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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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liegt wesentlich darin, daß der Grund und Boden ganz überwiegend im Besitz
einer fremden Race ist und daß in Folge davon alle die vielfältigen sittlichen
Bande fehlen, welche sonst überall zwischen den Eigenthümern und Bedauern
des Bodens bestehen. Die Eroberungskriege und später die Aufstände und
religiösen Kämpfe haben in früheren Zeiten zu massenhaften Confiscationen
geführt, welche fast den gesammten Grundbesitz den alten Eigenthümern nah¬
men und den Eroberern überlieferten. So ist Irland seit Jahrhunderten in
zwei feindliche Classen geschieden, die protestantischen gebildeten und wohlha¬
benden Eigenthümer, die katholischen ungebildeten, abergläubischen und armen
Pächter und Arbeiter. Ein solcher Zustand hat in Europa kein Seitenstück;
selbst in Rußland war der Leibeigene vor den Reformen Alexanders II. mit
seinem Grundherrn durch gleiche Race und Religion verbunden. Die nächste
Folge dieser Entfremdung war der Absentismus, der Aufenthalt der Eigen¬
thümer im Auslande. Sie scheuten sich inmitten eines ihnen feindlichen
Volkes zu wohnen und übergaben die Verwaltung ihrer Güter an Agenten,
welche große Strecken Landes von ihnen pachteten und dasselbe dann in
kleine Parcellen an die Bauern verafterpachteten; besonders kommt in dieser
Beziehung auch der große Grundbesitz in Betracht, den englische Korporatio¬
nen in Irland haben und der sich zusammen auf 4 Mill. Acres mit 2^ Mill.
Pfd. sert. jährlicher Pacht beläuft. Die ökonomischen Nachtheile dieses Systems
sind sehr oft übertrieben worden; ob die Abwesenheit eines Eigenthümers gut
wirkt oder nicht, hängt im einzelnen Falle von ihm ab, ein tüchtiger Ver¬
walter kann eben so viel und mehr als er selbst thun, kritikloses Almosen¬
geben kann nur schaden und die Ausgaben, die er für seinen Haushalt im
Lande macht, verschlagen im Großen und Ganzen wenig. Außerdem hat
der Absentismus sehr abgenommen. Lords die in mehreren verschiedenen Graf¬
schaften Besitzungen haben, können freilich nur in einer wohnen und gelten
für die andern als abwesend, aber im Ganzen haben die Eigenthümer ein¬
gesehen, daß ihr eigenes Interesse erfordert sich mit ihren Pächtern und Ar¬
beitern gut zu stellen. Lord Dufferin und der Herzog von Devonshire sind
darin mit rühmlichem Beispiel vorangegangen, ersterer hat 30,000 Pfd. sert.
für Meliorationen seiner Ländereien ausgegeben und zahlte 10,000 Pfd. sert.
an seine Pächter als Vergütung; der Agent einiger andern großen Eigen¬
thümer legte vor dem Comite des Oberhauses dar, daß er im Auftrag seiner
Vollmachtgeber für gleiche Zwecke in 17 Jahren die Summe von 142,000
Pfd. sert. ausgezahlt habe. Ein moralisches Uebel bleibt freilich der Absen¬
tismus immer, insofern er die Entfremdung beider Classen aufrecht hält,
aber sein Aufhören läßt sich nicht erzwingen und am wenigsten würden Ma߬
regeln dazu führen, welche den ganzen Besitz unsicher oder werthlos machen
würden.


liegt wesentlich darin, daß der Grund und Boden ganz überwiegend im Besitz
einer fremden Race ist und daß in Folge davon alle die vielfältigen sittlichen
Bande fehlen, welche sonst überall zwischen den Eigenthümern und Bedauern
des Bodens bestehen. Die Eroberungskriege und später die Aufstände und
religiösen Kämpfe haben in früheren Zeiten zu massenhaften Confiscationen
geführt, welche fast den gesammten Grundbesitz den alten Eigenthümern nah¬
men und den Eroberern überlieferten. So ist Irland seit Jahrhunderten in
zwei feindliche Classen geschieden, die protestantischen gebildeten und wohlha¬
benden Eigenthümer, die katholischen ungebildeten, abergläubischen und armen
Pächter und Arbeiter. Ein solcher Zustand hat in Europa kein Seitenstück;
selbst in Rußland war der Leibeigene vor den Reformen Alexanders II. mit
seinem Grundherrn durch gleiche Race und Religion verbunden. Die nächste
Folge dieser Entfremdung war der Absentismus, der Aufenthalt der Eigen¬
thümer im Auslande. Sie scheuten sich inmitten eines ihnen feindlichen
Volkes zu wohnen und übergaben die Verwaltung ihrer Güter an Agenten,
welche große Strecken Landes von ihnen pachteten und dasselbe dann in
kleine Parcellen an die Bauern verafterpachteten; besonders kommt in dieser
Beziehung auch der große Grundbesitz in Betracht, den englische Korporatio¬
nen in Irland haben und der sich zusammen auf 4 Mill. Acres mit 2^ Mill.
Pfd. sert. jährlicher Pacht beläuft. Die ökonomischen Nachtheile dieses Systems
sind sehr oft übertrieben worden; ob die Abwesenheit eines Eigenthümers gut
wirkt oder nicht, hängt im einzelnen Falle von ihm ab, ein tüchtiger Ver¬
walter kann eben so viel und mehr als er selbst thun, kritikloses Almosen¬
geben kann nur schaden und die Ausgaben, die er für seinen Haushalt im
Lande macht, verschlagen im Großen und Ganzen wenig. Außerdem hat
der Absentismus sehr abgenommen. Lords die in mehreren verschiedenen Graf¬
schaften Besitzungen haben, können freilich nur in einer wohnen und gelten
für die andern als abwesend, aber im Ganzen haben die Eigenthümer ein¬
gesehen, daß ihr eigenes Interesse erfordert sich mit ihren Pächtern und Ar¬
beitern gut zu stellen. Lord Dufferin und der Herzog von Devonshire sind
darin mit rühmlichem Beispiel vorangegangen, ersterer hat 30,000 Pfd. sert.
für Meliorationen seiner Ländereien ausgegeben und zahlte 10,000 Pfd. sert.
an seine Pächter als Vergütung; der Agent einiger andern großen Eigen¬
thümer legte vor dem Comite des Oberhauses dar, daß er im Auftrag seiner
Vollmachtgeber für gleiche Zwecke in 17 Jahren die Summe von 142,000
Pfd. sert. ausgezahlt habe. Ein moralisches Uebel bleibt freilich der Absen¬
tismus immer, insofern er die Entfremdung beider Classen aufrecht hält,
aber sein Aufhören läßt sich nicht erzwingen und am wenigsten würden Ma߬
regeln dazu führen, welche den ganzen Besitz unsicher oder werthlos machen
würden.


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[0218] liegt wesentlich darin, daß der Grund und Boden ganz überwiegend im Besitz einer fremden Race ist und daß in Folge davon alle die vielfältigen sittlichen Bande fehlen, welche sonst überall zwischen den Eigenthümern und Bedauern des Bodens bestehen. Die Eroberungskriege und später die Aufstände und religiösen Kämpfe haben in früheren Zeiten zu massenhaften Confiscationen geführt, welche fast den gesammten Grundbesitz den alten Eigenthümern nah¬ men und den Eroberern überlieferten. So ist Irland seit Jahrhunderten in zwei feindliche Classen geschieden, die protestantischen gebildeten und wohlha¬ benden Eigenthümer, die katholischen ungebildeten, abergläubischen und armen Pächter und Arbeiter. Ein solcher Zustand hat in Europa kein Seitenstück; selbst in Rußland war der Leibeigene vor den Reformen Alexanders II. mit seinem Grundherrn durch gleiche Race und Religion verbunden. Die nächste Folge dieser Entfremdung war der Absentismus, der Aufenthalt der Eigen¬ thümer im Auslande. Sie scheuten sich inmitten eines ihnen feindlichen Volkes zu wohnen und übergaben die Verwaltung ihrer Güter an Agenten, welche große Strecken Landes von ihnen pachteten und dasselbe dann in kleine Parcellen an die Bauern verafterpachteten; besonders kommt in dieser Beziehung auch der große Grundbesitz in Betracht, den englische Korporatio¬ nen in Irland haben und der sich zusammen auf 4 Mill. Acres mit 2^ Mill. Pfd. sert. jährlicher Pacht beläuft. Die ökonomischen Nachtheile dieses Systems sind sehr oft übertrieben worden; ob die Abwesenheit eines Eigenthümers gut wirkt oder nicht, hängt im einzelnen Falle von ihm ab, ein tüchtiger Ver¬ walter kann eben so viel und mehr als er selbst thun, kritikloses Almosen¬ geben kann nur schaden und die Ausgaben, die er für seinen Haushalt im Lande macht, verschlagen im Großen und Ganzen wenig. Außerdem hat der Absentismus sehr abgenommen. Lords die in mehreren verschiedenen Graf¬ schaften Besitzungen haben, können freilich nur in einer wohnen und gelten für die andern als abwesend, aber im Ganzen haben die Eigenthümer ein¬ gesehen, daß ihr eigenes Interesse erfordert sich mit ihren Pächtern und Ar¬ beitern gut zu stellen. Lord Dufferin und der Herzog von Devonshire sind darin mit rühmlichem Beispiel vorangegangen, ersterer hat 30,000 Pfd. sert. für Meliorationen seiner Ländereien ausgegeben und zahlte 10,000 Pfd. sert. an seine Pächter als Vergütung; der Agent einiger andern großen Eigen¬ thümer legte vor dem Comite des Oberhauses dar, daß er im Auftrag seiner Vollmachtgeber für gleiche Zwecke in 17 Jahren die Summe von 142,000 Pfd. sert. ausgezahlt habe. Ein moralisches Uebel bleibt freilich der Absen¬ tismus immer, insofern er die Entfremdung beider Classen aufrecht hält, aber sein Aufhören läßt sich nicht erzwingen und am wenigsten würden Ma߬ regeln dazu führen, welche den ganzen Besitz unsicher oder werthlos machen würden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/218>, abgerufen am 26.06.2024.