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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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v. Bonin ein Bedenken zu sehen (derselbe fürchtet, es werde auf diese Weise
alljährlich ein Zankapfel in den Landtag geworfen, ob und wie viel im Etat
zur Schuldentilgung festzusetzen sei) -- sehen wir in solcher Beweglichkeit des
betreffenden Budgetpostens einen Vortheil und eine Sicherung des Mit¬
bestimmungsrechtes der Volksvertretung. Sie wird zu erwägen haben, was
für das Land besser sei, Schulden zu tilgen oder Steuern, zu ermäßigen.
Ersteres wird aber fast immer vortheilhafter sein, wenn der Finanzminister
Renten zum Tagescours kauft, als wenn er wie jetzt zu pari auflösen läßt,
denn der Cours wird gewöhnlich unter dem Nominalbetrag stehen: steigt er
stetig über denselben, so gibt das die Möglichkeit einer Zinsreduction.

Alle diese Gründe lassen es auch für den preußischen Staat als das
einzig richtige erscheinen, die bunte Mannigfaltigkeit seiner Schuldentitel,
welche bis Zato nicht weniger als 113 Gattungen von Pcipieren von den
verschiedensten Beträgen, Tilgungsperioden, Zinszahlungs- und Auslosungs¬
terminen umfaßten, zu unificiren und in eine preußische Rente zu consoli-
diren. Diese Mannigfaltigkeit der preußischen Staatspapiere erschwert die
Uebersicht über die Staatsschuld im Ganzen und das Verständniß für die
einzelnen Papiere, was eine größere Verbreitung schon deshalb hindert, weil
es den Besitzern im Veräußerungsfall schwer wird, Käufer zu finden. Die
Beschränkung des Nehmerkreises einerseits und die Erschwerungen des Han¬
dels in den Papieren andererseits aber geben den Obligationen kleinerer An¬
leihen einen geringeren Werth, als die größeren haben, auch in dem Falle,
wo die Sicherheit eine ganz gleiche ist; bleiben doch selbst jetzt nassauische
und kurhessische Papiere gegen preußische regelmäßig 1--2 Procent zurück.
Je kleiner aber ein Markt ist, um so größeren Schwankungen unterliegt der
Preis der daselbst feilgebotene Waaren, weil jede Zu- und Abnahme von
Angebot und Nachfrage stärker einwirken muß. Eine Consolidation muß
also in jeder Hinsicht wohlthätig wirken.

Gleichwohl hat Camphausen sich auch darin als besonnenen Practiker
gezeigt, daß er, um dem neuen Princip Eingang zu verschaffen, seine Opera¬
tion nur mit einem Theile der Staatsschuld begonnen, nämlich mit der 4'/s
und 4procent!gen Schuld der älteren Landestheile; erstere beläuft sich auf
170.461,000 Thlr., letztere auf 52,967.800 Thlr. Wird nun die fortschreitende
Tilgungspflicht von 1 Proc. des Schuldbetrags aufgehoben, so wird die
Staatscasse damit um 3,422.853 Thlr. entlastet, also soviel, als das durch
Mehreinnahmen reducirte Deficit ungefähr beträgt, während für 201 Mill.,
(nämlich 3, 3^2 und 3procent!ge preußische Anleihen und die Schulden der
neueren Landestheile) die alte Tilgungspflicht fortbesteht. Um aber auch so
für die spätere Zukunft noch freie Hand zu behalten, hat der Staat nur bis
zum 1. Januar 1885 auf das Kündigungsrecht verzichtet. Inzwischen wer-


v. Bonin ein Bedenken zu sehen (derselbe fürchtet, es werde auf diese Weise
alljährlich ein Zankapfel in den Landtag geworfen, ob und wie viel im Etat
zur Schuldentilgung festzusetzen sei) — sehen wir in solcher Beweglichkeit des
betreffenden Budgetpostens einen Vortheil und eine Sicherung des Mit¬
bestimmungsrechtes der Volksvertretung. Sie wird zu erwägen haben, was
für das Land besser sei, Schulden zu tilgen oder Steuern, zu ermäßigen.
Ersteres wird aber fast immer vortheilhafter sein, wenn der Finanzminister
Renten zum Tagescours kauft, als wenn er wie jetzt zu pari auflösen läßt,
denn der Cours wird gewöhnlich unter dem Nominalbetrag stehen: steigt er
stetig über denselben, so gibt das die Möglichkeit einer Zinsreduction.

Alle diese Gründe lassen es auch für den preußischen Staat als das
einzig richtige erscheinen, die bunte Mannigfaltigkeit seiner Schuldentitel,
welche bis Zato nicht weniger als 113 Gattungen von Pcipieren von den
verschiedensten Beträgen, Tilgungsperioden, Zinszahlungs- und Auslosungs¬
terminen umfaßten, zu unificiren und in eine preußische Rente zu consoli-
diren. Diese Mannigfaltigkeit der preußischen Staatspapiere erschwert die
Uebersicht über die Staatsschuld im Ganzen und das Verständniß für die
einzelnen Papiere, was eine größere Verbreitung schon deshalb hindert, weil
es den Besitzern im Veräußerungsfall schwer wird, Käufer zu finden. Die
Beschränkung des Nehmerkreises einerseits und die Erschwerungen des Han¬
dels in den Papieren andererseits aber geben den Obligationen kleinerer An¬
leihen einen geringeren Werth, als die größeren haben, auch in dem Falle,
wo die Sicherheit eine ganz gleiche ist; bleiben doch selbst jetzt nassauische
und kurhessische Papiere gegen preußische regelmäßig 1—2 Procent zurück.
Je kleiner aber ein Markt ist, um so größeren Schwankungen unterliegt der
Preis der daselbst feilgebotene Waaren, weil jede Zu- und Abnahme von
Angebot und Nachfrage stärker einwirken muß. Eine Consolidation muß
also in jeder Hinsicht wohlthätig wirken.

Gleichwohl hat Camphausen sich auch darin als besonnenen Practiker
gezeigt, daß er, um dem neuen Princip Eingang zu verschaffen, seine Opera¬
tion nur mit einem Theile der Staatsschuld begonnen, nämlich mit der 4'/s
und 4procent!gen Schuld der älteren Landestheile; erstere beläuft sich auf
170.461,000 Thlr., letztere auf 52,967.800 Thlr. Wird nun die fortschreitende
Tilgungspflicht von 1 Proc. des Schuldbetrags aufgehoben, so wird die
Staatscasse damit um 3,422.853 Thlr. entlastet, also soviel, als das durch
Mehreinnahmen reducirte Deficit ungefähr beträgt, während für 201 Mill.,
(nämlich 3, 3^2 und 3procent!ge preußische Anleihen und die Schulden der
neueren Landestheile) die alte Tilgungspflicht fortbesteht. Um aber auch so
für die spätere Zukunft noch freie Hand zu behalten, hat der Staat nur bis
zum 1. Januar 1885 auf das Kündigungsrecht verzichtet. Inzwischen wer-


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[0210] v. Bonin ein Bedenken zu sehen (derselbe fürchtet, es werde auf diese Weise alljährlich ein Zankapfel in den Landtag geworfen, ob und wie viel im Etat zur Schuldentilgung festzusetzen sei) — sehen wir in solcher Beweglichkeit des betreffenden Budgetpostens einen Vortheil und eine Sicherung des Mit¬ bestimmungsrechtes der Volksvertretung. Sie wird zu erwägen haben, was für das Land besser sei, Schulden zu tilgen oder Steuern, zu ermäßigen. Ersteres wird aber fast immer vortheilhafter sein, wenn der Finanzminister Renten zum Tagescours kauft, als wenn er wie jetzt zu pari auflösen läßt, denn der Cours wird gewöhnlich unter dem Nominalbetrag stehen: steigt er stetig über denselben, so gibt das die Möglichkeit einer Zinsreduction. Alle diese Gründe lassen es auch für den preußischen Staat als das einzig richtige erscheinen, die bunte Mannigfaltigkeit seiner Schuldentitel, welche bis Zato nicht weniger als 113 Gattungen von Pcipieren von den verschiedensten Beträgen, Tilgungsperioden, Zinszahlungs- und Auslosungs¬ terminen umfaßten, zu unificiren und in eine preußische Rente zu consoli- diren. Diese Mannigfaltigkeit der preußischen Staatspapiere erschwert die Uebersicht über die Staatsschuld im Ganzen und das Verständniß für die einzelnen Papiere, was eine größere Verbreitung schon deshalb hindert, weil es den Besitzern im Veräußerungsfall schwer wird, Käufer zu finden. Die Beschränkung des Nehmerkreises einerseits und die Erschwerungen des Han¬ dels in den Papieren andererseits aber geben den Obligationen kleinerer An¬ leihen einen geringeren Werth, als die größeren haben, auch in dem Falle, wo die Sicherheit eine ganz gleiche ist; bleiben doch selbst jetzt nassauische und kurhessische Papiere gegen preußische regelmäßig 1—2 Procent zurück. Je kleiner aber ein Markt ist, um so größeren Schwankungen unterliegt der Preis der daselbst feilgebotene Waaren, weil jede Zu- und Abnahme von Angebot und Nachfrage stärker einwirken muß. Eine Consolidation muß also in jeder Hinsicht wohlthätig wirken. Gleichwohl hat Camphausen sich auch darin als besonnenen Practiker gezeigt, daß er, um dem neuen Princip Eingang zu verschaffen, seine Opera¬ tion nur mit einem Theile der Staatsschuld begonnen, nämlich mit der 4'/s und 4procent!gen Schuld der älteren Landestheile; erstere beläuft sich auf 170.461,000 Thlr., letztere auf 52,967.800 Thlr. Wird nun die fortschreitende Tilgungspflicht von 1 Proc. des Schuldbetrags aufgehoben, so wird die Staatscasse damit um 3,422.853 Thlr. entlastet, also soviel, als das durch Mehreinnahmen reducirte Deficit ungefähr beträgt, während für 201 Mill., (nämlich 3, 3^2 und 3procent!ge preußische Anleihen und die Schulden der neueren Landestheile) die alte Tilgungspflicht fortbesteht. Um aber auch so für die spätere Zukunft noch freie Hand zu behalten, hat der Staat nur bis zum 1. Januar 1885 auf das Kündigungsrecht verzichtet. Inzwischen wer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/210>, abgerufen am 26.06.2024.