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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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besitzen in ältestem Latein, einem Latein, welches bereits vierhundert Jahre
vor Cicero eine veraltete Sprache gewesen sein muß. Es ist eine Bitte
an den Mars und die Lasen oder Laren um Abwendung des Verderbens,
wie es scheint, zunächst von der Saat und den Feldflüchter; geschrieben in
einem bewegten Rhythmus, den man ebenso wenig Prosa nennen, wie auf
ein eigentliches metrisches Schema zurückführen kann und dessen hauptsächliche
Eigenthümlichkeit ist, daß ein jeder der kurzen Sätze, aus denen das Gedicht
sich zusammensetzt, dreimal hinter einander gesungen und gesprungen wird --
man nennt dieses Dritttreten (ti'ipoäare).-- Einen neuen Beweis des hohen
Alters dieser Stiftung haben die letzten Ausgrabungen geliefert. Wir wußten
schon, daß die Töpfe, die ollas, bei den heiligen Gebräuchen der Urvater eine
Rolle spielten; erst die neu gefundenen Inschriften haben uns gelehrt, daß
dies die Breitöpfe waren aus jener Zeit, wo man das Korn noch nicht
zum Brote but, sondern als Brei stampfte, und daß die Ackerpriester den
Topf oder den Brei mit frommem Gebet besprachen. Aber auch die Töpfe
selbst sind jetzt zum Vorschein gekommen; in dem Winkel einer seit römischer
Zeit nicht berührten Grube der Arvalenvigne fanden sich zusammen achtzehn
Scherben von Gefäßen rohester Fabrik, ohne Drehscheibe aus freier Hand
verfertigt, wie sie sonst in Latium nirgends begegnen außer in jenen merk¬
würdigsten urältesten Funden unter dem Peperin, das heißt unter der Lava
der, bevor es eine Geschichte Latinas gibt, erloschenen Vulcane des Albaner¬
gebirges. Offenbar ist es der Kochtopf der Urzeit, den hier das Ritual fest¬
gehalten hat, als den rechten Zeitgenossen jenes uralten Marsgesanges.

Zwölf Brüder sind es, denen das Gedeihen der Fluren anvertraut ist,
eine Brüderschaft nicht in dem Sinne, wie das Wort in den neuern Sprachen
gebraucht zu werden pflegt, denn diese Bezeichnungsweise ist nicht lateinisch;
sondern es sind die Priester gedacht als zwölf Geschwister, zwölf Söhne des¬
selben Vaters. Ohne Zweifel liegt dabei zu Grunde die Vorstellung des
Jahres, und zwar desjenigen Jahres, wie es der Landmann kennt,
des Sonnenjahres mit seinem durch die zwölf Monde wechselnden und in sich
selbst zurückkehrenden Arbeitskreise; und schicklich faßten die ältesten Ordner
diese zwölf Monate als die Söhne derselben Sonne, die in stetig sich ab¬
lösender Kette Saat und Ernte vollbringen. Das Jahr dieser Körperschaft
beginnt im Mittwinter -- der 17. December ist für die Urvater der Neu¬
jahrstag; so daß. wie der Tag von Mitternacht zu Mitternacht reichend die
Lichtzeit vollständig umfaßt, so auch dies Bauernjahr von Mittwinter zu Mitt¬
winter gerechnet den Kreislauf der Feldarbeiten vollständig einschließt. Daher ist
dies Arvalenneujahr als der Anfang des Bauernjahres zugleich ein ländliches
Fest, gefeiert nicht zunächst von dem Collegium. aber von der ganzen Be¬
völkerung als das Fest des Säegottes, des Saturnus. Denn ein Saatfest


besitzen in ältestem Latein, einem Latein, welches bereits vierhundert Jahre
vor Cicero eine veraltete Sprache gewesen sein muß. Es ist eine Bitte
an den Mars und die Lasen oder Laren um Abwendung des Verderbens,
wie es scheint, zunächst von der Saat und den Feldflüchter; geschrieben in
einem bewegten Rhythmus, den man ebenso wenig Prosa nennen, wie auf
ein eigentliches metrisches Schema zurückführen kann und dessen hauptsächliche
Eigenthümlichkeit ist, daß ein jeder der kurzen Sätze, aus denen das Gedicht
sich zusammensetzt, dreimal hinter einander gesungen und gesprungen wird —
man nennt dieses Dritttreten (ti'ipoäare).— Einen neuen Beweis des hohen
Alters dieser Stiftung haben die letzten Ausgrabungen geliefert. Wir wußten
schon, daß die Töpfe, die ollas, bei den heiligen Gebräuchen der Urvater eine
Rolle spielten; erst die neu gefundenen Inschriften haben uns gelehrt, daß
dies die Breitöpfe waren aus jener Zeit, wo man das Korn noch nicht
zum Brote but, sondern als Brei stampfte, und daß die Ackerpriester den
Topf oder den Brei mit frommem Gebet besprachen. Aber auch die Töpfe
selbst sind jetzt zum Vorschein gekommen; in dem Winkel einer seit römischer
Zeit nicht berührten Grube der Arvalenvigne fanden sich zusammen achtzehn
Scherben von Gefäßen rohester Fabrik, ohne Drehscheibe aus freier Hand
verfertigt, wie sie sonst in Latium nirgends begegnen außer in jenen merk¬
würdigsten urältesten Funden unter dem Peperin, das heißt unter der Lava
der, bevor es eine Geschichte Latinas gibt, erloschenen Vulcane des Albaner¬
gebirges. Offenbar ist es der Kochtopf der Urzeit, den hier das Ritual fest¬
gehalten hat, als den rechten Zeitgenossen jenes uralten Marsgesanges.

Zwölf Brüder sind es, denen das Gedeihen der Fluren anvertraut ist,
eine Brüderschaft nicht in dem Sinne, wie das Wort in den neuern Sprachen
gebraucht zu werden pflegt, denn diese Bezeichnungsweise ist nicht lateinisch;
sondern es sind die Priester gedacht als zwölf Geschwister, zwölf Söhne des¬
selben Vaters. Ohne Zweifel liegt dabei zu Grunde die Vorstellung des
Jahres, und zwar desjenigen Jahres, wie es der Landmann kennt,
des Sonnenjahres mit seinem durch die zwölf Monde wechselnden und in sich
selbst zurückkehrenden Arbeitskreise; und schicklich faßten die ältesten Ordner
diese zwölf Monate als die Söhne derselben Sonne, die in stetig sich ab¬
lösender Kette Saat und Ernte vollbringen. Das Jahr dieser Körperschaft
beginnt im Mittwinter — der 17. December ist für die Urvater der Neu¬
jahrstag; so daß. wie der Tag von Mitternacht zu Mitternacht reichend die
Lichtzeit vollständig umfaßt, so auch dies Bauernjahr von Mittwinter zu Mitt¬
winter gerechnet den Kreislauf der Feldarbeiten vollständig einschließt. Daher ist
dies Arvalenneujahr als der Anfang des Bauernjahres zugleich ein ländliches
Fest, gefeiert nicht zunächst von dem Collegium. aber von der ganzen Be¬
völkerung als das Fest des Säegottes, des Saturnus. Denn ein Saatfest


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[0171] besitzen in ältestem Latein, einem Latein, welches bereits vierhundert Jahre vor Cicero eine veraltete Sprache gewesen sein muß. Es ist eine Bitte an den Mars und die Lasen oder Laren um Abwendung des Verderbens, wie es scheint, zunächst von der Saat und den Feldflüchter; geschrieben in einem bewegten Rhythmus, den man ebenso wenig Prosa nennen, wie auf ein eigentliches metrisches Schema zurückführen kann und dessen hauptsächliche Eigenthümlichkeit ist, daß ein jeder der kurzen Sätze, aus denen das Gedicht sich zusammensetzt, dreimal hinter einander gesungen und gesprungen wird — man nennt dieses Dritttreten (ti'ipoäare).— Einen neuen Beweis des hohen Alters dieser Stiftung haben die letzten Ausgrabungen geliefert. Wir wußten schon, daß die Töpfe, die ollas, bei den heiligen Gebräuchen der Urvater eine Rolle spielten; erst die neu gefundenen Inschriften haben uns gelehrt, daß dies die Breitöpfe waren aus jener Zeit, wo man das Korn noch nicht zum Brote but, sondern als Brei stampfte, und daß die Ackerpriester den Topf oder den Brei mit frommem Gebet besprachen. Aber auch die Töpfe selbst sind jetzt zum Vorschein gekommen; in dem Winkel einer seit römischer Zeit nicht berührten Grube der Arvalenvigne fanden sich zusammen achtzehn Scherben von Gefäßen rohester Fabrik, ohne Drehscheibe aus freier Hand verfertigt, wie sie sonst in Latium nirgends begegnen außer in jenen merk¬ würdigsten urältesten Funden unter dem Peperin, das heißt unter der Lava der, bevor es eine Geschichte Latinas gibt, erloschenen Vulcane des Albaner¬ gebirges. Offenbar ist es der Kochtopf der Urzeit, den hier das Ritual fest¬ gehalten hat, als den rechten Zeitgenossen jenes uralten Marsgesanges. Zwölf Brüder sind es, denen das Gedeihen der Fluren anvertraut ist, eine Brüderschaft nicht in dem Sinne, wie das Wort in den neuern Sprachen gebraucht zu werden pflegt, denn diese Bezeichnungsweise ist nicht lateinisch; sondern es sind die Priester gedacht als zwölf Geschwister, zwölf Söhne des¬ selben Vaters. Ohne Zweifel liegt dabei zu Grunde die Vorstellung des Jahres, und zwar desjenigen Jahres, wie es der Landmann kennt, des Sonnenjahres mit seinem durch die zwölf Monde wechselnden und in sich selbst zurückkehrenden Arbeitskreise; und schicklich faßten die ältesten Ordner diese zwölf Monate als die Söhne derselben Sonne, die in stetig sich ab¬ lösender Kette Saat und Ernte vollbringen. Das Jahr dieser Körperschaft beginnt im Mittwinter — der 17. December ist für die Urvater der Neu¬ jahrstag; so daß. wie der Tag von Mitternacht zu Mitternacht reichend die Lichtzeit vollständig umfaßt, so auch dies Bauernjahr von Mittwinter zu Mitt¬ winter gerechnet den Kreislauf der Feldarbeiten vollständig einschließt. Daher ist dies Arvalenneujahr als der Anfang des Bauernjahres zugleich ein ländliches Fest, gefeiert nicht zunächst von dem Collegium. aber von der ganzen Be¬ völkerung als das Fest des Säegottes, des Saturnus. Denn ein Saatfest

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/171>, abgerufen am 26.06.2024.