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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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dem großen Zusammensturz nach,Nero's Tod nie einem römischen Regenten wie¬
der ein Gleiches gelungen; oder vielmehr es fehlte den neuen Dynastiestiftern
selber der Glaube an sich selbst und an ihre Zukunft, der also Gewaltiges wirkt,
und Vespasian und Traian galten sich selber als bloße Reichsverweser und
Verwalter. Aber in der ersten Dynastie sieht es anders aus. Vor allem
Augustus und dessen Gemahlin werden auch nach ihrem Tode stetig gefeiert.
Besonders die schlechtesten Regenten gehen hierin noch viel weiter -- Cali-
gula. dessen Pietät gegen seine Ahnen auch sonst bekannt genug ist. scheint
seine sämmtlichen Vorfahren von Augustus abwärts also haben verehren zu
lassen, seines Großvaters Tiberius Erequien nicht minder wie seiner Gro߬
eltern und Eltern Geburtstage gefeiert zu haben. Ebenso wird unter Nero
der Geburtstag seiner leiblichen Eltern, des früher genannten Gnaeus Do-
mitius und der Agrippina von dem Collegium festlich begangen. -- Freilich
folgt dann auf den 6. Nov. des Jahres 68, wo Agrippina's letzter Geburts¬
tag mit einem, insbesondere der Eintracht zwischen Sohn und Mutter ge¬
widmeten Opfer gefeiert wurde, am 28. März 59 ein anderes Opfer, das
namenlos ist, aber sicherlich dargebracht ward wegen der einige Tage zuvor
glücklich vollbrachten Ermordung der Mutter durch den Sohn -- es ist das
einzige Mal, wo auch unsere Urkunden vor Scham schweigen. Wegen glück¬
lich abgewandter Verschwörungen wird mehrfach, unter Caltgula, Nero, Do-
mitian, den Göttern der Dank des Collegiums dargebracht, und so be¬
gegnen noch zahlreiche zum Theil bis jetzt keineswegs genügend ermit¬
telte Beziehungen unserer Acten auf die Ereignisse des Tages. Gerade
in dieser Hinsicht hat über den neuesten Ausgrabungen ein günstiger Stern
gewaltet. Wenn über das Ritual, das wir besonders aus den Urkunden des
dritten Jahrhunderts in seiner ganzen Vollständigkeit kennen lernen, nicht
gar viel Neues ans Licht gekommen ist und die meisten früheren Räthsel
auch jetzt noch ungelöst sind, so ist das meiste und wichtigste politischer Art,
das dieselben ergeben, erst in den jüngsten Funden zum Vorschein gekommen.
So hat der Zufall es gefügt -- und damit lassen Sie mich diesen flüchtigen
Ueberblick schließen --, daß von dem Vierkaiserjahr, dem Jahr 69 n. Chr.. in
welchem Galba, Otho, Vitellius und Vespasianus sich gefolgt sind, das für die
ersten fünf Monate fast vollständige Protokoll sich gesunden hat, ein merk¬
würdiger Commentar zu den ersten Büchern der Historien des Tacitus, die
dieselbe Epoche schildern. Am 1. Januar wird geopfert für Galba's Consulat;
am 3. nach gewohnter Weise das Gelübde dargebracht für glückliche Vollendung
dieses Regierungsjahres, am 10. ein Dankfest abgehalten wegen der Adoption
des Piso, oder, wie er hier heißt, des Caesars Galba; dies Alles unter dem
Vorsitz des alten Kaisers selbst. Fünf Tage darauf ist Galba eine Leiche; nun
opfert das Collegium unter Vorsitz des neuen Kaisers für den glücklichen Re-


dem großen Zusammensturz nach,Nero's Tod nie einem römischen Regenten wie¬
der ein Gleiches gelungen; oder vielmehr es fehlte den neuen Dynastiestiftern
selber der Glaube an sich selbst und an ihre Zukunft, der also Gewaltiges wirkt,
und Vespasian und Traian galten sich selber als bloße Reichsverweser und
Verwalter. Aber in der ersten Dynastie sieht es anders aus. Vor allem
Augustus und dessen Gemahlin werden auch nach ihrem Tode stetig gefeiert.
Besonders die schlechtesten Regenten gehen hierin noch viel weiter — Cali-
gula. dessen Pietät gegen seine Ahnen auch sonst bekannt genug ist. scheint
seine sämmtlichen Vorfahren von Augustus abwärts also haben verehren zu
lassen, seines Großvaters Tiberius Erequien nicht minder wie seiner Gro߬
eltern und Eltern Geburtstage gefeiert zu haben. Ebenso wird unter Nero
der Geburtstag seiner leiblichen Eltern, des früher genannten Gnaeus Do-
mitius und der Agrippina von dem Collegium festlich begangen. — Freilich
folgt dann auf den 6. Nov. des Jahres 68, wo Agrippina's letzter Geburts¬
tag mit einem, insbesondere der Eintracht zwischen Sohn und Mutter ge¬
widmeten Opfer gefeiert wurde, am 28. März 59 ein anderes Opfer, das
namenlos ist, aber sicherlich dargebracht ward wegen der einige Tage zuvor
glücklich vollbrachten Ermordung der Mutter durch den Sohn — es ist das
einzige Mal, wo auch unsere Urkunden vor Scham schweigen. Wegen glück¬
lich abgewandter Verschwörungen wird mehrfach, unter Caltgula, Nero, Do-
mitian, den Göttern der Dank des Collegiums dargebracht, und so be¬
gegnen noch zahlreiche zum Theil bis jetzt keineswegs genügend ermit¬
telte Beziehungen unserer Acten auf die Ereignisse des Tages. Gerade
in dieser Hinsicht hat über den neuesten Ausgrabungen ein günstiger Stern
gewaltet. Wenn über das Ritual, das wir besonders aus den Urkunden des
dritten Jahrhunderts in seiner ganzen Vollständigkeit kennen lernen, nicht
gar viel Neues ans Licht gekommen ist und die meisten früheren Räthsel
auch jetzt noch ungelöst sind, so ist das meiste und wichtigste politischer Art,
das dieselben ergeben, erst in den jüngsten Funden zum Vorschein gekommen.
So hat der Zufall es gefügt — und damit lassen Sie mich diesen flüchtigen
Ueberblick schließen —, daß von dem Vierkaiserjahr, dem Jahr 69 n. Chr.. in
welchem Galba, Otho, Vitellius und Vespasianus sich gefolgt sind, das für die
ersten fünf Monate fast vollständige Protokoll sich gesunden hat, ein merk¬
würdiger Commentar zu den ersten Büchern der Historien des Tacitus, die
dieselbe Epoche schildern. Am 1. Januar wird geopfert für Galba's Consulat;
am 3. nach gewohnter Weise das Gelübde dargebracht für glückliche Vollendung
dieses Regierungsjahres, am 10. ein Dankfest abgehalten wegen der Adoption
des Piso, oder, wie er hier heißt, des Caesars Galba; dies Alles unter dem
Vorsitz des alten Kaisers selbst. Fünf Tage darauf ist Galba eine Leiche; nun
opfert das Collegium unter Vorsitz des neuen Kaisers für den glücklichen Re-


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[0182] dem großen Zusammensturz nach,Nero's Tod nie einem römischen Regenten wie¬ der ein Gleiches gelungen; oder vielmehr es fehlte den neuen Dynastiestiftern selber der Glaube an sich selbst und an ihre Zukunft, der also Gewaltiges wirkt, und Vespasian und Traian galten sich selber als bloße Reichsverweser und Verwalter. Aber in der ersten Dynastie sieht es anders aus. Vor allem Augustus und dessen Gemahlin werden auch nach ihrem Tode stetig gefeiert. Besonders die schlechtesten Regenten gehen hierin noch viel weiter — Cali- gula. dessen Pietät gegen seine Ahnen auch sonst bekannt genug ist. scheint seine sämmtlichen Vorfahren von Augustus abwärts also haben verehren zu lassen, seines Großvaters Tiberius Erequien nicht minder wie seiner Gro߬ eltern und Eltern Geburtstage gefeiert zu haben. Ebenso wird unter Nero der Geburtstag seiner leiblichen Eltern, des früher genannten Gnaeus Do- mitius und der Agrippina von dem Collegium festlich begangen. — Freilich folgt dann auf den 6. Nov. des Jahres 68, wo Agrippina's letzter Geburts¬ tag mit einem, insbesondere der Eintracht zwischen Sohn und Mutter ge¬ widmeten Opfer gefeiert wurde, am 28. März 59 ein anderes Opfer, das namenlos ist, aber sicherlich dargebracht ward wegen der einige Tage zuvor glücklich vollbrachten Ermordung der Mutter durch den Sohn — es ist das einzige Mal, wo auch unsere Urkunden vor Scham schweigen. Wegen glück¬ lich abgewandter Verschwörungen wird mehrfach, unter Caltgula, Nero, Do- mitian, den Göttern der Dank des Collegiums dargebracht, und so be¬ gegnen noch zahlreiche zum Theil bis jetzt keineswegs genügend ermit¬ telte Beziehungen unserer Acten auf die Ereignisse des Tages. Gerade in dieser Hinsicht hat über den neuesten Ausgrabungen ein günstiger Stern gewaltet. Wenn über das Ritual, das wir besonders aus den Urkunden des dritten Jahrhunderts in seiner ganzen Vollständigkeit kennen lernen, nicht gar viel Neues ans Licht gekommen ist und die meisten früheren Räthsel auch jetzt noch ungelöst sind, so ist das meiste und wichtigste politischer Art, das dieselben ergeben, erst in den jüngsten Funden zum Vorschein gekommen. So hat der Zufall es gefügt — und damit lassen Sie mich diesen flüchtigen Ueberblick schließen —, daß von dem Vierkaiserjahr, dem Jahr 69 n. Chr.. in welchem Galba, Otho, Vitellius und Vespasianus sich gefolgt sind, das für die ersten fünf Monate fast vollständige Protokoll sich gesunden hat, ein merk¬ würdiger Commentar zu den ersten Büchern der Historien des Tacitus, die dieselbe Epoche schildern. Am 1. Januar wird geopfert für Galba's Consulat; am 3. nach gewohnter Weise das Gelübde dargebracht für glückliche Vollendung dieses Regierungsjahres, am 10. ein Dankfest abgehalten wegen der Adoption des Piso, oder, wie er hier heißt, des Caesars Galba; dies Alles unter dem Vorsitz des alten Kaisers selbst. Fünf Tage darauf ist Galba eine Leiche; nun opfert das Collegium unter Vorsitz des neuen Kaisers für den glücklichen Re-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/182>, abgerufen am 26.06.2024.