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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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nun an einen Canon an die Regierung zu zahlen hätten. Afterpacht sollte
für eine gewisse Periode verboten sein. Dieses vollkommen socialistische Pro¬
jekt, welches sieben Achtel des ganzen Landes unter den Hammer bringen
und dabei noch alle freie Concurrenz ausschließen würde, ist so ungeheuerlich,
daß es kaum eine ernstere Discussion verdient; es ist auch, nachdem ein so
genauer Kenner der Verhältnisse wie Lord Dufferin sich die Mühe gegeben,
seine Verderblichkeit resp, Unmöglichkeit eingehend zu beleuchten, als beseitigt
zu betrachten und hat nur dazu geführt, daß sein Urheber seinen Sitz im
Parlament bei den letzten Wahlen verloren hat.

Das eigentliche Losungswort der irischen Agitation, welche nicht einfach
mit den Feniern die Eigenthümer gewaltsam verjagen will, ist öxilz? ot tenure,
d. h. alle gegenwärtigen Pächter sollen gesetzlich unkündbar sein, so lange sie
ihre Pacht, die von Regierungscommissären festzusetzen wäre, bezahlen. Die
blos zufällige Thatsache also, daß Jemand in einem gegebenen Zeitpunkte
ein Stück Land in Pacht hat, würde ihm ein Recht geben, es auf immer zu
behalten, so lange er eine gewisse Summe jährlich an den Eigenthümer
zahlt. Das würde nun allerdings die gegenwärtig im Besitz befindlichen
Pächter befriedigen. Wenn aber so alles Grundeigenthum festgelegt würde, so
wäre denen, die jetzt noch nicht Pächter sind, so ziemlich alle Aussicht ab¬
geschnitten, es jemals zu werden und diese Classe ist bei Weitem die zahl¬
reichste; den 450,000 Pächtern, die Irland jetzt in runder Summe -zählt,
stehen 680.000 ländliche Lohnarbeiter gegenüber, welche doch auch vorwärts
kommen wollen. Sodann ist zu bemerken, daß nichts schlimmer für das Land
wäre, als den gegenwärtigen Zustand gesetzlich zu firiren. Nach competenten
Zeugniß ist die Minimalgröße einer Pachtung, welche bet irischen Verhält¬
nissen eine Familie durchschnittlich ernähren kann, 13--20 Acres. Von den
600,000 Farms aber erreichen die Hälfte diesen Umfang nicht, ja es gibt
120,000, die weniger als S Acres groß sind, und deren Inhaber in viel
größerer Armuth vegetiren als die Tagelöhner, welche doch von der Steige¬
rung der Lohnsätze Vortheil haben. Dieses System würde also gerade die
Mehrzahl der Pächter in ihrem Besitz bestätigen, welche die allerschlechtesten
sind und den jüngeren, intelligenteren und wohlhabenderen verbieten, an ihre
Stelle zu treten. Es läßt sich ferner nicht in Abrede stellen, daß damit der
beklagte Absentismus der Eigenthümer allgemein werden würde, denn was
könnte wohl dieselben bewegen, auf Gütern zu wohnen, auf deren Verbesse¬
rung sie nicht mehr den geringsten Einfluß hätten. Ihre Rente wäre durch
den Staat gesichert, sie hätten keine Macht, den Pächter zu bewegen, Melio¬
rationen vorzunehmen, noch ein Interesse dies selbst zu thun, da sie keine
Zinsen dafür in Gestalt erhöhter Pachter bekämen, sie könnten keinen nichts¬
nutzigen Pächter wegschicken, der das Land ruinirte, so lange er noch seinen


nun an einen Canon an die Regierung zu zahlen hätten. Afterpacht sollte
für eine gewisse Periode verboten sein. Dieses vollkommen socialistische Pro¬
jekt, welches sieben Achtel des ganzen Landes unter den Hammer bringen
und dabei noch alle freie Concurrenz ausschließen würde, ist so ungeheuerlich,
daß es kaum eine ernstere Discussion verdient; es ist auch, nachdem ein so
genauer Kenner der Verhältnisse wie Lord Dufferin sich die Mühe gegeben,
seine Verderblichkeit resp, Unmöglichkeit eingehend zu beleuchten, als beseitigt
zu betrachten und hat nur dazu geführt, daß sein Urheber seinen Sitz im
Parlament bei den letzten Wahlen verloren hat.

Das eigentliche Losungswort der irischen Agitation, welche nicht einfach
mit den Feniern die Eigenthümer gewaltsam verjagen will, ist öxilz? ot tenure,
d. h. alle gegenwärtigen Pächter sollen gesetzlich unkündbar sein, so lange sie
ihre Pacht, die von Regierungscommissären festzusetzen wäre, bezahlen. Die
blos zufällige Thatsache also, daß Jemand in einem gegebenen Zeitpunkte
ein Stück Land in Pacht hat, würde ihm ein Recht geben, es auf immer zu
behalten, so lange er eine gewisse Summe jährlich an den Eigenthümer
zahlt. Das würde nun allerdings die gegenwärtig im Besitz befindlichen
Pächter befriedigen. Wenn aber so alles Grundeigenthum festgelegt würde, so
wäre denen, die jetzt noch nicht Pächter sind, so ziemlich alle Aussicht ab¬
geschnitten, es jemals zu werden und diese Classe ist bei Weitem die zahl¬
reichste; den 450,000 Pächtern, die Irland jetzt in runder Summe -zählt,
stehen 680.000 ländliche Lohnarbeiter gegenüber, welche doch auch vorwärts
kommen wollen. Sodann ist zu bemerken, daß nichts schlimmer für das Land
wäre, als den gegenwärtigen Zustand gesetzlich zu firiren. Nach competenten
Zeugniß ist die Minimalgröße einer Pachtung, welche bet irischen Verhält¬
nissen eine Familie durchschnittlich ernähren kann, 13—20 Acres. Von den
600,000 Farms aber erreichen die Hälfte diesen Umfang nicht, ja es gibt
120,000, die weniger als S Acres groß sind, und deren Inhaber in viel
größerer Armuth vegetiren als die Tagelöhner, welche doch von der Steige¬
rung der Lohnsätze Vortheil haben. Dieses System würde also gerade die
Mehrzahl der Pächter in ihrem Besitz bestätigen, welche die allerschlechtesten
sind und den jüngeren, intelligenteren und wohlhabenderen verbieten, an ihre
Stelle zu treten. Es läßt sich ferner nicht in Abrede stellen, daß damit der
beklagte Absentismus der Eigenthümer allgemein werden würde, denn was
könnte wohl dieselben bewegen, auf Gütern zu wohnen, auf deren Verbesse¬
rung sie nicht mehr den geringsten Einfluß hätten. Ihre Rente wäre durch
den Staat gesichert, sie hätten keine Macht, den Pächter zu bewegen, Melio¬
rationen vorzunehmen, noch ein Interesse dies selbst zu thun, da sie keine
Zinsen dafür in Gestalt erhöhter Pachter bekämen, sie könnten keinen nichts¬
nutzigen Pächter wegschicken, der das Land ruinirte, so lange er noch seinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/220>, abgerufen am 26.06.2024.