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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Die Ereignisse in Paris.

Wir hatten neulich kaum die kurze Darlegung der Schwierigkeiten ge¬
schlossen, welche sich dem Erfolge des neuen französischen Ministerums ent¬
gegenstellen müssen, als der Telegraph die Nachricht von der Katastrophe in
Auteuil brachte, welche nur zu geeignet war, die revolutionären Leiden¬
schaften aufs neue heftig zu entflammen. Niemand leugnet, daß an dem
Tage des Begräbnisses von Victor Noir die Gefahr.einer Emeute sehr nahe
getreten war und daß die Folgen eines Conflicts unberechenbar gewesen sein
würden. Die Regierung handelte mit Energie und Umsicht, sie ließ den
Demonstrationen außerhalb der Banlieu freien Spielraum, aber traf in der
Stadt so gewaltige Vorkehrungen, daß den Agitatoren der Muth sank.
Rochefort selbst fand es klüger abzuwiegeln und die Ordnung blieb ungestört.
Aber der Volkstribun, der sich deshalb von Concurrenten als nicht mehr auf
der Höhe der Bewegung schelten lassen mußte, suchte sich durch einen Artikel
von seltener Maßlosigkeit schadlos zu halten.

"Ich habe", schrieb er, "die Schwachheit gehabt zu glauben, daß ein Bo¬
naparte etwas anders sein könne als ein Mörder. Achtzehn Jahre ist jetzt
Frankreich in den blutigen Händen dieser Kehlabschneider. Nicht zufrieden
die Republikaner in den Straßen niederzukartätschen, locken sie dieselben in
ihre unsauberen Schlupfwinkel um sie dort zu erwürgen. Volk von Frank¬
reich, findest Du nicht, daß das Maß wahrhaftig voll ist?"

Darauf hin forderte das Ministerium von der Kammer die Ermächtigung
Rochefort zu verfolgen, erhielt sie. nachdem es eine Cabinetsfrage daraus ge¬
macht, mit großer Majorität und das Strafgericht verurtheilte den heißblütigen
Volkstribunen zu sechs Monaten Gefängniß und 3000 Fr.

Daß das Ministerium in seinem vollen formellen Rechte war, wird nie¬
mand bestreiten; wenn derartige Angriffe auf das Staatsoberhaupt nicht straf¬
bar sein sollen, so hieße das, die Straflosigkeit für jedes Preßverbrechen als
Princip aufstellen. Der Aufruf zum Aufstande wird dadurch nicht weniger
verwerflich, wenn er nicht in den Straßen, sondern auf dem Papier gepredigt
wird: aber eine ganz andere Frage ist es, ob es politisch richtig war die Ver¬
folgung zu beantragen und zu forciren. Rochefort war auf dem besten Wege un¬
bedeutend zu werden, ja sich lächerlich zu machen. Seine innere Hohlheit, die
Dürftigkeit seiner Declamationen ließ ihn innerhalb desLorxs l^gisIM eine trau¬
rige Rolle spielen und in der Schmutzpresse fanden sich bereits Agitatoren, die ihn
überboten und für feige erklärten. Seine Verfolgung und Verurtheilung wird
ihn wieder populär machen; man wird sagen, die Regierung habe sich seiner


Die Ereignisse in Paris.

Wir hatten neulich kaum die kurze Darlegung der Schwierigkeiten ge¬
schlossen, welche sich dem Erfolge des neuen französischen Ministerums ent¬
gegenstellen müssen, als der Telegraph die Nachricht von der Katastrophe in
Auteuil brachte, welche nur zu geeignet war, die revolutionären Leiden¬
schaften aufs neue heftig zu entflammen. Niemand leugnet, daß an dem
Tage des Begräbnisses von Victor Noir die Gefahr.einer Emeute sehr nahe
getreten war und daß die Folgen eines Conflicts unberechenbar gewesen sein
würden. Die Regierung handelte mit Energie und Umsicht, sie ließ den
Demonstrationen außerhalb der Banlieu freien Spielraum, aber traf in der
Stadt so gewaltige Vorkehrungen, daß den Agitatoren der Muth sank.
Rochefort selbst fand es klüger abzuwiegeln und die Ordnung blieb ungestört.
Aber der Volkstribun, der sich deshalb von Concurrenten als nicht mehr auf
der Höhe der Bewegung schelten lassen mußte, suchte sich durch einen Artikel
von seltener Maßlosigkeit schadlos zu halten.

„Ich habe", schrieb er, „die Schwachheit gehabt zu glauben, daß ein Bo¬
naparte etwas anders sein könne als ein Mörder. Achtzehn Jahre ist jetzt
Frankreich in den blutigen Händen dieser Kehlabschneider. Nicht zufrieden
die Republikaner in den Straßen niederzukartätschen, locken sie dieselben in
ihre unsauberen Schlupfwinkel um sie dort zu erwürgen. Volk von Frank¬
reich, findest Du nicht, daß das Maß wahrhaftig voll ist?"

Darauf hin forderte das Ministerium von der Kammer die Ermächtigung
Rochefort zu verfolgen, erhielt sie. nachdem es eine Cabinetsfrage daraus ge¬
macht, mit großer Majorität und das Strafgericht verurtheilte den heißblütigen
Volkstribunen zu sechs Monaten Gefängniß und 3000 Fr.

Daß das Ministerium in seinem vollen formellen Rechte war, wird nie¬
mand bestreiten; wenn derartige Angriffe auf das Staatsoberhaupt nicht straf¬
bar sein sollen, so hieße das, die Straflosigkeit für jedes Preßverbrechen als
Princip aufstellen. Der Aufruf zum Aufstande wird dadurch nicht weniger
verwerflich, wenn er nicht in den Straßen, sondern auf dem Papier gepredigt
wird: aber eine ganz andere Frage ist es, ob es politisch richtig war die Ver¬
folgung zu beantragen und zu forciren. Rochefort war auf dem besten Wege un¬
bedeutend zu werden, ja sich lächerlich zu machen. Seine innere Hohlheit, die
Dürftigkeit seiner Declamationen ließ ihn innerhalb desLorxs l^gisIM eine trau¬
rige Rolle spielen und in der Schmutzpresse fanden sich bereits Agitatoren, die ihn
überboten und für feige erklärten. Seine Verfolgung und Verurtheilung wird
ihn wieder populär machen; man wird sagen, die Regierung habe sich seiner


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[0227] Die Ereignisse in Paris. Wir hatten neulich kaum die kurze Darlegung der Schwierigkeiten ge¬ schlossen, welche sich dem Erfolge des neuen französischen Ministerums ent¬ gegenstellen müssen, als der Telegraph die Nachricht von der Katastrophe in Auteuil brachte, welche nur zu geeignet war, die revolutionären Leiden¬ schaften aufs neue heftig zu entflammen. Niemand leugnet, daß an dem Tage des Begräbnisses von Victor Noir die Gefahr.einer Emeute sehr nahe getreten war und daß die Folgen eines Conflicts unberechenbar gewesen sein würden. Die Regierung handelte mit Energie und Umsicht, sie ließ den Demonstrationen außerhalb der Banlieu freien Spielraum, aber traf in der Stadt so gewaltige Vorkehrungen, daß den Agitatoren der Muth sank. Rochefort selbst fand es klüger abzuwiegeln und die Ordnung blieb ungestört. Aber der Volkstribun, der sich deshalb von Concurrenten als nicht mehr auf der Höhe der Bewegung schelten lassen mußte, suchte sich durch einen Artikel von seltener Maßlosigkeit schadlos zu halten. „Ich habe", schrieb er, „die Schwachheit gehabt zu glauben, daß ein Bo¬ naparte etwas anders sein könne als ein Mörder. Achtzehn Jahre ist jetzt Frankreich in den blutigen Händen dieser Kehlabschneider. Nicht zufrieden die Republikaner in den Straßen niederzukartätschen, locken sie dieselben in ihre unsauberen Schlupfwinkel um sie dort zu erwürgen. Volk von Frank¬ reich, findest Du nicht, daß das Maß wahrhaftig voll ist?" Darauf hin forderte das Ministerium von der Kammer die Ermächtigung Rochefort zu verfolgen, erhielt sie. nachdem es eine Cabinetsfrage daraus ge¬ macht, mit großer Majorität und das Strafgericht verurtheilte den heißblütigen Volkstribunen zu sechs Monaten Gefängniß und 3000 Fr. Daß das Ministerium in seinem vollen formellen Rechte war, wird nie¬ mand bestreiten; wenn derartige Angriffe auf das Staatsoberhaupt nicht straf¬ bar sein sollen, so hieße das, die Straflosigkeit für jedes Preßverbrechen als Princip aufstellen. Der Aufruf zum Aufstande wird dadurch nicht weniger verwerflich, wenn er nicht in den Straßen, sondern auf dem Papier gepredigt wird: aber eine ganz andere Frage ist es, ob es politisch richtig war die Ver¬ folgung zu beantragen und zu forciren. Rochefort war auf dem besten Wege un¬ bedeutend zu werden, ja sich lächerlich zu machen. Seine innere Hohlheit, die Dürftigkeit seiner Declamationen ließ ihn innerhalb desLorxs l^gisIM eine trau¬ rige Rolle spielen und in der Schmutzpresse fanden sich bereits Agitatoren, die ihn überboten und für feige erklärten. Seine Verfolgung und Verurtheilung wird ihn wieder populär machen; man wird sagen, die Regierung habe sich seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/227>, abgerufen am 26.06.2024.