Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zurückwirkt. So erkläre ich mir, wie überhaupt, dem Lehrer und Schrift¬
steller unbewußt, das Urtheil über Wellington's Versäumnisse und Irrthümer
bei dem Unterrichte in Sandhurst eine Schärfe des Ausdrucks gewinnen
konnte, die noch vor zehn Jahren schwerlich zulässig gewesen wäre.

Chesney's Einwürfe richten sich natürlich nicht gegen des Herzogs officielle
Relation vom 19. Juni Morgens -- wie denn nur schwere Mißverständnisse, in
Bezug auf Absicht und Sachkunde Wellington's*) an diesem Tage, zu Aus¬
stellungen sühren konnten. Dagegen gibt das gegen Clausewitz gerichtete Me¬
morandum desselben von 1842, das sich in seinen Papieren gefunden hat und
bei Brialmont, Uonge und im zehnten Bande der ersten Supplementar-
sammlung gedruckt ist -- dies allerdings altersschwache Memorandum gibt
der Kritik ein reichliches Feld"*). Man lernt aus unserem Autor, wie viele
chronologische und sachliche Irrthümer sich hier über die Ereignisse des 13.
und 16. Juni und über das in Folge falscher Voraussetzungen bei Hat auf¬
gestellte Wellington'sche Truppeneorps finden (v. 153. 115, 61, 279, 213,
106). Ein Scheinbeweis für diese Detachirung scheint merkwürdiger Weise
aus einer grundlosen Behauptung der Memoiren von Se. Helena geschöpft
zu sein, welche von einer beabsichtigten Umgehung der Engländer nach dieser
Richtung melden -- obwohl nachweislich kein Mensch auf französischer Seite
an eine solche Umgehung gedacht hat, deren Möglichkeit auch Napoleon erst
aus Wellington's erstem Schlachtberichte geschöpft haben wird (v. 154, 180).
So sieht man -- und es scheint mir das für die historische Kritik überhaupt
belehrend -- beide große Feldherren, den Besiegten und den Sieger, sich über
ihre Absichten und Thaten vollkommenen Täuschungen hingeben.

Uebrigens verlacht unser Autor zwar mit Recht diejenigen seiner Lands¬
leute, welche die Behauptungen der Helena-Literatur sich als Wahrheit haben
aufbinden lassen; aber er hat es sich verständiger Weise zum Grundsatze ge¬
macht (v. 29, 45), in allen Fällen, in welchen der Schriftsteller Napoleon
weder mit sich selbst noch mit einem andern Zeugnisse in Widerspruch ge¬
räth, seinen Aeußerungen "ein großes Gewicht" beizulegen.

Wie man sieht, erhebt sich die Arbeit auf einer durchaus soliden Grund¬
lage und erweckt ein günstiges Vorurtheil auch für einige Mittheilungen, die
auf mündlicher Ueberlieferung beruhen. Bemerkenswerth unter diesen er¬
scheint nun besonders die Thatsache einer tiefen Abneigung Wellington's
gegen den General Platon, der auf den Höhen von Mont Se. Jean einen




Ich glaube hier auf meine Schrift über denselben S. 41 flgde. und S. os verweisen
zu können.
Doch ist Chesney entgangen, daß Wellington, wie ich a. a. O. S. 40 nachweisen
konnte, schon 1836 Müffling's Feldzugsgeschichte, die ihm auch diesmal vorlag, wörtlich be¬
nutzte.

zurückwirkt. So erkläre ich mir, wie überhaupt, dem Lehrer und Schrift¬
steller unbewußt, das Urtheil über Wellington's Versäumnisse und Irrthümer
bei dem Unterrichte in Sandhurst eine Schärfe des Ausdrucks gewinnen
konnte, die noch vor zehn Jahren schwerlich zulässig gewesen wäre.

Chesney's Einwürfe richten sich natürlich nicht gegen des Herzogs officielle
Relation vom 19. Juni Morgens — wie denn nur schwere Mißverständnisse, in
Bezug auf Absicht und Sachkunde Wellington's*) an diesem Tage, zu Aus¬
stellungen sühren konnten. Dagegen gibt das gegen Clausewitz gerichtete Me¬
morandum desselben von 1842, das sich in seinen Papieren gefunden hat und
bei Brialmont, Uonge und im zehnten Bande der ersten Supplementar-
sammlung gedruckt ist — dies allerdings altersschwache Memorandum gibt
der Kritik ein reichliches Feld"*). Man lernt aus unserem Autor, wie viele
chronologische und sachliche Irrthümer sich hier über die Ereignisse des 13.
und 16. Juni und über das in Folge falscher Voraussetzungen bei Hat auf¬
gestellte Wellington'sche Truppeneorps finden (v. 153. 115, 61, 279, 213,
106). Ein Scheinbeweis für diese Detachirung scheint merkwürdiger Weise
aus einer grundlosen Behauptung der Memoiren von Se. Helena geschöpft
zu sein, welche von einer beabsichtigten Umgehung der Engländer nach dieser
Richtung melden — obwohl nachweislich kein Mensch auf französischer Seite
an eine solche Umgehung gedacht hat, deren Möglichkeit auch Napoleon erst
aus Wellington's erstem Schlachtberichte geschöpft haben wird (v. 154, 180).
So sieht man — und es scheint mir das für die historische Kritik überhaupt
belehrend — beide große Feldherren, den Besiegten und den Sieger, sich über
ihre Absichten und Thaten vollkommenen Täuschungen hingeben.

Uebrigens verlacht unser Autor zwar mit Recht diejenigen seiner Lands¬
leute, welche die Behauptungen der Helena-Literatur sich als Wahrheit haben
aufbinden lassen; aber er hat es sich verständiger Weise zum Grundsatze ge¬
macht (v. 29, 45), in allen Fällen, in welchen der Schriftsteller Napoleon
weder mit sich selbst noch mit einem andern Zeugnisse in Widerspruch ge¬
räth, seinen Aeußerungen „ein großes Gewicht" beizulegen.

Wie man sieht, erhebt sich die Arbeit auf einer durchaus soliden Grund¬
lage und erweckt ein günstiges Vorurtheil auch für einige Mittheilungen, die
auf mündlicher Ueberlieferung beruhen. Bemerkenswerth unter diesen er¬
scheint nun besonders die Thatsache einer tiefen Abneigung Wellington's
gegen den General Platon, der auf den Höhen von Mont Se. Jean einen




Ich glaube hier auf meine Schrift über denselben S. 41 flgde. und S. os verweisen
zu können.
Doch ist Chesney entgangen, daß Wellington, wie ich a. a. O. S. 40 nachweisen
konnte, schon 1836 Müffling's Feldzugsgeschichte, die ihm auch diesmal vorlag, wörtlich be¬
nutzte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0194" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123282"/>
          <p xml:id="ID_514" prev="#ID_513"> zurückwirkt. So erkläre ich mir, wie überhaupt, dem Lehrer und Schrift¬<lb/>
steller unbewußt, das Urtheil über Wellington's Versäumnisse und Irrthümer<lb/>
bei dem Unterrichte in Sandhurst eine Schärfe des Ausdrucks gewinnen<lb/>
konnte, die noch vor zehn Jahren schwerlich zulässig gewesen wäre.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_515"> Chesney's Einwürfe richten sich natürlich nicht gegen des Herzogs officielle<lb/>
Relation vom 19. Juni Morgens &#x2014; wie denn nur schwere Mißverständnisse, in<lb/>
Bezug auf Absicht und Sachkunde Wellington's*) an diesem Tage, zu Aus¬<lb/>
stellungen sühren konnten. Dagegen gibt das gegen Clausewitz gerichtete Me¬<lb/>
morandum desselben von 1842, das sich in seinen Papieren gefunden hat und<lb/>
bei Brialmont, Uonge und im zehnten Bande der ersten Supplementar-<lb/>
sammlung gedruckt ist &#x2014; dies allerdings altersschwache Memorandum gibt<lb/>
der Kritik ein reichliches Feld"*). Man lernt aus unserem Autor, wie viele<lb/>
chronologische und sachliche Irrthümer sich hier über die Ereignisse des 13.<lb/>
und 16. Juni und über das in Folge falscher Voraussetzungen bei Hat auf¬<lb/>
gestellte Wellington'sche Truppeneorps finden (v. 153. 115, 61, 279, 213,<lb/>
106). Ein Scheinbeweis für diese Detachirung scheint merkwürdiger Weise<lb/>
aus einer grundlosen Behauptung der Memoiren von Se. Helena geschöpft<lb/>
zu sein, welche von einer beabsichtigten Umgehung der Engländer nach dieser<lb/>
Richtung melden &#x2014; obwohl nachweislich kein Mensch auf französischer Seite<lb/>
an eine solche Umgehung gedacht hat, deren Möglichkeit auch Napoleon erst<lb/>
aus Wellington's erstem Schlachtberichte geschöpft haben wird (v. 154, 180).<lb/>
So sieht man &#x2014; und es scheint mir das für die historische Kritik überhaupt<lb/>
belehrend &#x2014; beide große Feldherren, den Besiegten und den Sieger, sich über<lb/>
ihre Absichten und Thaten vollkommenen Täuschungen hingeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_516"> Uebrigens verlacht unser Autor zwar mit Recht diejenigen seiner Lands¬<lb/>
leute, welche die Behauptungen der Helena-Literatur sich als Wahrheit haben<lb/>
aufbinden lassen; aber er hat es sich verständiger Weise zum Grundsatze ge¬<lb/>
macht (v. 29, 45), in allen Fällen, in welchen der Schriftsteller Napoleon<lb/>
weder mit sich selbst noch mit einem andern Zeugnisse in Widerspruch ge¬<lb/>
räth, seinen Aeußerungen &#x201E;ein großes Gewicht" beizulegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_517" next="#ID_518"> Wie man sieht, erhebt sich die Arbeit auf einer durchaus soliden Grund¬<lb/>
lage und erweckt ein günstiges Vorurtheil auch für einige Mittheilungen, die<lb/>
auf mündlicher Ueberlieferung beruhen. Bemerkenswerth unter diesen er¬<lb/>
scheint nun besonders die Thatsache einer tiefen Abneigung Wellington's<lb/>
gegen den General Platon, der auf den Höhen von Mont Se. Jean einen</p><lb/>
          <note xml:id="FID_33" place="foot"> Ich glaube hier auf meine Schrift über denselben S. 41 flgde. und S. os verweisen<lb/>
zu können.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_34" place="foot"> Doch ist Chesney entgangen, daß Wellington, wie ich a. a. O. S. 40 nachweisen<lb/>
konnte, schon 1836 Müffling's Feldzugsgeschichte, die ihm auch diesmal vorlag, wörtlich be¬<lb/>
nutzte.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0194] zurückwirkt. So erkläre ich mir, wie überhaupt, dem Lehrer und Schrift¬ steller unbewußt, das Urtheil über Wellington's Versäumnisse und Irrthümer bei dem Unterrichte in Sandhurst eine Schärfe des Ausdrucks gewinnen konnte, die noch vor zehn Jahren schwerlich zulässig gewesen wäre. Chesney's Einwürfe richten sich natürlich nicht gegen des Herzogs officielle Relation vom 19. Juni Morgens — wie denn nur schwere Mißverständnisse, in Bezug auf Absicht und Sachkunde Wellington's*) an diesem Tage, zu Aus¬ stellungen sühren konnten. Dagegen gibt das gegen Clausewitz gerichtete Me¬ morandum desselben von 1842, das sich in seinen Papieren gefunden hat und bei Brialmont, Uonge und im zehnten Bande der ersten Supplementar- sammlung gedruckt ist — dies allerdings altersschwache Memorandum gibt der Kritik ein reichliches Feld"*). Man lernt aus unserem Autor, wie viele chronologische und sachliche Irrthümer sich hier über die Ereignisse des 13. und 16. Juni und über das in Folge falscher Voraussetzungen bei Hat auf¬ gestellte Wellington'sche Truppeneorps finden (v. 153. 115, 61, 279, 213, 106). Ein Scheinbeweis für diese Detachirung scheint merkwürdiger Weise aus einer grundlosen Behauptung der Memoiren von Se. Helena geschöpft zu sein, welche von einer beabsichtigten Umgehung der Engländer nach dieser Richtung melden — obwohl nachweislich kein Mensch auf französischer Seite an eine solche Umgehung gedacht hat, deren Möglichkeit auch Napoleon erst aus Wellington's erstem Schlachtberichte geschöpft haben wird (v. 154, 180). So sieht man — und es scheint mir das für die historische Kritik überhaupt belehrend — beide große Feldherren, den Besiegten und den Sieger, sich über ihre Absichten und Thaten vollkommenen Täuschungen hingeben. Uebrigens verlacht unser Autor zwar mit Recht diejenigen seiner Lands¬ leute, welche die Behauptungen der Helena-Literatur sich als Wahrheit haben aufbinden lassen; aber er hat es sich verständiger Weise zum Grundsatze ge¬ macht (v. 29, 45), in allen Fällen, in welchen der Schriftsteller Napoleon weder mit sich selbst noch mit einem andern Zeugnisse in Widerspruch ge¬ räth, seinen Aeußerungen „ein großes Gewicht" beizulegen. Wie man sieht, erhebt sich die Arbeit auf einer durchaus soliden Grund¬ lage und erweckt ein günstiges Vorurtheil auch für einige Mittheilungen, die auf mündlicher Ueberlieferung beruhen. Bemerkenswerth unter diesen er¬ scheint nun besonders die Thatsache einer tiefen Abneigung Wellington's gegen den General Platon, der auf den Höhen von Mont Se. Jean einen Ich glaube hier auf meine Schrift über denselben S. 41 flgde. und S. os verweisen zu können. Doch ist Chesney entgangen, daß Wellington, wie ich a. a. O. S. 40 nachweisen konnte, schon 1836 Müffling's Feldzugsgeschichte, die ihm auch diesmal vorlag, wörtlich be¬ nutzte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/194
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/194>, abgerufen am 26.06.2024.