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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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uns deutlicher als irgend welche andere Berichte ein Bild geben von einem
nach römischer Weise wohl durchgegessenen Tage, mit Zuswtio, pranäium und
eeua oder, faßlicher ausgedrückt, mit Imbiß, Luncheon und Diner; wobei
nicht vergessen werden darf, daß bereits das erste Frühstück in Spanferkel be¬
steht unb daß die göttliche Göttin von ihren Dienern schon am nächstfolgen¬
den Tage die Abhaltung eines abermaligen nicht minder vollkommenen Di¬
ners erheischt. Weiter führen unsere Acten nicht; wir haben nur noch zu
berichten, daß selben zufolge für jedes Couvert aus der Stiftungscasse 100
Denare oder etwa 24 Thlr. gezahlt wurden, und stellen das Weitere der
Küchenphantasie des geneigten Publikums anheim.

Vorgänge wie die geschilderten sind keine geschichtlichen Ereignisse, und
Niemand wird in solchen Aufzeichnungen unmittelbar geschichtliche Berichte
zu finden erwarten. Dennoch sind dieselben auch in dieser Beziehung von
großer Bedeutung. Wie stereotyp auch diese steinernen Denkblätter sind, die
Schlaglichter wie die Schlagschatten der Weltgeschichte gleiten oft durch die¬
selben, und nicht bloß von berühmten Namen sind sie erfüllt, sondern auch
voll von Spuren historischer Ereignisse. Allerdings ist darin, wie es die
Epoche mit sich bringt, von großen und stolzen Thaten wenig verzeichnet, um
so mehr des Kleinen und Gemeinen, des Nichtswürdigen in der langen
Stufenleiter menschlicher Erbärmlichkeit. Schon die sogenannten Vota ge¬
hören hierher. Es war dies eine religiöse Ceremonie, die am dritten Januar
eines jeden Jahres im ganzen römischen Reich, insbesondere von dem ganzen
Beamtenpersonal, militärischem wie bürgerlichem und geistlichem, vorgenommen
ward und die bestand in der Ableistung von Gelübden für das Wohlergehen
des regierenden Kaisers und der Seinigen, sowie beiläufig auch für das des
Staates. Diese Vota in ihrem festen Schema mit stetig wechselnden Namen,
diese Reihe von Kirchengebeten, durch mehrere Jahrhunderte sich erstreckend
in einer Monarchie, wie die römische gewesen ist; diese gleichen Bitten der¬
selben vornehmen Klerisei heute für den Mörder wie gestern für den Er¬
mordeten; diese obligate Loyalität, unerschütterlich in ihrer Verehrung für
den zeitigen Machthaber, die Rinder mit vergoldeten Hörnern dem höchsten
besten Jupiter und der Königin Juno und der Minerva und der Salus gleich¬
mäßig gelobend für das nächste Lebensjahr Domitians wie für das nächste
Lebensjahr Traian's in immer gleicher tiefster Ergebenheit, also ohne Gedächtniß
wie ohne Scham -- es ist ein Studium für Timon, und auch historisch. --
Aber außer diesen sich stetig wiederholenden Gelübden begegnen in unseren Acten
eine Menge außerordentlicher Dank- und Bitt- und Erinnerungsfeste, von
denen die meisten mit den kaiserlichen Persönlichkeiten zusammenhängen. Ge-
schichtlich besonders merkwürdig sind die Gelübde für die glückliche Vollen¬
dung der beiden Donaukriege Traian's und des Alemannenkrieges unter


uns deutlicher als irgend welche andere Berichte ein Bild geben von einem
nach römischer Weise wohl durchgegessenen Tage, mit Zuswtio, pranäium und
eeua oder, faßlicher ausgedrückt, mit Imbiß, Luncheon und Diner; wobei
nicht vergessen werden darf, daß bereits das erste Frühstück in Spanferkel be¬
steht unb daß die göttliche Göttin von ihren Dienern schon am nächstfolgen¬
den Tage die Abhaltung eines abermaligen nicht minder vollkommenen Di¬
ners erheischt. Weiter führen unsere Acten nicht; wir haben nur noch zu
berichten, daß selben zufolge für jedes Couvert aus der Stiftungscasse 100
Denare oder etwa 24 Thlr. gezahlt wurden, und stellen das Weitere der
Küchenphantasie des geneigten Publikums anheim.

Vorgänge wie die geschilderten sind keine geschichtlichen Ereignisse, und
Niemand wird in solchen Aufzeichnungen unmittelbar geschichtliche Berichte
zu finden erwarten. Dennoch sind dieselben auch in dieser Beziehung von
großer Bedeutung. Wie stereotyp auch diese steinernen Denkblätter sind, die
Schlaglichter wie die Schlagschatten der Weltgeschichte gleiten oft durch die¬
selben, und nicht bloß von berühmten Namen sind sie erfüllt, sondern auch
voll von Spuren historischer Ereignisse. Allerdings ist darin, wie es die
Epoche mit sich bringt, von großen und stolzen Thaten wenig verzeichnet, um
so mehr des Kleinen und Gemeinen, des Nichtswürdigen in der langen
Stufenleiter menschlicher Erbärmlichkeit. Schon die sogenannten Vota ge¬
hören hierher. Es war dies eine religiöse Ceremonie, die am dritten Januar
eines jeden Jahres im ganzen römischen Reich, insbesondere von dem ganzen
Beamtenpersonal, militärischem wie bürgerlichem und geistlichem, vorgenommen
ward und die bestand in der Ableistung von Gelübden für das Wohlergehen
des regierenden Kaisers und der Seinigen, sowie beiläufig auch für das des
Staates. Diese Vota in ihrem festen Schema mit stetig wechselnden Namen,
diese Reihe von Kirchengebeten, durch mehrere Jahrhunderte sich erstreckend
in einer Monarchie, wie die römische gewesen ist; diese gleichen Bitten der¬
selben vornehmen Klerisei heute für den Mörder wie gestern für den Er¬
mordeten; diese obligate Loyalität, unerschütterlich in ihrer Verehrung für
den zeitigen Machthaber, die Rinder mit vergoldeten Hörnern dem höchsten
besten Jupiter und der Königin Juno und der Minerva und der Salus gleich¬
mäßig gelobend für das nächste Lebensjahr Domitians wie für das nächste
Lebensjahr Traian's in immer gleicher tiefster Ergebenheit, also ohne Gedächtniß
wie ohne Scham — es ist ein Studium für Timon, und auch historisch. —
Aber außer diesen sich stetig wiederholenden Gelübden begegnen in unseren Acten
eine Menge außerordentlicher Dank- und Bitt- und Erinnerungsfeste, von
denen die meisten mit den kaiserlichen Persönlichkeiten zusammenhängen. Ge-
schichtlich besonders merkwürdig sind die Gelübde für die glückliche Vollen¬
dung der beiden Donaukriege Traian's und des Alemannenkrieges unter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/179>, abgerufen am 26.06.2024.