Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.könnte auch vielleicht so weit gehen, daß man als Rechtspräsumtion eine Damit aber wäre nach unserer Ansicht ziemlich das erschöpft, was die Die große Schwierigkeit der irischen Landfrage ist, daß die Unzufriede¬ Man kann sicher sein, daß der Druck der öffentlichen Meinung das Par¬ könnte auch vielleicht so weit gehen, daß man als Rechtspräsumtion eine Damit aber wäre nach unserer Ansicht ziemlich das erschöpft, was die Die große Schwierigkeit der irischen Landfrage ist, daß die Unzufriede¬ Man kann sicher sein, daß der Druck der öffentlichen Meinung das Par¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0226" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123314"/> <p xml:id="ID_611" prev="#ID_610"> könnte auch vielleicht so weit gehen, daß man als Rechtspräsumtion eine<lb/> 5 jährige Pachtdauer annähme, wo kein Contract vorliegt und damit den<lb/> Pächter zu besserer Wirthschaft ermuthigte, so daß er vor Ablauf dieser Zeit<lb/> nur bei Nichtzahlung der Pacht gekündigt werden könnte. Endlich könnten<lb/> die Kündigungen selbst mit sichernden Förmlichkeiten umgeben werden, so daß<lb/> frivole Kündigungen, z. B. weil der Pächter gegen den Kandidaten des Eigen¬<lb/> thümers gestimmt, nicht vorfallen dürften.</p><lb/> <p xml:id="ID_612"> Damit aber wäre nach unserer Ansicht ziemlich das erschöpft, was die<lb/> Gesetzgebung leisten könnte. Es verlautet freilich die Regierung wolle bis zu<lb/> einem gewissen Maß mit Brights Vorschlag einen Versuch machen; wir wür¬<lb/> den einen solchen materiell für bedenklich aus den oben erwähnten Gründen<lb/> halten und glauben, daß Gladstone, wenn er auch seine conservativen Collegen<lb/> wie Löwe dafür gewönne, einen großen Sturm im Parlamente gegen sich<lb/> heraufbeschwören würde. Jedenfalls würden wir es dann für richtiger halten,<lb/> daß die Vorschüsse der Regierung Pächtern für die Verbesserung ihres Landes<lb/> gegeben würden.</p><lb/> <p xml:id="ID_613"> Die große Schwierigkeit der irischen Landfrage ist, daß die Unzufriede¬<lb/> nen etwas Anderes wollen, als was sie ostensibel fordern; deshalb ist durch<lb/> keine Gesetzgebung, wie wohlthätig sie auch an sich sein mag. dem eigent¬<lb/> lichen Uebel abzuhelfen. Dies liegt aber darin, daß bei der herrschenden<lb/> Cultur die Pachtungen durchschnittlich zu klein sind, um eine Familie zu er¬<lb/> nähren. Ein Wandel kann nur dadurch geschafft werden, daß alle jene Zwerg-<lb/> farms von 5—20 Acres verschwinden und zu ordentlichen ertragsfähigen<lb/> Wirthschaften consolidirt werden. Wenn dann das Land durch gute Be¬<lb/> stellung mehr einbringt, so kann es verhältnißmäßig mehr Menschen und<lb/> diese besser ernähren, aber immerhin weniger als sich jetzt mit Kartoffel¬<lb/> bau Hinhalten. Die Folge also ist, daß der Ueberschuß sich entweder mehr<lb/> auf die Industrie werfen oder auswandern muß und ein solcher Ueberfluß<lb/> wird sich bei der Fruchtbarkeit der Ehen immer rasch wieder bilden. Ein<lb/> genauer Kenner der Zustände, der Richter Longfield sagt: „Bloßer Ackerbau,<lb/> selbst in hoher Ausbildung kann die Bevölkerung von Irland nicht hin¬<lb/> reichend beschäftigen, wenn sie sich nicht noch sehr vermindert."</p><lb/> <p xml:id="ID_614"> Man kann sicher sein, daß der Druck der öffentlichen Meinung das Par¬<lb/> lament bewegen wird, alle wirklich bestehenden Ungerechtigkeiten des Rechts<lb/> zu beseitigen, aber die eigentliche Gestaltung der Zukunft liegt in den Händen<lb/> des irischen Volkes selbst; nur wenn dieses sich von seiner Priesterherrschaft<lb/> ebenso freimacht wie von seinen Nationaluntugenden kann es auf eine höhere<lb/> und menschenwürdigere Stufe gelangen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0226]
könnte auch vielleicht so weit gehen, daß man als Rechtspräsumtion eine
5 jährige Pachtdauer annähme, wo kein Contract vorliegt und damit den
Pächter zu besserer Wirthschaft ermuthigte, so daß er vor Ablauf dieser Zeit
nur bei Nichtzahlung der Pacht gekündigt werden könnte. Endlich könnten
die Kündigungen selbst mit sichernden Förmlichkeiten umgeben werden, so daß
frivole Kündigungen, z. B. weil der Pächter gegen den Kandidaten des Eigen¬
thümers gestimmt, nicht vorfallen dürften.
Damit aber wäre nach unserer Ansicht ziemlich das erschöpft, was die
Gesetzgebung leisten könnte. Es verlautet freilich die Regierung wolle bis zu
einem gewissen Maß mit Brights Vorschlag einen Versuch machen; wir wür¬
den einen solchen materiell für bedenklich aus den oben erwähnten Gründen
halten und glauben, daß Gladstone, wenn er auch seine conservativen Collegen
wie Löwe dafür gewönne, einen großen Sturm im Parlamente gegen sich
heraufbeschwören würde. Jedenfalls würden wir es dann für richtiger halten,
daß die Vorschüsse der Regierung Pächtern für die Verbesserung ihres Landes
gegeben würden.
Die große Schwierigkeit der irischen Landfrage ist, daß die Unzufriede¬
nen etwas Anderes wollen, als was sie ostensibel fordern; deshalb ist durch
keine Gesetzgebung, wie wohlthätig sie auch an sich sein mag. dem eigent¬
lichen Uebel abzuhelfen. Dies liegt aber darin, daß bei der herrschenden
Cultur die Pachtungen durchschnittlich zu klein sind, um eine Familie zu er¬
nähren. Ein Wandel kann nur dadurch geschafft werden, daß alle jene Zwerg-
farms von 5—20 Acres verschwinden und zu ordentlichen ertragsfähigen
Wirthschaften consolidirt werden. Wenn dann das Land durch gute Be¬
stellung mehr einbringt, so kann es verhältnißmäßig mehr Menschen und
diese besser ernähren, aber immerhin weniger als sich jetzt mit Kartoffel¬
bau Hinhalten. Die Folge also ist, daß der Ueberschuß sich entweder mehr
auf die Industrie werfen oder auswandern muß und ein solcher Ueberfluß
wird sich bei der Fruchtbarkeit der Ehen immer rasch wieder bilden. Ein
genauer Kenner der Zustände, der Richter Longfield sagt: „Bloßer Ackerbau,
selbst in hoher Ausbildung kann die Bevölkerung von Irland nicht hin¬
reichend beschäftigen, wenn sie sich nicht noch sehr vermindert."
Man kann sicher sein, daß der Druck der öffentlichen Meinung das Par¬
lament bewegen wird, alle wirklich bestehenden Ungerechtigkeiten des Rechts
zu beseitigen, aber die eigentliche Gestaltung der Zukunft liegt in den Händen
des irischen Volkes selbst; nur wenn dieses sich von seiner Priesterherrschaft
ebenso freimacht wie von seinen Nationaluntugenden kann es auf eine höhere
und menschenwürdigere Stufe gelangen.
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