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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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der Kaiserin Mutter -- man sieht auch hier, wie die Staatstheologie immer
mehr sich lossagt von der alten nationalen Grundlage und über dem wüsten
Göttergemisch als die einzige greifbare Gestalt die des regierenden Kaisers
schwebt, als des lebendigen Gottes dieser gesunkenen und versinkendem
Welt. -- Im Ganzen genommen aber begegnen in den spätern Acten
dergleichen politische Festlichkeiten sehr selten; es scheint, daß das nüchterne
Regiment, wie es besonders Traian ordnete, an den obligaten Opfer¬
thieren der römischen Klerisei kein besonderes Wohlgefallen weiter fand
und vielleicht sogar finanzielle Bedenken gegen den Weihrauch hatte, der in
jeder Hinsicht auf seine Rechnung ging. Auch das plötzliche Aufhören unserer
Urkunden in der Mitte des dritten Jahrhunderts wird vermuthlich mit den da¬
maligen Finanzbedrängnissen des Staates zusammenhängen; man wird unserer
Brüderschaft kein Unrecht thun, wenn man ihnen bei dem Versiegen der
öffentlichen Schmausgelder die Einstellung ihrer gottseliger Arbeiten beimißt.
Dagegen im ersten Jahrhundert bis hinab auf Domitian sind unsere Urkun¬
den ein getreues Echo aller Haupt- und Staatsactionen der römischen Politik
und vielfältig unmittelbar geschichtlich belehrend. Nicht bloß die Geburth- und die
Antrittstage -- die ales imvsrii -- der Kaiser finden wir von dem Collegium
festlich begangen, auch andere geringere Gedenktage werden gefeiert, so unter
Caligula der Tag, wo er zuerst in Rom einzog; unter Nero der Tag seiner
Adoption und der seines Pontificats und seines ersten Consulats; vor allem
unter Nero, Otho und Domitian die Tage, an denen ihnen durch den Act, den
man damals allgemeine Volksabstimmung nannte, von dem souveränen Volke
die Ausübung der Volkssouveränität anvertraut wurde -- oder, um die
offizielle Sprache dieser Zeit zu reden, die Tage der Comitien, welche dem
neu eintretenden Kaiser die tribunicische Gewalt übertrugen. Diese merk¬
würdige Kundgebung des verfassungsmäßigen Absolutismus, den man das
römische Kaiserthum nennt und den in folgerechter Selbstvernichtung die
römische Demokratie aus sich entwickelt hat, haben zum ersten Mal unsere
Urkunden, und zwar die neugefundenen, uns kennen gelehrt. Es ist wohl nicht
zufällig, daß die Zahl dieser persönlichen Festlichkeiten um so größer wird, je
nichtswürdiger die Regenten sind; es war ganz angemessen, daß unter Herr¬
schern wie Caligula, Nero und Domitian kein Monat verging, wo nicht sammt-
liche geistliche Körperschaften der Hauptstadt ihnen das officielle Hosianna riefen,
bis der Mörder kam. Aber nicht des Kaisers allein, auch ihrer Ahnen gedachten
die geistlichen Herren, das heißt unter der julisch-claudischen Dynastie; denn
nach Nero's Tode findet sich nichts dergleichen. Es ist dies ein merkwürdiger
Beleg dafür, daß nur Caesar, der Dictator, es verstanden hat, die dynastische
Idee in das römische Volk zu pflanzen, -- so lebendig und gewaltig sie be¬
standen hat für das julische Haus und was an dies sich anlehnte, so ist doch seit


der Kaiserin Mutter — man sieht auch hier, wie die Staatstheologie immer
mehr sich lossagt von der alten nationalen Grundlage und über dem wüsten
Göttergemisch als die einzige greifbare Gestalt die des regierenden Kaisers
schwebt, als des lebendigen Gottes dieser gesunkenen und versinkendem
Welt. — Im Ganzen genommen aber begegnen in den spätern Acten
dergleichen politische Festlichkeiten sehr selten; es scheint, daß das nüchterne
Regiment, wie es besonders Traian ordnete, an den obligaten Opfer¬
thieren der römischen Klerisei kein besonderes Wohlgefallen weiter fand
und vielleicht sogar finanzielle Bedenken gegen den Weihrauch hatte, der in
jeder Hinsicht auf seine Rechnung ging. Auch das plötzliche Aufhören unserer
Urkunden in der Mitte des dritten Jahrhunderts wird vermuthlich mit den da¬
maligen Finanzbedrängnissen des Staates zusammenhängen; man wird unserer
Brüderschaft kein Unrecht thun, wenn man ihnen bei dem Versiegen der
öffentlichen Schmausgelder die Einstellung ihrer gottseliger Arbeiten beimißt.
Dagegen im ersten Jahrhundert bis hinab auf Domitian sind unsere Urkun¬
den ein getreues Echo aller Haupt- und Staatsactionen der römischen Politik
und vielfältig unmittelbar geschichtlich belehrend. Nicht bloß die Geburth- und die
Antrittstage — die ales imvsrii — der Kaiser finden wir von dem Collegium
festlich begangen, auch andere geringere Gedenktage werden gefeiert, so unter
Caligula der Tag, wo er zuerst in Rom einzog; unter Nero der Tag seiner
Adoption und der seines Pontificats und seines ersten Consulats; vor allem
unter Nero, Otho und Domitian die Tage, an denen ihnen durch den Act, den
man damals allgemeine Volksabstimmung nannte, von dem souveränen Volke
die Ausübung der Volkssouveränität anvertraut wurde — oder, um die
offizielle Sprache dieser Zeit zu reden, die Tage der Comitien, welche dem
neu eintretenden Kaiser die tribunicische Gewalt übertrugen. Diese merk¬
würdige Kundgebung des verfassungsmäßigen Absolutismus, den man das
römische Kaiserthum nennt und den in folgerechter Selbstvernichtung die
römische Demokratie aus sich entwickelt hat, haben zum ersten Mal unsere
Urkunden, und zwar die neugefundenen, uns kennen gelehrt. Es ist wohl nicht
zufällig, daß die Zahl dieser persönlichen Festlichkeiten um so größer wird, je
nichtswürdiger die Regenten sind; es war ganz angemessen, daß unter Herr¬
schern wie Caligula, Nero und Domitian kein Monat verging, wo nicht sammt-
liche geistliche Körperschaften der Hauptstadt ihnen das officielle Hosianna riefen,
bis der Mörder kam. Aber nicht des Kaisers allein, auch ihrer Ahnen gedachten
die geistlichen Herren, das heißt unter der julisch-claudischen Dynastie; denn
nach Nero's Tode findet sich nichts dergleichen. Es ist dies ein merkwürdiger
Beleg dafür, daß nur Caesar, der Dictator, es verstanden hat, die dynastische
Idee in das römische Volk zu pflanzen, — so lebendig und gewaltig sie be¬
standen hat für das julische Haus und was an dies sich anlehnte, so ist doch seit


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[0181] der Kaiserin Mutter — man sieht auch hier, wie die Staatstheologie immer mehr sich lossagt von der alten nationalen Grundlage und über dem wüsten Göttergemisch als die einzige greifbare Gestalt die des regierenden Kaisers schwebt, als des lebendigen Gottes dieser gesunkenen und versinkendem Welt. — Im Ganzen genommen aber begegnen in den spätern Acten dergleichen politische Festlichkeiten sehr selten; es scheint, daß das nüchterne Regiment, wie es besonders Traian ordnete, an den obligaten Opfer¬ thieren der römischen Klerisei kein besonderes Wohlgefallen weiter fand und vielleicht sogar finanzielle Bedenken gegen den Weihrauch hatte, der in jeder Hinsicht auf seine Rechnung ging. Auch das plötzliche Aufhören unserer Urkunden in der Mitte des dritten Jahrhunderts wird vermuthlich mit den da¬ maligen Finanzbedrängnissen des Staates zusammenhängen; man wird unserer Brüderschaft kein Unrecht thun, wenn man ihnen bei dem Versiegen der öffentlichen Schmausgelder die Einstellung ihrer gottseliger Arbeiten beimißt. Dagegen im ersten Jahrhundert bis hinab auf Domitian sind unsere Urkun¬ den ein getreues Echo aller Haupt- und Staatsactionen der römischen Politik und vielfältig unmittelbar geschichtlich belehrend. Nicht bloß die Geburth- und die Antrittstage — die ales imvsrii — der Kaiser finden wir von dem Collegium festlich begangen, auch andere geringere Gedenktage werden gefeiert, so unter Caligula der Tag, wo er zuerst in Rom einzog; unter Nero der Tag seiner Adoption und der seines Pontificats und seines ersten Consulats; vor allem unter Nero, Otho und Domitian die Tage, an denen ihnen durch den Act, den man damals allgemeine Volksabstimmung nannte, von dem souveränen Volke die Ausübung der Volkssouveränität anvertraut wurde — oder, um die offizielle Sprache dieser Zeit zu reden, die Tage der Comitien, welche dem neu eintretenden Kaiser die tribunicische Gewalt übertrugen. Diese merk¬ würdige Kundgebung des verfassungsmäßigen Absolutismus, den man das römische Kaiserthum nennt und den in folgerechter Selbstvernichtung die römische Demokratie aus sich entwickelt hat, haben zum ersten Mal unsere Urkunden, und zwar die neugefundenen, uns kennen gelehrt. Es ist wohl nicht zufällig, daß die Zahl dieser persönlichen Festlichkeiten um so größer wird, je nichtswürdiger die Regenten sind; es war ganz angemessen, daß unter Herr¬ schern wie Caligula, Nero und Domitian kein Monat verging, wo nicht sammt- liche geistliche Körperschaften der Hauptstadt ihnen das officielle Hosianna riefen, bis der Mörder kam. Aber nicht des Kaisers allein, auch ihrer Ahnen gedachten die geistlichen Herren, das heißt unter der julisch-claudischen Dynastie; denn nach Nero's Tode findet sich nichts dergleichen. Es ist dies ein merkwürdiger Beleg dafür, daß nur Caesar, der Dictator, es verstanden hat, die dynastische Idee in das römische Volk zu pflanzen, — so lebendig und gewaltig sie be¬ standen hat für das julische Haus und was an dies sich anlehnte, so ist doch seit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/181>, abgerufen am 26.06.2024.