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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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danken Lord Strathnairn bedeutende militärische Verstärkungen nach Irland
geschickt um durch Entfaltung imponirender Kräfte die Unruhstifter einzuschüch¬
tern. Die Tories fühlen sich durch diese Haltlosigkeit sehr ermuthigt und
klagen die Regierung an, daß ihre Maßregeln allein die Begehrlichkeit des
leidenschaftlichen, beweglichen Volks aufgestachelt hätten, während Irland unter
Lord Derby's Ministerium ruhig gewesen und die Energie des Herzogs von
Abercorn mit den Feniern leicht fertig geworden sei.

Aber auch in allen Fractionen der liberalen Partei sind Anzeichen der
Uneinigkeit und Unzufriedenheit nur zu ersichtlich. Die alten Whigs haben
Gladstone nie sehr geliebt, noch weniger Bright; eine Reihe tactloser Er¬
nennungen wie die Layards zum Gesandten in Madrid, Ayrton's an dessen
Stelle, sowie die Manie überall Ersparungen einzuführen, haben viel böses
Blut gemacht. Gladstone's eigene Gesundheit ist schwankend geworden, trotz
aller Erholungen haben die Aufregungen einjähriger Amtsthätigkeit seine leiden¬
schaftlich erregbare Natur furchtbar mitgenommen und jetzt steht er vor
einer Aufgabe, über welche kaum zwei Menschen einig sind und für deren
Lösung sich die Erwartungen selbst der vernünftigeren Classe der irischen Be¬
völkerung und die feststehenden Grundsätze der Volkswirthschaft unversöhnlich
gegenüberstehen. Diese Frage ist die irische Landfrage, die wir vor andert¬
halb Jahren schon einmal in allgemeinen Zügen berührten, die aber bei
ihrer jetzigen praktischen Bedeutsamkeit eine nähere Betrachtung verdient.

Irland ist ein schlagendes Beispiel dafür, daß die freisinnigsten politi¬
schen Gesetze einem Lande nichts helfen, wenn die Harmonie in der religiösen,
nationalen und gesellschaftlichen Organisation fehlt. Irland hat mehr Freiheit
als viele Staaten, die sich weit besser befinden; bis zu welchem Grade die
Preß- und Vereinsfreiheit geht, lehrt ein Blick auf die Zeitungen und Mee¬
tings, in denen der Aufruhr offen gepredigt wird, die Jrländer haben die¬
selben politischen Rechte wie Engländer und Schotten, ja ihre Vertreter üben
oft einen unverhältmäßigen Einfluß, wenn in ihrer Hand die Entscheidung
für oder gegen liegt. O'Connell stellte es, wie die deutschen Ultramontanen
thun, als Grundsatz auf, daß die irischen Mitglieder mit den Tories oder
Whigs je nach deren Angebot für Irland zu stimmen hätten.

Der Staat hat mehr für die irischen Schulen gethan als für die eng¬
lischen, die religiöse Freiheit wird respectirt, ein besonderes katholisches Seminar
wird vom Staat bezahlt, der katholische Clerus hat vollständig freien Spiel¬
raum und doch geberdet sich das Land als ein schmählich unterdrücktes.

Diese Erscheinung wird noch auffallender, wenn man in Betracht zieht,
daß Irland und daß namentlich das katholische unzufriedene Irland fast
ausschließlich von Ackerbau lebt, ein Zustand, der sonst als besonders geeignet
für die Erhaltung der Ordnung und des socialen Friedens gilt. Das Unheil


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danken Lord Strathnairn bedeutende militärische Verstärkungen nach Irland
geschickt um durch Entfaltung imponirender Kräfte die Unruhstifter einzuschüch¬
tern. Die Tories fühlen sich durch diese Haltlosigkeit sehr ermuthigt und
klagen die Regierung an, daß ihre Maßregeln allein die Begehrlichkeit des
leidenschaftlichen, beweglichen Volks aufgestachelt hätten, während Irland unter
Lord Derby's Ministerium ruhig gewesen und die Energie des Herzogs von
Abercorn mit den Feniern leicht fertig geworden sei.

Aber auch in allen Fractionen der liberalen Partei sind Anzeichen der
Uneinigkeit und Unzufriedenheit nur zu ersichtlich. Die alten Whigs haben
Gladstone nie sehr geliebt, noch weniger Bright; eine Reihe tactloser Er¬
nennungen wie die Layards zum Gesandten in Madrid, Ayrton's an dessen
Stelle, sowie die Manie überall Ersparungen einzuführen, haben viel böses
Blut gemacht. Gladstone's eigene Gesundheit ist schwankend geworden, trotz
aller Erholungen haben die Aufregungen einjähriger Amtsthätigkeit seine leiden¬
schaftlich erregbare Natur furchtbar mitgenommen und jetzt steht er vor
einer Aufgabe, über welche kaum zwei Menschen einig sind und für deren
Lösung sich die Erwartungen selbst der vernünftigeren Classe der irischen Be¬
völkerung und die feststehenden Grundsätze der Volkswirthschaft unversöhnlich
gegenüberstehen. Diese Frage ist die irische Landfrage, die wir vor andert¬
halb Jahren schon einmal in allgemeinen Zügen berührten, die aber bei
ihrer jetzigen praktischen Bedeutsamkeit eine nähere Betrachtung verdient.

Irland ist ein schlagendes Beispiel dafür, daß die freisinnigsten politi¬
schen Gesetze einem Lande nichts helfen, wenn die Harmonie in der religiösen,
nationalen und gesellschaftlichen Organisation fehlt. Irland hat mehr Freiheit
als viele Staaten, die sich weit besser befinden; bis zu welchem Grade die
Preß- und Vereinsfreiheit geht, lehrt ein Blick auf die Zeitungen und Mee¬
tings, in denen der Aufruhr offen gepredigt wird, die Jrländer haben die¬
selben politischen Rechte wie Engländer und Schotten, ja ihre Vertreter üben
oft einen unverhältmäßigen Einfluß, wenn in ihrer Hand die Entscheidung
für oder gegen liegt. O'Connell stellte es, wie die deutschen Ultramontanen
thun, als Grundsatz auf, daß die irischen Mitglieder mit den Tories oder
Whigs je nach deren Angebot für Irland zu stimmen hätten.

Der Staat hat mehr für die irischen Schulen gethan als für die eng¬
lischen, die religiöse Freiheit wird respectirt, ein besonderes katholisches Seminar
wird vom Staat bezahlt, der katholische Clerus hat vollständig freien Spiel¬
raum und doch geberdet sich das Land als ein schmählich unterdrücktes.

Diese Erscheinung wird noch auffallender, wenn man in Betracht zieht,
daß Irland und daß namentlich das katholische unzufriedene Irland fast
ausschließlich von Ackerbau lebt, ein Zustand, der sonst als besonders geeignet
für die Erhaltung der Ordnung und des socialen Friedens gilt. Das Unheil


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[0217] danken Lord Strathnairn bedeutende militärische Verstärkungen nach Irland geschickt um durch Entfaltung imponirender Kräfte die Unruhstifter einzuschüch¬ tern. Die Tories fühlen sich durch diese Haltlosigkeit sehr ermuthigt und klagen die Regierung an, daß ihre Maßregeln allein die Begehrlichkeit des leidenschaftlichen, beweglichen Volks aufgestachelt hätten, während Irland unter Lord Derby's Ministerium ruhig gewesen und die Energie des Herzogs von Abercorn mit den Feniern leicht fertig geworden sei. Aber auch in allen Fractionen der liberalen Partei sind Anzeichen der Uneinigkeit und Unzufriedenheit nur zu ersichtlich. Die alten Whigs haben Gladstone nie sehr geliebt, noch weniger Bright; eine Reihe tactloser Er¬ nennungen wie die Layards zum Gesandten in Madrid, Ayrton's an dessen Stelle, sowie die Manie überall Ersparungen einzuführen, haben viel böses Blut gemacht. Gladstone's eigene Gesundheit ist schwankend geworden, trotz aller Erholungen haben die Aufregungen einjähriger Amtsthätigkeit seine leiden¬ schaftlich erregbare Natur furchtbar mitgenommen und jetzt steht er vor einer Aufgabe, über welche kaum zwei Menschen einig sind und für deren Lösung sich die Erwartungen selbst der vernünftigeren Classe der irischen Be¬ völkerung und die feststehenden Grundsätze der Volkswirthschaft unversöhnlich gegenüberstehen. Diese Frage ist die irische Landfrage, die wir vor andert¬ halb Jahren schon einmal in allgemeinen Zügen berührten, die aber bei ihrer jetzigen praktischen Bedeutsamkeit eine nähere Betrachtung verdient. Irland ist ein schlagendes Beispiel dafür, daß die freisinnigsten politi¬ schen Gesetze einem Lande nichts helfen, wenn die Harmonie in der religiösen, nationalen und gesellschaftlichen Organisation fehlt. Irland hat mehr Freiheit als viele Staaten, die sich weit besser befinden; bis zu welchem Grade die Preß- und Vereinsfreiheit geht, lehrt ein Blick auf die Zeitungen und Mee¬ tings, in denen der Aufruhr offen gepredigt wird, die Jrländer haben die¬ selben politischen Rechte wie Engländer und Schotten, ja ihre Vertreter üben oft einen unverhältmäßigen Einfluß, wenn in ihrer Hand die Entscheidung für oder gegen liegt. O'Connell stellte es, wie die deutschen Ultramontanen thun, als Grundsatz auf, daß die irischen Mitglieder mit den Tories oder Whigs je nach deren Angebot für Irland zu stimmen hätten. Der Staat hat mehr für die irischen Schulen gethan als für die eng¬ lischen, die religiöse Freiheit wird respectirt, ein besonderes katholisches Seminar wird vom Staat bezahlt, der katholische Clerus hat vollständig freien Spiel¬ raum und doch geberdet sich das Land als ein schmählich unterdrücktes. Diese Erscheinung wird noch auffallender, wenn man in Betracht zieht, daß Irland und daß namentlich das katholische unzufriedene Irland fast ausschließlich von Ackerbau lebt, ein Zustand, der sonst als besonders geeignet für die Erhaltung der Ordnung und des socialen Friedens gilt. Das Unheil 27 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/217>, abgerufen am 26.06.2024.