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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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gründet, um dafür zeugen zu können, daß ein rein humaner Drang oder
wissenschaftliches Interesse nicht ebenso gut aus gebildeten Frauen Kranken-
Pflegerinnen machen könne wie aus Männern Aerzte --, daß das religiöse
Motiv das einzige sei, von welchem solche Krankenpflegerinnen in größerer
Zahl zu erwarten, und daß die Form der Diaconissin mithin die allein
praktisch mögliche sei.

Das ideale Motiv, welcher Art es auch sei, ist übrigens bei keiner Be¬
rufswahl das allein maßgebende. Die große Masse der Menschen ist immer
genöthigt, daneben den realen Gesichtspunkt des Erwerbs in Anwendung zu
bringen. Es gehört zwar zu den conventionellen Heucheleien unserer Epoche,
diesen Gesichtspunkt der Regel nach so zu behandeln, als müßte er eigentlich
außer Spiel bleiben, als sei er eine Blöße, welche man besser schamhaft ver¬
hüllte. Aber diese Prüderie macht nichts besser, sondern nur schlimmer. Was
heißt denn Geld verdienen wollen? Heißt es etwa ausschließlich soviel, ja
heißt es auch nur hauptsächlich oder überwiegend soviel, wie Schlemmen,
über den Durst trinken, sich herausputzen, spielen und liederlich sein wollen?
Heißt es nicht vor Allem, sich und die Seinigen am Leben und bei Kräften
erhalten wollen? Muß jeder Erfolg in diesem Bestreben nothwendig nur
der Genußsucht zu Gute kommen? -- Kann er es nicht ebenso leicht der Er¬
höhung des Willens und Vermögens, der Gemeinschaft nützliche und will¬
kommene Dienste leisten? Die hergebrachte schlechte Gewohnheit, der Lust
am Erwerbe als solcher einen Makel anzuhängen -- die dann wieder durch
eine ebenso falsche Gleichgültigkeit gegen die Sucht, ohne Arbeit im Hand¬
umdrehen reich zu werden, ihre Ausgleichung findet --, und die unglückliche
Armuth unserer Sprache an richtigen volkswirthschaftlichen Begriffen, ver¬
möge deren es für den "berechtigten Eigennutz" gar kein Wort gibt, als
allenfalls das schwerfällige und viel zu allgemeine Wort Selbsterhaltungs¬
trieb. -- sie dürfen uns nicht abhalten, unter den Anziehungskräften, von denen
sich für die Zukunft ein ausgiebiges Angebot durchgebildeter Krankenpflege¬
rinnen erwarten läßt, auch eine entsprechende Bezahlung ihrer Dienste auf¬
zuführen. Da sie erst einen theoretischen Cursus. der gute allgemeine Bil¬
dung voraussetzt, und dann eine längere praktische Uebung durchzumachen
haben werden, so muß der spätere Lohn zu diesen Aufwendungen im Ver¬
hältniß stehen. Gestützt auf sie, die doch nur im Interesse der ihre Hilfe
fordernden Leidenden gemacht sind, mögen sie genug verlangen, um sich nicht
blos von einem Tage zum andern zu erhalten, sondern auch gegen die Er¬
werbslosigkeit des Alters oder lähmender Krankheit zu versichern. Die Con-
currenz der Diaconissen und Barmherzigen Schwestern wird dies freilich er¬
schweren. Was sie gebrauchen, weiß ihre Anstalt als ein Zubehör der
Kirche auf anderen Wegen zu erlangen, und so können sie entweder ganz


gründet, um dafür zeugen zu können, daß ein rein humaner Drang oder
wissenschaftliches Interesse nicht ebenso gut aus gebildeten Frauen Kranken-
Pflegerinnen machen könne wie aus Männern Aerzte —, daß das religiöse
Motiv das einzige sei, von welchem solche Krankenpflegerinnen in größerer
Zahl zu erwarten, und daß die Form der Diaconissin mithin die allein
praktisch mögliche sei.

Das ideale Motiv, welcher Art es auch sei, ist übrigens bei keiner Be¬
rufswahl das allein maßgebende. Die große Masse der Menschen ist immer
genöthigt, daneben den realen Gesichtspunkt des Erwerbs in Anwendung zu
bringen. Es gehört zwar zu den conventionellen Heucheleien unserer Epoche,
diesen Gesichtspunkt der Regel nach so zu behandeln, als müßte er eigentlich
außer Spiel bleiben, als sei er eine Blöße, welche man besser schamhaft ver¬
hüllte. Aber diese Prüderie macht nichts besser, sondern nur schlimmer. Was
heißt denn Geld verdienen wollen? Heißt es etwa ausschließlich soviel, ja
heißt es auch nur hauptsächlich oder überwiegend soviel, wie Schlemmen,
über den Durst trinken, sich herausputzen, spielen und liederlich sein wollen?
Heißt es nicht vor Allem, sich und die Seinigen am Leben und bei Kräften
erhalten wollen? Muß jeder Erfolg in diesem Bestreben nothwendig nur
der Genußsucht zu Gute kommen? — Kann er es nicht ebenso leicht der Er¬
höhung des Willens und Vermögens, der Gemeinschaft nützliche und will¬
kommene Dienste leisten? Die hergebrachte schlechte Gewohnheit, der Lust
am Erwerbe als solcher einen Makel anzuhängen — die dann wieder durch
eine ebenso falsche Gleichgültigkeit gegen die Sucht, ohne Arbeit im Hand¬
umdrehen reich zu werden, ihre Ausgleichung findet —, und die unglückliche
Armuth unserer Sprache an richtigen volkswirthschaftlichen Begriffen, ver¬
möge deren es für den „berechtigten Eigennutz" gar kein Wort gibt, als
allenfalls das schwerfällige und viel zu allgemeine Wort Selbsterhaltungs¬
trieb. — sie dürfen uns nicht abhalten, unter den Anziehungskräften, von denen
sich für die Zukunft ein ausgiebiges Angebot durchgebildeter Krankenpflege¬
rinnen erwarten läßt, auch eine entsprechende Bezahlung ihrer Dienste auf¬
zuführen. Da sie erst einen theoretischen Cursus. der gute allgemeine Bil¬
dung voraussetzt, und dann eine längere praktische Uebung durchzumachen
haben werden, so muß der spätere Lohn zu diesen Aufwendungen im Ver¬
hältniß stehen. Gestützt auf sie, die doch nur im Interesse der ihre Hilfe
fordernden Leidenden gemacht sind, mögen sie genug verlangen, um sich nicht
blos von einem Tage zum andern zu erhalten, sondern auch gegen die Er¬
werbslosigkeit des Alters oder lähmender Krankheit zu versichern. Die Con-
currenz der Diaconissen und Barmherzigen Schwestern wird dies freilich er¬
schweren. Was sie gebrauchen, weiß ihre Anstalt als ein Zubehör der
Kirche auf anderen Wegen zu erlangen, und so können sie entweder ganz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/189>, abgerufen am 26.06.2024.