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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Er hätte den Paragraphen auslassen können; aber er hat es nicht gethan,
sondern ist auf einen sinnigeren und eines kaiserlichen Historiographen oder
doch Protokollanten würdigeren Ausweg verfallen. Das Gelübde des 14. März
bringt nach ihm das Kollegium dar für den Sieg und die Rückkehr nicht
des besiegten Kaisers Otho, sondern des siegreichen Kaisers Mtellius. So
war Alles in Ordnung, die Sache dargestellt wo nicht wie sie war, doch
wie sie hätte sein sollen, und die Vollständigkeit der Acten ebenso gewahrt
wie die in dieser ihrer Anticipirung wahrhaft divinatorische Loyalität des
Collegiums. Zwar fuhr wenige Tage nachher der rächende Meißel der Fla-
vianer, der überall das Andenken des Mtellius getilgt hat, auch über die
Tafeln des Arvalenhains und löschte in ihnen den verhaßten Namen; aber
es ist genug davon stehen geblieben, um in dem erzählten Vorgang uns
einen drastischen Nachtrag zu Tacitus' Schilderung des Vierkaiserjahrs zu
bewahren.


Theodor Mommsen.


Berufsmäßige Krankenpflege.

Die Forderung einer besonderen Sorgfalt und einer besonderen Er¬
fahrung für den Dienst am Krankenbette mußte sich erheben, sobald aus den
Köpfen der Aerzte der Wahn gewichen war, daß ihre Recepte im Stande
seien mit jeder Krankheit fertig zu werden, oder wenn diese nicht, auch sonst
nichts. So lange dieser beschränkte Glaube herrschte, kam man mit der Fa¬
milienpflege aus und in Nothfällen mit der Zuziehung gewöhnlicher Wärter
oder Wärterinnen; denn alles Wesentliche besorgt ja der Arzt bei seinen Be¬
suchen ein- oder zweimal binnen vierundzwanzig Stunden: das Uebrige war
sehr einfach und nicht eben sehr wichtig. Aber das Vertrauen auf des Apo¬
thekers Waaren schwand. Specifische Heilmittel gab es bald nur noch wenige
und nur für einzelne ganz bestimmte Erkrankungsfälle. Dagegen, was schon zur
Erhaltung der Gesundheit immer höher angeschlagen wurde: beständig reine
Luft zum Athmen, gesunde und zweckmäßig ausgewählte Nahrungs- und Er-
quickungsmittel, wohlthuende Anregungen des Gemüths, frisch und kräftig
erhaltende Beschäftigungen des Geistes, unter Umständen körperliche Be¬
wegung -- genug die ununterbrochene Regelung aller auf den Körper wir¬
kenden Einflüsse im Interesse seiner Gesunderhaltung; das wurde nun auch
als das allgemeine Hauptmittel zur Wiederherstellung einer erschütterten Ge¬
sundheit erkannt. Dieses aber unmittelbar zu handhaben, war der Arzt auf


Er hätte den Paragraphen auslassen können; aber er hat es nicht gethan,
sondern ist auf einen sinnigeren und eines kaiserlichen Historiographen oder
doch Protokollanten würdigeren Ausweg verfallen. Das Gelübde des 14. März
bringt nach ihm das Kollegium dar für den Sieg und die Rückkehr nicht
des besiegten Kaisers Otho, sondern des siegreichen Kaisers Mtellius. So
war Alles in Ordnung, die Sache dargestellt wo nicht wie sie war, doch
wie sie hätte sein sollen, und die Vollständigkeit der Acten ebenso gewahrt
wie die in dieser ihrer Anticipirung wahrhaft divinatorische Loyalität des
Collegiums. Zwar fuhr wenige Tage nachher der rächende Meißel der Fla-
vianer, der überall das Andenken des Mtellius getilgt hat, auch über die
Tafeln des Arvalenhains und löschte in ihnen den verhaßten Namen; aber
es ist genug davon stehen geblieben, um in dem erzählten Vorgang uns
einen drastischen Nachtrag zu Tacitus' Schilderung des Vierkaiserjahrs zu
bewahren.


Theodor Mommsen.


Berufsmäßige Krankenpflege.

Die Forderung einer besonderen Sorgfalt und einer besonderen Er¬
fahrung für den Dienst am Krankenbette mußte sich erheben, sobald aus den
Köpfen der Aerzte der Wahn gewichen war, daß ihre Recepte im Stande
seien mit jeder Krankheit fertig zu werden, oder wenn diese nicht, auch sonst
nichts. So lange dieser beschränkte Glaube herrschte, kam man mit der Fa¬
milienpflege aus und in Nothfällen mit der Zuziehung gewöhnlicher Wärter
oder Wärterinnen; denn alles Wesentliche besorgt ja der Arzt bei seinen Be¬
suchen ein- oder zweimal binnen vierundzwanzig Stunden: das Uebrige war
sehr einfach und nicht eben sehr wichtig. Aber das Vertrauen auf des Apo¬
thekers Waaren schwand. Specifische Heilmittel gab es bald nur noch wenige
und nur für einzelne ganz bestimmte Erkrankungsfälle. Dagegen, was schon zur
Erhaltung der Gesundheit immer höher angeschlagen wurde: beständig reine
Luft zum Athmen, gesunde und zweckmäßig ausgewählte Nahrungs- und Er-
quickungsmittel, wohlthuende Anregungen des Gemüths, frisch und kräftig
erhaltende Beschäftigungen des Geistes, unter Umständen körperliche Be¬
wegung — genug die ununterbrochene Regelung aller auf den Körper wir¬
kenden Einflüsse im Interesse seiner Gesunderhaltung; das wurde nun auch
als das allgemeine Hauptmittel zur Wiederherstellung einer erschütterten Ge¬
sundheit erkannt. Dieses aber unmittelbar zu handhaben, war der Arzt auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/184>, abgerufen am 26.06.2024.