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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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führt, daß die Tilgungspflicht gewissermaßen eine Stütze sei, welche die Re¬
gierung ihrer eigenen Willenskraft im Interesse der Abtragung der Schulden
gebe und gleichzeitig eine Sicherung gegen die naturgemäß immer mehr stei¬
genden Anforderungen der verschiedenen Etats; gerade deshalb hätten die
bisherigen Finanzminister die Tilgungspflicht als Cardinalpunkt festgehalten,
um die Zukunft vor einer sonst unvermeidlichen Ueberbürdung zu schützen.
Die Höhe der Amortisation sei gegenwärtig noch die letzte Schranke, welche
der Durchführung eines noch gesteigerten Militäretats entgegenstehe.

Dieses Argument ist für Individuen und Privatgesellschaften ganz richtig
und seine Einhaltung begründet deren Credit, aber es paßt nicht auf den
Staat, weil derselbe keine vergängliche Persönlichkeit und keine allein auf
Gewinn begründete Actiengesellschaft ist, am wenigsten der constitutionelle
Staat. Absolute Regierungen, wie die russische, handeln, wenn sie gleich bet
Contrahirung der Anleihe einen obligatorischen Amortisationsplan aufstellen,
insofern finanziell richtig, als sie ohne solchen das Geld nur zu sehr viel
schlechteren Bedingungen erhalten würden, denn bei absoluten Regierungen
ist eben die öffentliche Uebernahme einer solchen Verpflichtung eine wesentliche
Garantie für die Gläubiger, während diese Garantie in constitutionellen
Staaten in der Controle der Landesvertretung besteht. Die Amortisation
ist an sich ganz unabhängig von der obligatorischen Tilgungspflicht. Holland,
welches letztere nicht kennt, hat binnen 20 Jahren 122 Mill. Gulden Schulden
durch Ueberschüsse seiner Colonieen abbezahlt. Wir wollen das Colonialsystem,
durch welches dieselben erzielt wurden, nicht vertheidigen, aber der Ursprung
des Surplus kommt hier gar nicht in Betracht. Hätten Richter und Virchow in
ihren Deductionen Recht, so hätte die holländische Regierung jene Ueberschüsse
zur Erhöhung der einzelnen Etats brauchen müssen. Was Frankreich, auf wel¬
ches warnend hingewiesen worden ist, betrifft, so ist die Finanzwirthschaft des
Kaiserreichs allerdings verschwenderisch gewesen; aber daß man zu immer neuen
Anleihen geschritten ist, hat mit der Sistirung der Amortisationskasse nichts
zu thun, im Gegentheil, es würde die Opfer noch erhöht haben, wenn man
bei immer neuen Schulden jene Kasse mit Anleihen gespeist hätte. Hat
man doch von 1845 bis 1848, wo man noch an die magische Wir¬
kung des Sinking-Fond glaubte, durch seine Unterhaltung 105 Millio¬
nen Fras. verloren, wie England dadurch seine Schuld um 14 Millionen
Pfd. Sterl. gesteigert hatte. Deshalb hat man in beiden Ländern zu dem
einzig rationellen Verfahren gegriffen, alle verschiedenen Staatsschuldentitel
in eine unkündbare Rentenschuld zu verwandeln; ergeben sich Ueberschüsse,
so kauft der Staat entweder Renten zum Börseneours zurück und'vernichtet
dieselben, oder die Steuern werden herabgesetzt. Hierüber entscheiden Regie¬
rung und Volksvertretung zusammen und, weit entfernt hierin mit Herrn


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führt, daß die Tilgungspflicht gewissermaßen eine Stütze sei, welche die Re¬
gierung ihrer eigenen Willenskraft im Interesse der Abtragung der Schulden
gebe und gleichzeitig eine Sicherung gegen die naturgemäß immer mehr stei¬
genden Anforderungen der verschiedenen Etats; gerade deshalb hätten die
bisherigen Finanzminister die Tilgungspflicht als Cardinalpunkt festgehalten,
um die Zukunft vor einer sonst unvermeidlichen Ueberbürdung zu schützen.
Die Höhe der Amortisation sei gegenwärtig noch die letzte Schranke, welche
der Durchführung eines noch gesteigerten Militäretats entgegenstehe.

Dieses Argument ist für Individuen und Privatgesellschaften ganz richtig
und seine Einhaltung begründet deren Credit, aber es paßt nicht auf den
Staat, weil derselbe keine vergängliche Persönlichkeit und keine allein auf
Gewinn begründete Actiengesellschaft ist, am wenigsten der constitutionelle
Staat. Absolute Regierungen, wie die russische, handeln, wenn sie gleich bet
Contrahirung der Anleihe einen obligatorischen Amortisationsplan aufstellen,
insofern finanziell richtig, als sie ohne solchen das Geld nur zu sehr viel
schlechteren Bedingungen erhalten würden, denn bei absoluten Regierungen
ist eben die öffentliche Uebernahme einer solchen Verpflichtung eine wesentliche
Garantie für die Gläubiger, während diese Garantie in constitutionellen
Staaten in der Controle der Landesvertretung besteht. Die Amortisation
ist an sich ganz unabhängig von der obligatorischen Tilgungspflicht. Holland,
welches letztere nicht kennt, hat binnen 20 Jahren 122 Mill. Gulden Schulden
durch Ueberschüsse seiner Colonieen abbezahlt. Wir wollen das Colonialsystem,
durch welches dieselben erzielt wurden, nicht vertheidigen, aber der Ursprung
des Surplus kommt hier gar nicht in Betracht. Hätten Richter und Virchow in
ihren Deductionen Recht, so hätte die holländische Regierung jene Ueberschüsse
zur Erhöhung der einzelnen Etats brauchen müssen. Was Frankreich, auf wel¬
ches warnend hingewiesen worden ist, betrifft, so ist die Finanzwirthschaft des
Kaiserreichs allerdings verschwenderisch gewesen; aber daß man zu immer neuen
Anleihen geschritten ist, hat mit der Sistirung der Amortisationskasse nichts
zu thun, im Gegentheil, es würde die Opfer noch erhöht haben, wenn man
bei immer neuen Schulden jene Kasse mit Anleihen gespeist hätte. Hat
man doch von 1845 bis 1848, wo man noch an die magische Wir¬
kung des Sinking-Fond glaubte, durch seine Unterhaltung 105 Millio¬
nen Fras. verloren, wie England dadurch seine Schuld um 14 Millionen
Pfd. Sterl. gesteigert hatte. Deshalb hat man in beiden Ländern zu dem
einzig rationellen Verfahren gegriffen, alle verschiedenen Staatsschuldentitel
in eine unkündbare Rentenschuld zu verwandeln; ergeben sich Ueberschüsse,
so kauft der Staat entweder Renten zum Börseneours zurück und'vernichtet
dieselben, oder die Steuern werden herabgesetzt. Hierüber entscheiden Regie¬
rung und Volksvertretung zusammen und, weit entfernt hierin mit Herrn


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[0209] führt, daß die Tilgungspflicht gewissermaßen eine Stütze sei, welche die Re¬ gierung ihrer eigenen Willenskraft im Interesse der Abtragung der Schulden gebe und gleichzeitig eine Sicherung gegen die naturgemäß immer mehr stei¬ genden Anforderungen der verschiedenen Etats; gerade deshalb hätten die bisherigen Finanzminister die Tilgungspflicht als Cardinalpunkt festgehalten, um die Zukunft vor einer sonst unvermeidlichen Ueberbürdung zu schützen. Die Höhe der Amortisation sei gegenwärtig noch die letzte Schranke, welche der Durchführung eines noch gesteigerten Militäretats entgegenstehe. Dieses Argument ist für Individuen und Privatgesellschaften ganz richtig und seine Einhaltung begründet deren Credit, aber es paßt nicht auf den Staat, weil derselbe keine vergängliche Persönlichkeit und keine allein auf Gewinn begründete Actiengesellschaft ist, am wenigsten der constitutionelle Staat. Absolute Regierungen, wie die russische, handeln, wenn sie gleich bet Contrahirung der Anleihe einen obligatorischen Amortisationsplan aufstellen, insofern finanziell richtig, als sie ohne solchen das Geld nur zu sehr viel schlechteren Bedingungen erhalten würden, denn bei absoluten Regierungen ist eben die öffentliche Uebernahme einer solchen Verpflichtung eine wesentliche Garantie für die Gläubiger, während diese Garantie in constitutionellen Staaten in der Controle der Landesvertretung besteht. Die Amortisation ist an sich ganz unabhängig von der obligatorischen Tilgungspflicht. Holland, welches letztere nicht kennt, hat binnen 20 Jahren 122 Mill. Gulden Schulden durch Ueberschüsse seiner Colonieen abbezahlt. Wir wollen das Colonialsystem, durch welches dieselben erzielt wurden, nicht vertheidigen, aber der Ursprung des Surplus kommt hier gar nicht in Betracht. Hätten Richter und Virchow in ihren Deductionen Recht, so hätte die holländische Regierung jene Ueberschüsse zur Erhöhung der einzelnen Etats brauchen müssen. Was Frankreich, auf wel¬ ches warnend hingewiesen worden ist, betrifft, so ist die Finanzwirthschaft des Kaiserreichs allerdings verschwenderisch gewesen; aber daß man zu immer neuen Anleihen geschritten ist, hat mit der Sistirung der Amortisationskasse nichts zu thun, im Gegentheil, es würde die Opfer noch erhöht haben, wenn man bei immer neuen Schulden jene Kasse mit Anleihen gespeist hätte. Hat man doch von 1845 bis 1848, wo man noch an die magische Wir¬ kung des Sinking-Fond glaubte, durch seine Unterhaltung 105 Millio¬ nen Fras. verloren, wie England dadurch seine Schuld um 14 Millionen Pfd. Sterl. gesteigert hatte. Deshalb hat man in beiden Ländern zu dem einzig rationellen Verfahren gegriffen, alle verschiedenen Staatsschuldentitel in eine unkündbare Rentenschuld zu verwandeln; ergeben sich Ueberschüsse, so kauft der Staat entweder Renten zum Börseneours zurück und'vernichtet dieselben, oder die Steuern werden herabgesetzt. Hierüber entscheiden Regie¬ rung und Volksvertretung zusammen und, weit entfernt hierin mit Herrn 26*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/209>, abgerufen am 26.06.2024.