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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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glorreichen Heldentod gefunden hat. Ein Augenzeuge versichert nun (v. 48,
85), daß der Feldherr mit diesem seinem Untergebenen überhaupt nur
einmal während der ganzen Campagne, und zwar in verletzender Weise vor
dem ganzen Generalstcibe, gesprochen habe. Hat Platon hierauf vielleicht frei¬
willig den Tod im Kampfe gesucht?

Mit Umsicht, wie bei den Quellen, aus denen er schöpft, verfährt unser
Autor auch bei den Hüllen, durch welche der Parteigeist den wahren Ver¬
lauf verschleiert hat. Ein Hauptmoment dieser Art sind die Vorwürfe welche
namentlich Thiers -- und dieser nicht ohne Rancune aus dem Ministerium
der Julidynastie -- gegen den Marschall Soult wegen seiner angeblichen
Unerfahrenheit und Nachlässigkeit als Generalstabschef erhoben hat. Eine
Anzahl dieser Vorwürfe hat schon Oberst Charras*) zurückgewiesen, ohne für
Soult besonderes Interesse zu zeigen. Mit Recht führt aber Chesney auf
Grund dieser Charras'schen Zurückweisung (die zunächst Napoleon's eigene
Erzählung trifft) die beiden wichtigsten Verspätungen bei der Eröffnung des
Feldzuges -- die Vandamme's in der Mitte und Girards auf der Rechten --
näher aus und erweist (v. 36. 63. ?. 93, 110). wie in beiden Fällen Na¬
poleon selbst die Schuld des Verzuges trifft. Denn an Vandamme sendete
er mit dem entscheidenden Befehle nur einen einzigen Ordonnanzosficier. der
stürzte, und an Girard gelangte die Ordre, ehe dessen Armeecorps noch
völlig formirt sein konnte. Aber aus den Erinnerungen des Duc de Fezensac
und aus Jomini's Schriften bringt Chesney (v. 65, 115 ff.) eine ganze
Reihe von Beispielen aus Napoleon's früheren Feldzügen von 1806--1813. welche
dieselbe absichtliche Sorglosigkeit des Generalstabsdienstes, dieselbe Betrauung
je nur eines Officiers mit den wichtigsten Botschaften zeigen. Dieses ma߬
lose Vertrauen in den Erfolg und den Beistand des Glücks ist nun aber
für Napoleon bei seinen letzten Feldzügen besonders verhängnißvoll geworden.

Es entsprangen aus demselben alle die irrigen Voraussetzungen am
Schlachttage von Ligny, welche völlig aufgedeckt zu haben Charras' Ver¬
dienst ist. Namentlich hat dieser nachgewiesen, wie Napoleon erst im Ver¬
laufe der Schlacht gewahr wurde, daß ihm mehr als ein einziger preußischer
Truppentheil gegenüber stehe, wie ferner er selbst und er allein**) das un¬
nütze Hin- und Herziehen des Erlon'schen Armeecorps zwischen beiden Schlacht¬
feldern von Quatrebras und Ligny veranlaßt hat. Auch die Verspätung




*) Ich bemerke, daß ich die vierte, erheblich vermehrte Auflage der oampaAus us 181S
an" dem Jahre 18K3 benutze, hier zunächst S. 111, 516, 113. --
-
) Charras 208. 552. Mit Unrecht behauptet daher Chesney (v, 96, Z?. 174). CharraS
wälje die Hauptschuld auf den Uebereifer des Generals Labedoyere. Auch hat er die ganze Note
X im Anhange bei Charras übersehen, welche schön erörtert, wie Napoleon möglichst rasch
nach Quatrebras und Sombrcsse hätte vordringen müssen.

glorreichen Heldentod gefunden hat. Ein Augenzeuge versichert nun (v. 48,
85), daß der Feldherr mit diesem seinem Untergebenen überhaupt nur
einmal während der ganzen Campagne, und zwar in verletzender Weise vor
dem ganzen Generalstcibe, gesprochen habe. Hat Platon hierauf vielleicht frei¬
willig den Tod im Kampfe gesucht?

Mit Umsicht, wie bei den Quellen, aus denen er schöpft, verfährt unser
Autor auch bei den Hüllen, durch welche der Parteigeist den wahren Ver¬
lauf verschleiert hat. Ein Hauptmoment dieser Art sind die Vorwürfe welche
namentlich Thiers — und dieser nicht ohne Rancune aus dem Ministerium
der Julidynastie — gegen den Marschall Soult wegen seiner angeblichen
Unerfahrenheit und Nachlässigkeit als Generalstabschef erhoben hat. Eine
Anzahl dieser Vorwürfe hat schon Oberst Charras*) zurückgewiesen, ohne für
Soult besonderes Interesse zu zeigen. Mit Recht führt aber Chesney auf
Grund dieser Charras'schen Zurückweisung (die zunächst Napoleon's eigene
Erzählung trifft) die beiden wichtigsten Verspätungen bei der Eröffnung des
Feldzuges — die Vandamme's in der Mitte und Girards auf der Rechten —
näher aus und erweist (v. 36. 63. ?. 93, 110). wie in beiden Fällen Na¬
poleon selbst die Schuld des Verzuges trifft. Denn an Vandamme sendete
er mit dem entscheidenden Befehle nur einen einzigen Ordonnanzosficier. der
stürzte, und an Girard gelangte die Ordre, ehe dessen Armeecorps noch
völlig formirt sein konnte. Aber aus den Erinnerungen des Duc de Fezensac
und aus Jomini's Schriften bringt Chesney (v. 65, 115 ff.) eine ganze
Reihe von Beispielen aus Napoleon's früheren Feldzügen von 1806—1813. welche
dieselbe absichtliche Sorglosigkeit des Generalstabsdienstes, dieselbe Betrauung
je nur eines Officiers mit den wichtigsten Botschaften zeigen. Dieses ma߬
lose Vertrauen in den Erfolg und den Beistand des Glücks ist nun aber
für Napoleon bei seinen letzten Feldzügen besonders verhängnißvoll geworden.

Es entsprangen aus demselben alle die irrigen Voraussetzungen am
Schlachttage von Ligny, welche völlig aufgedeckt zu haben Charras' Ver¬
dienst ist. Namentlich hat dieser nachgewiesen, wie Napoleon erst im Ver¬
laufe der Schlacht gewahr wurde, daß ihm mehr als ein einziger preußischer
Truppentheil gegenüber stehe, wie ferner er selbst und er allein**) das un¬
nütze Hin- und Herziehen des Erlon'schen Armeecorps zwischen beiden Schlacht¬
feldern von Quatrebras und Ligny veranlaßt hat. Auch die Verspätung




*) Ich bemerke, daß ich die vierte, erheblich vermehrte Auflage der oampaAus us 181S
an« dem Jahre 18K3 benutze, hier zunächst S. 111, 516, 113. —
-
) Charras 208. 552. Mit Unrecht behauptet daher Chesney (v, 96, Z?. 174). CharraS
wälje die Hauptschuld auf den Uebereifer des Generals Labedoyere. Auch hat er die ganze Note
X im Anhange bei Charras übersehen, welche schön erörtert, wie Napoleon möglichst rasch
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/195>, abgerufen am 26.06.2024.