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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Weit tiefer greifen die Ursachen, welche in der Eigenthümlichkeit des
Bodens und der Bewohner liegen. Irland ist durchschnittlich ein armes
Land, das sich zu intensiver Cultur nicht eignet, ein Viertel des ganzen
Flächenraums der Insel liegt wüste und zum größten Theile, weil es aus
Moor, Sumpf und Haide besteht. Der Leichtsinn des beweglichen kelti¬
schen Volkes lebt zumeist von einem Tage zum andern, ohne an sorg¬
fältige Bewirthschaftung des Bodens zu denken, während dieser bei der
sprichwörtlich gewordenen Fruchtbarkeit der Ehen immer weniger im
Stande sein konnte die Familien zu ernähren. Dazu kommen die Trunk-
und Händelsucht und die Unwissenheit, welche die Jrländer auch in Amerika
so verhaßt gemacht haben. So war es nicht zu verwundern, daß das Elend
sich immer mehr steigerte, bis es in der Hungersnoth von 1848 seinen Gipfel
erreichte. Für dasselbe gab es, da es wesentlich in der Uebervölkerung seinen
Grund hatte kein Heilmittel als die massenhafte Auswanderung, die von da
ab begann und ohne welche die Hungersnoth auf der grünen Insel perma¬
nent geworden sein müßte; auch nach einem Abzug von 3 Millionen Men¬
schen bleibt dieselbe noch das nahezu dtchtst bevölkerte Land der Welt.

Daß inzwischen nach diesem Exodus sich die materielle Lage ungemein
verbessert hat ist nicht zu leugnen, der Werth des Landes und die Löhne
sind ebenso gestiegen wie die Einlagen in die Sparcassen und die Tonnen¬
zahl der Handelsmarine. Gleichwohl ist wie erwähnt die Unzufriedenheit
allgemein; sie läßt sich nicht blos auf die fenischen Agitatoren zurückführen,
welche nach Beendigung des amerikanischen Bürgerkriegs ihre gewonnene
militärische Erfahrung benutzen möchten um das verhaßte englische Joch ab¬
zuschütteln. Ihrem Verlangen, die Eroberer, d. h. die englischen Grund¬
herren zu verjagen und die Pächter zu Eigenthümern zu machen, kann die
Regierung nicht anderes als mit dem Schwert entgegentreten, aber es ver¬
lohnt sich wohl näher zuzusehen, welches die wirklichen Ursachen der Unzu¬
friedenheit sind, die jene Agitatoren ausbeuten und inwiefern sich durch die
Gesetzgebung Abhilfe schaffen läßt.

Von den Vorschlägen, welche zu dem Ende gemacht sind, geht am weite¬
sten der Mill's, nach welchem nur die Eigenthümer, welche ihre Güter selbst
bewirthschaften, also thatsächlich eine verhältnißmäßig geringe Zahl, im Besitz
bleiben sollen, dagegen das gesammte in Pacht befindliche Landeigenthum in
Irland einem Zwangsverkauf unterliegen solle, wobei die Preise durch Par-
lamentscommissäre zu bestimmen wären. Wenn die Pachtsumme von diesen
zu hoch befunden würde, sollte dem Eigenthümer nur der von ihnen zu bestim¬
mende niedrigere Taxwerth vergütet werden. Die so disponibel gemachten
Ländereien sollten dann den Pächtern überantwortet werden, die im Augen¬
blicke, wo die Maßregel Gesetz würde, Ah Keto im Besitze sind und die von


Weit tiefer greifen die Ursachen, welche in der Eigenthümlichkeit des
Bodens und der Bewohner liegen. Irland ist durchschnittlich ein armes
Land, das sich zu intensiver Cultur nicht eignet, ein Viertel des ganzen
Flächenraums der Insel liegt wüste und zum größten Theile, weil es aus
Moor, Sumpf und Haide besteht. Der Leichtsinn des beweglichen kelti¬
schen Volkes lebt zumeist von einem Tage zum andern, ohne an sorg¬
fältige Bewirthschaftung des Bodens zu denken, während dieser bei der
sprichwörtlich gewordenen Fruchtbarkeit der Ehen immer weniger im
Stande sein konnte die Familien zu ernähren. Dazu kommen die Trunk-
und Händelsucht und die Unwissenheit, welche die Jrländer auch in Amerika
so verhaßt gemacht haben. So war es nicht zu verwundern, daß das Elend
sich immer mehr steigerte, bis es in der Hungersnoth von 1848 seinen Gipfel
erreichte. Für dasselbe gab es, da es wesentlich in der Uebervölkerung seinen
Grund hatte kein Heilmittel als die massenhafte Auswanderung, die von da
ab begann und ohne welche die Hungersnoth auf der grünen Insel perma¬
nent geworden sein müßte; auch nach einem Abzug von 3 Millionen Men¬
schen bleibt dieselbe noch das nahezu dtchtst bevölkerte Land der Welt.

Daß inzwischen nach diesem Exodus sich die materielle Lage ungemein
verbessert hat ist nicht zu leugnen, der Werth des Landes und die Löhne
sind ebenso gestiegen wie die Einlagen in die Sparcassen und die Tonnen¬
zahl der Handelsmarine. Gleichwohl ist wie erwähnt die Unzufriedenheit
allgemein; sie läßt sich nicht blos auf die fenischen Agitatoren zurückführen,
welche nach Beendigung des amerikanischen Bürgerkriegs ihre gewonnene
militärische Erfahrung benutzen möchten um das verhaßte englische Joch ab¬
zuschütteln. Ihrem Verlangen, die Eroberer, d. h. die englischen Grund¬
herren zu verjagen und die Pächter zu Eigenthümern zu machen, kann die
Regierung nicht anderes als mit dem Schwert entgegentreten, aber es ver¬
lohnt sich wohl näher zuzusehen, welches die wirklichen Ursachen der Unzu¬
friedenheit sind, die jene Agitatoren ausbeuten und inwiefern sich durch die
Gesetzgebung Abhilfe schaffen läßt.

Von den Vorschlägen, welche zu dem Ende gemacht sind, geht am weite¬
sten der Mill's, nach welchem nur die Eigenthümer, welche ihre Güter selbst
bewirthschaften, also thatsächlich eine verhältnißmäßig geringe Zahl, im Besitz
bleiben sollen, dagegen das gesammte in Pacht befindliche Landeigenthum in
Irland einem Zwangsverkauf unterliegen solle, wobei die Preise durch Par-
lamentscommissäre zu bestimmen wären. Wenn die Pachtsumme von diesen
zu hoch befunden würde, sollte dem Eigenthümer nur der von ihnen zu bestim¬
mende niedrigere Taxwerth vergütet werden. Die so disponibel gemachten
Ländereien sollten dann den Pächtern überantwortet werden, die im Augen¬
blicke, wo die Maßregel Gesetz würde, Ah Keto im Besitze sind und die von


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[0219] Weit tiefer greifen die Ursachen, welche in der Eigenthümlichkeit des Bodens und der Bewohner liegen. Irland ist durchschnittlich ein armes Land, das sich zu intensiver Cultur nicht eignet, ein Viertel des ganzen Flächenraums der Insel liegt wüste und zum größten Theile, weil es aus Moor, Sumpf und Haide besteht. Der Leichtsinn des beweglichen kelti¬ schen Volkes lebt zumeist von einem Tage zum andern, ohne an sorg¬ fältige Bewirthschaftung des Bodens zu denken, während dieser bei der sprichwörtlich gewordenen Fruchtbarkeit der Ehen immer weniger im Stande sein konnte die Familien zu ernähren. Dazu kommen die Trunk- und Händelsucht und die Unwissenheit, welche die Jrländer auch in Amerika so verhaßt gemacht haben. So war es nicht zu verwundern, daß das Elend sich immer mehr steigerte, bis es in der Hungersnoth von 1848 seinen Gipfel erreichte. Für dasselbe gab es, da es wesentlich in der Uebervölkerung seinen Grund hatte kein Heilmittel als die massenhafte Auswanderung, die von da ab begann und ohne welche die Hungersnoth auf der grünen Insel perma¬ nent geworden sein müßte; auch nach einem Abzug von 3 Millionen Men¬ schen bleibt dieselbe noch das nahezu dtchtst bevölkerte Land der Welt. Daß inzwischen nach diesem Exodus sich die materielle Lage ungemein verbessert hat ist nicht zu leugnen, der Werth des Landes und die Löhne sind ebenso gestiegen wie die Einlagen in die Sparcassen und die Tonnen¬ zahl der Handelsmarine. Gleichwohl ist wie erwähnt die Unzufriedenheit allgemein; sie läßt sich nicht blos auf die fenischen Agitatoren zurückführen, welche nach Beendigung des amerikanischen Bürgerkriegs ihre gewonnene militärische Erfahrung benutzen möchten um das verhaßte englische Joch ab¬ zuschütteln. Ihrem Verlangen, die Eroberer, d. h. die englischen Grund¬ herren zu verjagen und die Pächter zu Eigenthümern zu machen, kann die Regierung nicht anderes als mit dem Schwert entgegentreten, aber es ver¬ lohnt sich wohl näher zuzusehen, welches die wirklichen Ursachen der Unzu¬ friedenheit sind, die jene Agitatoren ausbeuten und inwiefern sich durch die Gesetzgebung Abhilfe schaffen läßt. Von den Vorschlägen, welche zu dem Ende gemacht sind, geht am weite¬ sten der Mill's, nach welchem nur die Eigenthümer, welche ihre Güter selbst bewirthschaften, also thatsächlich eine verhältnißmäßig geringe Zahl, im Besitz bleiben sollen, dagegen das gesammte in Pacht befindliche Landeigenthum in Irland einem Zwangsverkauf unterliegen solle, wobei die Preise durch Par- lamentscommissäre zu bestimmen wären. Wenn die Pachtsumme von diesen zu hoch befunden würde, sollte dem Eigenthümer nur der von ihnen zu bestim¬ mende niedrigere Taxwerth vergütet werden. Die so disponibel gemachten Ländereien sollten dann den Pächtern überantwortet werden, die im Augen¬ blicke, wo die Maßregel Gesetz würde, Ah Keto im Besitze sind und die von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/219>, abgerufen am 26.06.2024.