nicht mehr vom Landtage ausgehen
sollte. Er ließ ihre anfänglich begehrte Vermehrung fallen, und fügte sich
der allfälligen Beibehaltung des Gruppensystems. Zugeständnisse machen so
verstockte Fanatiker nur kecker, und so begann auch Ignatius Giovanelli mit
der bündigen Erklärung, daß Abgeordnete einzelner Thäler nicht das Land
vorstellten, diese im Reichsrathe nicht mehr Vertreter berechtigter Körper, nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/235>, abgerufen am 26.06.2024.