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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Ritter des alten Landesrechtes wurden mit Ausnahme des beanstandeten
Paragraphs alle übrigen angenommen. Der Ministerrath ließ nicht aus sich
warten, und schon am anderen Tage traf ein Abgeordneter desselben mit
dem neuen Vorschlage ein, daß die Verwendung der Tiroler Schützen außer¬
halb des Kaiserstaates nur bis zur Hälfte und nur auf besondern Ruf des
Kaisers statthaben sollte. Man mußte glauben, die gerühmte Anhänglich¬
keit der Conservativen an die Habsburg'sche Dynastie werde ein solches Zu-
geständniß mit lautem Beifall aufnehmen; allein mit Nichten. Wenn ein
anderes Ministerium, etwa Leo Thun oder Belcredi, am Ruder säße -- so
ließen die Führer im Vorzimmer des Landtagssaales verlauten, -- würden sie
zustimmen, unter dem gegenwärtigen Cabinet aber nun und nimmer. Um ihren
Trotz zu beschönigen wußte der Dr. Jäger zu erzählen, wie die Tiroler in den
Jahren 1703, 1797 und 1809 freiwillig die Waffen ergriffen hätten, nicht zum
Schutze des eigenen Vaterlandes, sondern immer nur zur Rettung des Reiches.
Auch Ignaz Giovanelli versuchte aus dem wie gewöhnlich nach seinem Be¬
darf? zurecht gelegten Texte des Artikels III herauszuklügeln, daß die Re¬
gierung gar nicht berechtigt sei den gegenwärtigen Stand des Kaiserjäger¬
regiments zu erhöhen und der Art zu verstärken, daß er dem vollen Kon¬
tingente gleichkäme. Dies wäre "Gewalt", sie könne aber nicht immer
dauern und darum gelte es das Recht zu wahren. Die gegenwärtige Regierung
sei "nicht von besonderer Vorliebe für Tirol beseelt", sie brauche das Land
aber als Vormauer der Monarchie. Zu dieser Phrase kam noch eine zweite
über die Opferfreudigkeit des Landes, die indessen an die Bedingung ge¬
knüpft sei, daß die Schützen nicht außer Land zu gehen haben. Dieser Can-
tönliweisheit trat zunächst Dr. Bidermann entgegen, indem er aus der Ge¬
schichte beweisen zu können meinte, daß für Tirol stets das Landesinteresse
maßgebend gewesen sei, die Bereitwilligkeit das Reich zu retten aber nicht
so sehr an den Tag getreten, als man füglich hätte erwarten können. Mit
Oestreich, meinte er, falle ja auch Tirol, wogegen die Patrioten auf der
rechten Seite ein lautes "Oho" erhoben. Nie hätten aber die Tiroler mehr
Grund gehabt am Kriege mitzuwirken als in neuester Zeit, wo das Schicksal
des Staates, wie das Jahr 1866 gelehrt, nicht durch einen Gebirgskrieg,
sondern durch eine Hauptschlacht entschieden wurde. Einen noch frischeren
Luftzug brachte der Statthalter Freiherr v. Lasser in die Debatte. Abgesehen
von den Leistungen, die mit der Zahl der Schützen nicht im gleichen Ver-
hältniß gestanden, habe er beim Wehrgesetze sein geringes Wort zu Gunsten
Tirols geltend gemacht: um so peinlicher sei ihm heute der Zweifel von der
rechten Seite des Hauses an der Aufstellung gewesen, daß es kein Tirol
ohne Oestreich gebe. Im Jahre 1809, wo dieses darniederlag. bestand auch
kein Tirol mehr. Wenn man die Zugeständnisse, mit denen die Negierung


Ritter des alten Landesrechtes wurden mit Ausnahme des beanstandeten
Paragraphs alle übrigen angenommen. Der Ministerrath ließ nicht aus sich
warten, und schon am anderen Tage traf ein Abgeordneter desselben mit
dem neuen Vorschlage ein, daß die Verwendung der Tiroler Schützen außer¬
halb des Kaiserstaates nur bis zur Hälfte und nur auf besondern Ruf des
Kaisers statthaben sollte. Man mußte glauben, die gerühmte Anhänglich¬
keit der Conservativen an die Habsburg'sche Dynastie werde ein solches Zu-
geständniß mit lautem Beifall aufnehmen; allein mit Nichten. Wenn ein
anderes Ministerium, etwa Leo Thun oder Belcredi, am Ruder säße — so
ließen die Führer im Vorzimmer des Landtagssaales verlauten, — würden sie
zustimmen, unter dem gegenwärtigen Cabinet aber nun und nimmer. Um ihren
Trotz zu beschönigen wußte der Dr. Jäger zu erzählen, wie die Tiroler in den
Jahren 1703, 1797 und 1809 freiwillig die Waffen ergriffen hätten, nicht zum
Schutze des eigenen Vaterlandes, sondern immer nur zur Rettung des Reiches.
Auch Ignaz Giovanelli versuchte aus dem wie gewöhnlich nach seinem Be¬
darf? zurecht gelegten Texte des Artikels III herauszuklügeln, daß die Re¬
gierung gar nicht berechtigt sei den gegenwärtigen Stand des Kaiserjäger¬
regiments zu erhöhen und der Art zu verstärken, daß er dem vollen Kon¬
tingente gleichkäme. Dies wäre „Gewalt", sie könne aber nicht immer
dauern und darum gelte es das Recht zu wahren. Die gegenwärtige Regierung
sei „nicht von besonderer Vorliebe für Tirol beseelt", sie brauche das Land
aber als Vormauer der Monarchie. Zu dieser Phrase kam noch eine zweite
über die Opferfreudigkeit des Landes, die indessen an die Bedingung ge¬
knüpft sei, daß die Schützen nicht außer Land zu gehen haben. Dieser Can-
tönliweisheit trat zunächst Dr. Bidermann entgegen, indem er aus der Ge¬
schichte beweisen zu können meinte, daß für Tirol stets das Landesinteresse
maßgebend gewesen sei, die Bereitwilligkeit das Reich zu retten aber nicht
so sehr an den Tag getreten, als man füglich hätte erwarten können. Mit
Oestreich, meinte er, falle ja auch Tirol, wogegen die Patrioten auf der
rechten Seite ein lautes „Oho" erhoben. Nie hätten aber die Tiroler mehr
Grund gehabt am Kriege mitzuwirken als in neuester Zeit, wo das Schicksal
des Staates, wie das Jahr 1866 gelehrt, nicht durch einen Gebirgskrieg,
sondern durch eine Hauptschlacht entschieden wurde. Einen noch frischeren
Luftzug brachte der Statthalter Freiherr v. Lasser in die Debatte. Abgesehen
von den Leistungen, die mit der Zahl der Schützen nicht im gleichen Ver-
hältniß gestanden, habe er beim Wehrgesetze sein geringes Wort zu Gunsten
Tirols geltend gemacht: um so peinlicher sei ihm heute der Zweifel von der
rechten Seite des Hauses an der Aufstellung gewesen, daß es kein Tirol
ohne Oestreich gebe. Im Jahre 1809, wo dieses darniederlag. bestand auch
kein Tirol mehr. Wenn man die Zugeständnisse, mit denen die Negierung


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[0234] Ritter des alten Landesrechtes wurden mit Ausnahme des beanstandeten Paragraphs alle übrigen angenommen. Der Ministerrath ließ nicht aus sich warten, und schon am anderen Tage traf ein Abgeordneter desselben mit dem neuen Vorschlage ein, daß die Verwendung der Tiroler Schützen außer¬ halb des Kaiserstaates nur bis zur Hälfte und nur auf besondern Ruf des Kaisers statthaben sollte. Man mußte glauben, die gerühmte Anhänglich¬ keit der Conservativen an die Habsburg'sche Dynastie werde ein solches Zu- geständniß mit lautem Beifall aufnehmen; allein mit Nichten. Wenn ein anderes Ministerium, etwa Leo Thun oder Belcredi, am Ruder säße — so ließen die Führer im Vorzimmer des Landtagssaales verlauten, — würden sie zustimmen, unter dem gegenwärtigen Cabinet aber nun und nimmer. Um ihren Trotz zu beschönigen wußte der Dr. Jäger zu erzählen, wie die Tiroler in den Jahren 1703, 1797 und 1809 freiwillig die Waffen ergriffen hätten, nicht zum Schutze des eigenen Vaterlandes, sondern immer nur zur Rettung des Reiches. Auch Ignaz Giovanelli versuchte aus dem wie gewöhnlich nach seinem Be¬ darf? zurecht gelegten Texte des Artikels III herauszuklügeln, daß die Re¬ gierung gar nicht berechtigt sei den gegenwärtigen Stand des Kaiserjäger¬ regiments zu erhöhen und der Art zu verstärken, daß er dem vollen Kon¬ tingente gleichkäme. Dies wäre „Gewalt", sie könne aber nicht immer dauern und darum gelte es das Recht zu wahren. Die gegenwärtige Regierung sei „nicht von besonderer Vorliebe für Tirol beseelt", sie brauche das Land aber als Vormauer der Monarchie. Zu dieser Phrase kam noch eine zweite über die Opferfreudigkeit des Landes, die indessen an die Bedingung ge¬ knüpft sei, daß die Schützen nicht außer Land zu gehen haben. Dieser Can- tönliweisheit trat zunächst Dr. Bidermann entgegen, indem er aus der Ge¬ schichte beweisen zu können meinte, daß für Tirol stets das Landesinteresse maßgebend gewesen sei, die Bereitwilligkeit das Reich zu retten aber nicht so sehr an den Tag getreten, als man füglich hätte erwarten können. Mit Oestreich, meinte er, falle ja auch Tirol, wogegen die Patrioten auf der rechten Seite ein lautes „Oho" erhoben. Nie hätten aber die Tiroler mehr Grund gehabt am Kriege mitzuwirken als in neuester Zeit, wo das Schicksal des Staates, wie das Jahr 1866 gelehrt, nicht durch einen Gebirgskrieg, sondern durch eine Hauptschlacht entschieden wurde. Einen noch frischeren Luftzug brachte der Statthalter Freiherr v. Lasser in die Debatte. Abgesehen von den Leistungen, die mit der Zahl der Schützen nicht im gleichen Ver- hältniß gestanden, habe er beim Wehrgesetze sein geringes Wort zu Gunsten Tirols geltend gemacht: um so peinlicher sei ihm heute der Zweifel von der rechten Seite des Hauses an der Aufstellung gewesen, daß es kein Tirol ohne Oestreich gebe. Im Jahre 1809, wo dieses darniederlag. bestand auch kein Tirol mehr. Wenn man die Zugeständnisse, mit denen die Negierung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/234>, abgerufen am 26.06.2024.