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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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sich ja stets auf die große unselbständige Menge, die keiner wirklichen Ueber¬
zeugung fähig, allen Scheingründen zugänglich und daher ganz dazu gemacht
ist, als brauchbares Werkzeug für fremde Zwecke zu dienen. Die Nutzlosigkeit
des ganzen Beginnens (von maßgebender Stelle wird man nicht darauf ein>
gehen, das allgemeine Stimmrecht anzubahnen oder für Tirol eine Ausnahme
zu machen) wurde sowohl von liberaler Seite, als vom Statthalter geltend
gemacht, aber der Sieg des Antragstellers war durch einen Clubbeschluß schon
vor der öffentlichen Debatte festgestellt. Nebenher wurde auch die Ausübung
des landtäglichen Wahlrechts der Frauen durch Bevollmächtigte zur allerhöch¬
sten Sanction beantragt, zumal den Frauen das gleiche Recht bei Gemeinde¬
wahlen bereits durch die tirolische Gemeindeordnung vom 9. Januar 1866
gesichert war. Die Erweiterung des Wahlrechts war aber denen, welche sie
bevorwortet hatten, auf anderem Gebiet nichts weniger als angenehm. Die
Innsbrucker Universität wird nämlich im Landtage vom jeweiligen Rector
vertreten, also im vierten Jahre von einem Jesuiten. Als nun Dr. Bider-
mann den Antrag stellte, den Abgeordneten der Hochschule durch deren ordent¬
lichen Professoren auf sechs Jahre wählen zu lassen, erhob sich Greuter als
Berichterstatter und veranlaßte mit Hilfe seiner Getreuen die Vertagung der
Verhandlung aus bessere Zeiten. Der Landesausschuß sollte erst bei der
nächsten Session darüber Bericht erstatten, denn bis dahin, hoffte man, werde
sich die Situation geändert haben.

Nur in einer Frage herrschte völlige Uebereinstimmung zwischen den
Liberalen und Conservativen, nämlich betreffs der Einführung der geheimen
Abstimmung bei Landtags- sowohl als Gemeindewahlen; beide knüpften daran
Hoffnungen für die Zukunft. Jene wollten den Bürger und Bauern vom
Drucke des Clerus befreien, diese hatten die ihnen im Stillen häufig ergebe¬
nen Beamten im Auge, die sich auf die jeweilige Stimmung in höheren
Kreisen zu achten gedrängt fühlten. Greuter bezog sich geradezu auf den
oft wiederkehrenden Systemwechsel, und erklärte sich bereit, "ein Stück vom
alten echt deutschen Charakter zu begraben". Dr. Blaas, der den Antrag
von liberaler Seite eingebracht, wollte der wahren Gesinnung im Allgemeinen
zum Ausdruck helfen, und den minder bemittelten Theil der Gesellschaft, der
nur so häufig mit seinen Interessen zu rechnen gezwungen sei, der Bevor¬
mundung entziehen, die vielfach des Seelenheils halber geübt wird. So
wurde denn mit seltener Uebereinstimmung wenn auch aus entgegengesetzten
Gründen die geheime Abstimmung bei Landtags- sowohl als Gemeindewahlen
zum Beschluß erhoben, freilich mit Durchführungsbestimmungen, die der
geistlichen Controle nicht ungünstig sind.

Das Wichtigste blieb aber der Schlag, der das Signal zu einem ge¬
meinschaftlichen Sturm aus die östreichische Verfassung geben sollte. Scheinbar


Grenzboten I. 187V. 29

sich ja stets auf die große unselbständige Menge, die keiner wirklichen Ueber¬
zeugung fähig, allen Scheingründen zugänglich und daher ganz dazu gemacht
ist, als brauchbares Werkzeug für fremde Zwecke zu dienen. Die Nutzlosigkeit
des ganzen Beginnens (von maßgebender Stelle wird man nicht darauf ein>
gehen, das allgemeine Stimmrecht anzubahnen oder für Tirol eine Ausnahme
zu machen) wurde sowohl von liberaler Seite, als vom Statthalter geltend
gemacht, aber der Sieg des Antragstellers war durch einen Clubbeschluß schon
vor der öffentlichen Debatte festgestellt. Nebenher wurde auch die Ausübung
des landtäglichen Wahlrechts der Frauen durch Bevollmächtigte zur allerhöch¬
sten Sanction beantragt, zumal den Frauen das gleiche Recht bei Gemeinde¬
wahlen bereits durch die tirolische Gemeindeordnung vom 9. Januar 1866
gesichert war. Die Erweiterung des Wahlrechts war aber denen, welche sie
bevorwortet hatten, auf anderem Gebiet nichts weniger als angenehm. Die
Innsbrucker Universität wird nämlich im Landtage vom jeweiligen Rector
vertreten, also im vierten Jahre von einem Jesuiten. Als nun Dr. Bider-
mann den Antrag stellte, den Abgeordneten der Hochschule durch deren ordent¬
lichen Professoren auf sechs Jahre wählen zu lassen, erhob sich Greuter als
Berichterstatter und veranlaßte mit Hilfe seiner Getreuen die Vertagung der
Verhandlung aus bessere Zeiten. Der Landesausschuß sollte erst bei der
nächsten Session darüber Bericht erstatten, denn bis dahin, hoffte man, werde
sich die Situation geändert haben.

Nur in einer Frage herrschte völlige Uebereinstimmung zwischen den
Liberalen und Conservativen, nämlich betreffs der Einführung der geheimen
Abstimmung bei Landtags- sowohl als Gemeindewahlen; beide knüpften daran
Hoffnungen für die Zukunft. Jene wollten den Bürger und Bauern vom
Drucke des Clerus befreien, diese hatten die ihnen im Stillen häufig ergebe¬
nen Beamten im Auge, die sich auf die jeweilige Stimmung in höheren
Kreisen zu achten gedrängt fühlten. Greuter bezog sich geradezu auf den
oft wiederkehrenden Systemwechsel, und erklärte sich bereit, „ein Stück vom
alten echt deutschen Charakter zu begraben". Dr. Blaas, der den Antrag
von liberaler Seite eingebracht, wollte der wahren Gesinnung im Allgemeinen
zum Ausdruck helfen, und den minder bemittelten Theil der Gesellschaft, der
nur so häufig mit seinen Interessen zu rechnen gezwungen sei, der Bevor¬
mundung entziehen, die vielfach des Seelenheils halber geübt wird. So
wurde denn mit seltener Uebereinstimmung wenn auch aus entgegengesetzten
Gründen die geheime Abstimmung bei Landtags- sowohl als Gemeindewahlen
zum Beschluß erhoben, freilich mit Durchführungsbestimmungen, die der
geistlichen Controle nicht ungünstig sind.

Das Wichtigste blieb aber der Schlag, der das Signal zu einem ge¬
meinschaftlichen Sturm aus die östreichische Verfassung geben sollte. Scheinbar


Grenzboten I. 187V. 29
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[0231] sich ja stets auf die große unselbständige Menge, die keiner wirklichen Ueber¬ zeugung fähig, allen Scheingründen zugänglich und daher ganz dazu gemacht ist, als brauchbares Werkzeug für fremde Zwecke zu dienen. Die Nutzlosigkeit des ganzen Beginnens (von maßgebender Stelle wird man nicht darauf ein> gehen, das allgemeine Stimmrecht anzubahnen oder für Tirol eine Ausnahme zu machen) wurde sowohl von liberaler Seite, als vom Statthalter geltend gemacht, aber der Sieg des Antragstellers war durch einen Clubbeschluß schon vor der öffentlichen Debatte festgestellt. Nebenher wurde auch die Ausübung des landtäglichen Wahlrechts der Frauen durch Bevollmächtigte zur allerhöch¬ sten Sanction beantragt, zumal den Frauen das gleiche Recht bei Gemeinde¬ wahlen bereits durch die tirolische Gemeindeordnung vom 9. Januar 1866 gesichert war. Die Erweiterung des Wahlrechts war aber denen, welche sie bevorwortet hatten, auf anderem Gebiet nichts weniger als angenehm. Die Innsbrucker Universität wird nämlich im Landtage vom jeweiligen Rector vertreten, also im vierten Jahre von einem Jesuiten. Als nun Dr. Bider- mann den Antrag stellte, den Abgeordneten der Hochschule durch deren ordent¬ lichen Professoren auf sechs Jahre wählen zu lassen, erhob sich Greuter als Berichterstatter und veranlaßte mit Hilfe seiner Getreuen die Vertagung der Verhandlung aus bessere Zeiten. Der Landesausschuß sollte erst bei der nächsten Session darüber Bericht erstatten, denn bis dahin, hoffte man, werde sich die Situation geändert haben. Nur in einer Frage herrschte völlige Uebereinstimmung zwischen den Liberalen und Conservativen, nämlich betreffs der Einführung der geheimen Abstimmung bei Landtags- sowohl als Gemeindewahlen; beide knüpften daran Hoffnungen für die Zukunft. Jene wollten den Bürger und Bauern vom Drucke des Clerus befreien, diese hatten die ihnen im Stillen häufig ergebe¬ nen Beamten im Auge, die sich auf die jeweilige Stimmung in höheren Kreisen zu achten gedrängt fühlten. Greuter bezog sich geradezu auf den oft wiederkehrenden Systemwechsel, und erklärte sich bereit, „ein Stück vom alten echt deutschen Charakter zu begraben". Dr. Blaas, der den Antrag von liberaler Seite eingebracht, wollte der wahren Gesinnung im Allgemeinen zum Ausdruck helfen, und den minder bemittelten Theil der Gesellschaft, der nur so häufig mit seinen Interessen zu rechnen gezwungen sei, der Bevor¬ mundung entziehen, die vielfach des Seelenheils halber geübt wird. So wurde denn mit seltener Uebereinstimmung wenn auch aus entgegengesetzten Gründen die geheime Abstimmung bei Landtags- sowohl als Gemeindewahlen zum Beschluß erhoben, freilich mit Durchführungsbestimmungen, die der geistlichen Controle nicht ungünstig sind. Das Wichtigste blieb aber der Schlag, der das Signal zu einem ge¬ meinschaftlichen Sturm aus die östreichische Verfassung geben sollte. Scheinbar Grenzboten I. 187V. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/231>, abgerufen am 26.06.2024.