Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.lands Reformaera begann und gleichzeitig in Wien Miene gemacht wurde, Verschiedene Umstände trugen dazu bei, diese Reise zu befördern; Rußlands Die Geschichte dieses Entwicklungsganges war während der kalten Mor- lands Reformaera begann und gleichzeitig in Wien Miene gemacht wurde, Verschiedene Umstände trugen dazu bei, diese Reise zu befördern; Rußlands Die Geschichte dieses Entwicklungsganges war während der kalten Mor- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0165" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123253"/> <p xml:id="ID_448" prev="#ID_447"> lands Reformaera begann und gleichzeitig in Wien Miene gemacht wurde,<lb/> mit den Ruthenen zu brechen und wiederum die Polen zu bevorzugen. Jetzt<lb/> trat im ruthenischen Lager ein Riß ein, der lang vorbereitet war und auf<lb/> die Lage des gesammten Landes entscheidenden Einfluß gewinnen sollte. In<lb/> der Natur der Sache war begründet, daß die entschiedeneren Elemente inner¬<lb/> halb der ruthenischen Agitationspartei, literarisch wie politisch bei dem gro߬<lb/> russischen Pcmslawismus ankommen mußten. Die Unauskömmlichkeit ihres<lb/> Dialekts, der nur durch den Uebergang zum Großrussischen eine gebildete<lb/> Sprache werden konnte, war die Brücke gewesen, welche vom Ruthenenthum<lb/> zum Panslawismus führte: aus dieser Brücke fanden bald auch politische<lb/> Tendenzen einen Uebergang in das Lager jenseit der russischen Grenze.</p><lb/> <p xml:id="ID_449"> Verschiedene Umstände trugen dazu bei, diese Reise zu befördern; Rußlands<lb/> agrarische Reformen erfüllten die Herzen der galizischen Bauern mit Sympathie<lb/> für den weißen Zaaren, Rußlands Vernichtungskampf gegen Polen und Ka¬<lb/> tholiken verwirklichte die geheimen Wünsche der geistlichen und literarischen<lb/> Volksführer, während Oestreichs ziemlich unvermittelte Schwenkung zur polni¬<lb/> schen Aristokratie alle Herzen mit Mißtrauen und Erbitterung erfüllte. —<lb/> Zu diesen äußeren Verhältnissen, welche in der allgemeinen Lage begründet<lb/> waren, kamen noch empfindliche Mißgriffe, die innerhalb des Landes be¬<lb/> gangen wurden, — Graf Goluchowski, der der agitatorischen Thätigkeit der<lb/> Swätojurzen (so hießen die großrussisch Gesinnten) schon lange besorgt zuge¬<lb/> sehen hatte, kam auf den unglücklichen Gedanken, sich von Staatswegen in<lb/> die Händel zu mischen, welche über die Schreibweise und Ausbildung der Sprache<lb/> zwischen den verschiedenen ruthenischen Coterien seit lange geführt wurden.<lb/> Er versuchte die völlige Abschaffung der kyrillischen Schriftzeichen und die Ein¬<lb/> führung lateinischer Buchstaben decretiren zu lassen und beschwor dadurch einen<lb/> allgemeinen Sturm nationaler Entrüstung hinauf.. Die specifisch galizische<lb/> oder ruthenische Partei (die sg. Ukrainophilen), welche es immer noch mit<lb/> den Polen gehalten und die Großrussen bekämpft hatte, verlor allen Boden<lb/> im Volk und als einzelne Anhänger derselben sich im I. 1863 gar ein¬<lb/> fallen ließen, eine arti-moskowitische Legion „ kleinrussischer Kosacken " zu<lb/> bilden und an der Seite polnischer Banden gegen die russischen Truppen<lb/> zu ziehen, war es um die specifisch-ruthenische Partei in der öffentlichen<lb/> Meinung geschehen und gingen die enragirten Großrussen als glückliche<lb/> Sieger aus dem Kampfe der Coterie, der bisher geschwankt hatte, hervor.<lb/> Ihr im I. 1860 gegründetes Organ, das „ Slowo" steckte offen die russische<lb/> Reichsfahne auf und warb derselben täglich neue Anhänger, während die Leser<lb/> der ukrainophilen „Prawda" zu einem bedeutungslosen Häuflein einflu߬<lb/> reicher Doctrinäre zusammenschrumpften.</p><lb/> <p xml:id="ID_450" next="#ID_451"> Die Geschichte dieses Entwicklungsganges war während der kalten Mor-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0165]
lands Reformaera begann und gleichzeitig in Wien Miene gemacht wurde,
mit den Ruthenen zu brechen und wiederum die Polen zu bevorzugen. Jetzt
trat im ruthenischen Lager ein Riß ein, der lang vorbereitet war und auf
die Lage des gesammten Landes entscheidenden Einfluß gewinnen sollte. In
der Natur der Sache war begründet, daß die entschiedeneren Elemente inner¬
halb der ruthenischen Agitationspartei, literarisch wie politisch bei dem gro߬
russischen Pcmslawismus ankommen mußten. Die Unauskömmlichkeit ihres
Dialekts, der nur durch den Uebergang zum Großrussischen eine gebildete
Sprache werden konnte, war die Brücke gewesen, welche vom Ruthenenthum
zum Panslawismus führte: aus dieser Brücke fanden bald auch politische
Tendenzen einen Uebergang in das Lager jenseit der russischen Grenze.
Verschiedene Umstände trugen dazu bei, diese Reise zu befördern; Rußlands
agrarische Reformen erfüllten die Herzen der galizischen Bauern mit Sympathie
für den weißen Zaaren, Rußlands Vernichtungskampf gegen Polen und Ka¬
tholiken verwirklichte die geheimen Wünsche der geistlichen und literarischen
Volksführer, während Oestreichs ziemlich unvermittelte Schwenkung zur polni¬
schen Aristokratie alle Herzen mit Mißtrauen und Erbitterung erfüllte. —
Zu diesen äußeren Verhältnissen, welche in der allgemeinen Lage begründet
waren, kamen noch empfindliche Mißgriffe, die innerhalb des Landes be¬
gangen wurden, — Graf Goluchowski, der der agitatorischen Thätigkeit der
Swätojurzen (so hießen die großrussisch Gesinnten) schon lange besorgt zuge¬
sehen hatte, kam auf den unglücklichen Gedanken, sich von Staatswegen in
die Händel zu mischen, welche über die Schreibweise und Ausbildung der Sprache
zwischen den verschiedenen ruthenischen Coterien seit lange geführt wurden.
Er versuchte die völlige Abschaffung der kyrillischen Schriftzeichen und die Ein¬
führung lateinischer Buchstaben decretiren zu lassen und beschwor dadurch einen
allgemeinen Sturm nationaler Entrüstung hinauf.. Die specifisch galizische
oder ruthenische Partei (die sg. Ukrainophilen), welche es immer noch mit
den Polen gehalten und die Großrussen bekämpft hatte, verlor allen Boden
im Volk und als einzelne Anhänger derselben sich im I. 1863 gar ein¬
fallen ließen, eine arti-moskowitische Legion „ kleinrussischer Kosacken " zu
bilden und an der Seite polnischer Banden gegen die russischen Truppen
zu ziehen, war es um die specifisch-ruthenische Partei in der öffentlichen
Meinung geschehen und gingen die enragirten Großrussen als glückliche
Sieger aus dem Kampfe der Coterie, der bisher geschwankt hatte, hervor.
Ihr im I. 1860 gegründetes Organ, das „ Slowo" steckte offen die russische
Reichsfahne auf und warb derselben täglich neue Anhänger, während die Leser
der ukrainophilen „Prawda" zu einem bedeutungslosen Häuflein einflu߬
reicher Doctrinäre zusammenschrumpften.
Die Geschichte dieses Entwicklungsganges war während der kalten Mor-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |