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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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sind die ursprünglichen Saturnalien, die Vorläufer unserer Weihnachten,
immer ein Fest jubelnder Fröhlichkett und ausgelassenen Behagens, aber ur¬
sprünglich begangen im ernsten Hinblick auf die auch im beginnenden Jahr be¬
vorstehende harte und stetige Arbeit um die goldene Frucht. -- Darin aber tritt
wieder die Alterthümlichkeit dieser Einrichtungen hervor, daß das Collegium
auch in späterer Zeit sich nicht völlig dem julianischen Jahr gefügt hat, son¬
dern hier noch Reste übrig geblieben sind von dem ältesten römischen bürger¬
lichen Kalender, der statt des Schalttags einen Schaltmonat ansetzt und zwi¬
schen zwölf- und dreizehnmonatlichem Jahren abwechselnd verläuft; denn dar¬
auf beruht es, daß das Hauptfest der Brüderschaft entweder am 19. oder
am 29. Mai, in der Regel in umgehender Folge, gefeiert wird.

Ohne Zweifel, obwohl es allerdings bezweifelt worden ist, ist dies das
Fest, von dem Virgil in den Georgiken singt:


Ehre die Götter zunächst und bringe der mächtigen Ceres
Jährlich die Andacht dar, ihr dienend auf grünender Ane,
Wenn sich zu Ende der Winter geneigt und wieder der Lenz lacht,
Dann ist am fettsten das Lamm; am lieblichsten gleitet der Wein dann;
Dann ist anmuthig der Schlaf im Schatten des laubigen Abhangs.
Alles Gesinde der Flur du heiße die Ceres verehren,
Spreng' ihr die Waben mit Milch und lieblichem Safte der Traube,
Und dreimal zum Heil umwandte das Lamm dir die Neufrucht.

Der Mittelpunkt der Festfeier tritt bei dem Dichter deutlicher hervor,
als in unseren Acten: es ist das Fest für das Gedeihen der jungen sprossen¬
den Saaten, gefeiert in der neubegrünten Flur, mit dem fetten Lamm und
reichlichem jungem Weine. Im Wesentlichen stimmen damit auch die Proto¬
kolle; aber die Schutzgottheit der Ackerbrüder und der Aecker selbst heißt hier
nicht Ceres oder Ops, sondern die göttliche Göttin, äeg, via -- ein sonst
nirgends vorkommender, offenbar auch dem höchsten Alterthum angehörender
Name. Die Festfeier selbst ist in seltsamer Weise zusammengesetzt aus alten
und neuen, zum Theil recht fremdartigen Bestandtheilen; es soll hier nur
versucht werden, von dem Haupttag derselben, mit Uebergehung der Ankün¬
digungsceremonie wie der Vor- und Nachfeier, ein Bild zu entwerfen.

Vom Janiculum auslaufend zieht sich am rechten Tiberufer ein niedriger
Hügelzug bis zu der Mündung des Flusses. Zwischen diesen Hügeln und
dem Flusse läuft von Port" Portese ab die Feldstraße, die via vamMiis,,
an deren fünften Meilenstein das Festlocal der Urvater sich befand. Wie es
in älterer Zeit beschaffen gewesen, wissen wir nicht; seit das kaiserliche Mar¬
morrom die alten Ziegelbauten der Republik verdrängt hatte, hatte auch
das Arvalenheiligthum sich prächtig geschmückt. Auf den Hügeln zu rechter
Hand der Feldstraße, wenn man von Rom kommt, innerhalb des heiligen


sind die ursprünglichen Saturnalien, die Vorläufer unserer Weihnachten,
immer ein Fest jubelnder Fröhlichkett und ausgelassenen Behagens, aber ur¬
sprünglich begangen im ernsten Hinblick auf die auch im beginnenden Jahr be¬
vorstehende harte und stetige Arbeit um die goldene Frucht. — Darin aber tritt
wieder die Alterthümlichkeit dieser Einrichtungen hervor, daß das Collegium
auch in späterer Zeit sich nicht völlig dem julianischen Jahr gefügt hat, son¬
dern hier noch Reste übrig geblieben sind von dem ältesten römischen bürger¬
lichen Kalender, der statt des Schalttags einen Schaltmonat ansetzt und zwi¬
schen zwölf- und dreizehnmonatlichem Jahren abwechselnd verläuft; denn dar¬
auf beruht es, daß das Hauptfest der Brüderschaft entweder am 19. oder
am 29. Mai, in der Regel in umgehender Folge, gefeiert wird.

Ohne Zweifel, obwohl es allerdings bezweifelt worden ist, ist dies das
Fest, von dem Virgil in den Georgiken singt:


Ehre die Götter zunächst und bringe der mächtigen Ceres
Jährlich die Andacht dar, ihr dienend auf grünender Ane,
Wenn sich zu Ende der Winter geneigt und wieder der Lenz lacht,
Dann ist am fettsten das Lamm; am lieblichsten gleitet der Wein dann;
Dann ist anmuthig der Schlaf im Schatten des laubigen Abhangs.
Alles Gesinde der Flur du heiße die Ceres verehren,
Spreng' ihr die Waben mit Milch und lieblichem Safte der Traube,
Und dreimal zum Heil umwandte das Lamm dir die Neufrucht.

Der Mittelpunkt der Festfeier tritt bei dem Dichter deutlicher hervor,
als in unseren Acten: es ist das Fest für das Gedeihen der jungen sprossen¬
den Saaten, gefeiert in der neubegrünten Flur, mit dem fetten Lamm und
reichlichem jungem Weine. Im Wesentlichen stimmen damit auch die Proto¬
kolle; aber die Schutzgottheit der Ackerbrüder und der Aecker selbst heißt hier
nicht Ceres oder Ops, sondern die göttliche Göttin, äeg, via — ein sonst
nirgends vorkommender, offenbar auch dem höchsten Alterthum angehörender
Name. Die Festfeier selbst ist in seltsamer Weise zusammengesetzt aus alten
und neuen, zum Theil recht fremdartigen Bestandtheilen; es soll hier nur
versucht werden, von dem Haupttag derselben, mit Uebergehung der Ankün¬
digungsceremonie wie der Vor- und Nachfeier, ein Bild zu entwerfen.

Vom Janiculum auslaufend zieht sich am rechten Tiberufer ein niedriger
Hügelzug bis zu der Mündung des Flusses. Zwischen diesen Hügeln und
dem Flusse läuft von Port« Portese ab die Feldstraße, die via vamMiis,,
an deren fünften Meilenstein das Festlocal der Urvater sich befand. Wie es
in älterer Zeit beschaffen gewesen, wissen wir nicht; seit das kaiserliche Mar¬
morrom die alten Ziegelbauten der Republik verdrängt hatte, hatte auch
das Arvalenheiligthum sich prächtig geschmückt. Auf den Hügeln zu rechter
Hand der Feldstraße, wenn man von Rom kommt, innerhalb des heiligen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/172>, abgerufen am 26.06.2024.