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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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leistet, wurden sie während der gesammten Bach-Schwcirzenberg'schen Epoche
gehätschelt und den Polen gegenüber in ihren Ansprüchen und Forderungen
unterstützt. Nach dem italienischen Kriege trat aber eine Wendung ein, die
eine entschieden polenfreundliche Reaction herbeiführte und den ehemaligen
Minister Grafen Goluchowski zum Statthalter machte. Dann suchte das
Ministerium Schmerling die halb verscherzten ruthenischen Sympathien für
die östreichische Sache neu zu beleben, bis die Grafen Belcredi und Beust
wieder in das polnische Fahrwasser steuerten und sich als directe Gegner der
russisch-galizischen Sache gerirten. Minder bekannt als die Geschichte dieser
für alle Theile gleich gefährlichen Schwankungen und des Einflusses der
russisch-polnischen Ereignisse von 1863 ist der innere Entwickelungsgang, den
die ruthenische Agitation während der letzten fünfzehn Jahre genommen hat
und auf diese müssen wir darum in Kürze zurückkommen/

Die von den ruthenischen und kleinrussischen Bewohnern Ostgaliziens ge¬
sprochene Sprache ist von der großrussischen nur dialektisch und wesentlich
zufolge stärkerer polnischer und westeuropäischer Einflüsse auf die sprech- und
Schreibweise, verschieden. Die ersten Versuche zur Wiedererweckung, Reini¬
gung und Ausbildung dieses Idioms trugen einen durchaus provinziellen,
specifisch kleinrussischen Charakter. Die früheren Schriften Golowazki's und
seiner Freunde und die Artikel des damals begründeten Journals "Meta"
lehnten sich ^genau an die in Przemysl, Lemberg und Stanislawow übliche
Sprechweise an, hatten nur höchst tndirect eine politische Tendenz und waren
weit davon entfernt, für das damals wenig bekannte, unter dem Druck des
strengsten Absolutismus und erbarmungsloser Leibeigenschaft stehende Ru߬
land Propaganda zu machen. Aber schon Gründe der Orthographie und
Grammatik bedingten, daß man bei der blos dialektischen Ausbildung des
galizisch-russischen Idioms nicht stehen bleiben konnte. Die phonetische Schreib¬
art, in welche man der verkommenen Sprache Ausdruck zu verschaffen suchte,
war zu schwankend, um nicht bald für ein Hinderniß ihrer literarischen Ent¬
wickelung zu gelten, die kirchenslavonischen Lettern, mit denen man
druckte, stachen durch ihre alterthümliche und schwerfällige Gestalt zu
scharf von andern Drucken ab, um den Ansprüchen der Gebildeten zu
genügen. Nachdem man längere Zeit in grammatischen und orthogra¬
phischen Systemen experimentirt und mit denselben Zeit verloren hatte,
begann eine Anzahl nationaler Schriftsteller durch Adoption in der gro߬
russischen Literatursprache üblicher Formen aus dem dialektisch-provinciellen
Rahmen herauszutreten. Gleich anfangs wurde diese Neuerung als Schwen¬
kung aus dem specifisch-ruthenischen in das russische Lager denuncirt und selbst
von vielen Ruthenen ungern gesehen. Indessen blieb das zunächst ohne
Folgen. Das Urtheil änderte sich indessen bald, da um dieselbe Zeit Ruß-


leistet, wurden sie während der gesammten Bach-Schwcirzenberg'schen Epoche
gehätschelt und den Polen gegenüber in ihren Ansprüchen und Forderungen
unterstützt. Nach dem italienischen Kriege trat aber eine Wendung ein, die
eine entschieden polenfreundliche Reaction herbeiführte und den ehemaligen
Minister Grafen Goluchowski zum Statthalter machte. Dann suchte das
Ministerium Schmerling die halb verscherzten ruthenischen Sympathien für
die östreichische Sache neu zu beleben, bis die Grafen Belcredi und Beust
wieder in das polnische Fahrwasser steuerten und sich als directe Gegner der
russisch-galizischen Sache gerirten. Minder bekannt als die Geschichte dieser
für alle Theile gleich gefährlichen Schwankungen und des Einflusses der
russisch-polnischen Ereignisse von 1863 ist der innere Entwickelungsgang, den
die ruthenische Agitation während der letzten fünfzehn Jahre genommen hat
und auf diese müssen wir darum in Kürze zurückkommen/

Die von den ruthenischen und kleinrussischen Bewohnern Ostgaliziens ge¬
sprochene Sprache ist von der großrussischen nur dialektisch und wesentlich
zufolge stärkerer polnischer und westeuropäischer Einflüsse auf die sprech- und
Schreibweise, verschieden. Die ersten Versuche zur Wiedererweckung, Reini¬
gung und Ausbildung dieses Idioms trugen einen durchaus provinziellen,
specifisch kleinrussischen Charakter. Die früheren Schriften Golowazki's und
seiner Freunde und die Artikel des damals begründeten Journals „Meta"
lehnten sich ^genau an die in Przemysl, Lemberg und Stanislawow übliche
Sprechweise an, hatten nur höchst tndirect eine politische Tendenz und waren
weit davon entfernt, für das damals wenig bekannte, unter dem Druck des
strengsten Absolutismus und erbarmungsloser Leibeigenschaft stehende Ru߬
land Propaganda zu machen. Aber schon Gründe der Orthographie und
Grammatik bedingten, daß man bei der blos dialektischen Ausbildung des
galizisch-russischen Idioms nicht stehen bleiben konnte. Die phonetische Schreib¬
art, in welche man der verkommenen Sprache Ausdruck zu verschaffen suchte,
war zu schwankend, um nicht bald für ein Hinderniß ihrer literarischen Ent¬
wickelung zu gelten, die kirchenslavonischen Lettern, mit denen man
druckte, stachen durch ihre alterthümliche und schwerfällige Gestalt zu
scharf von andern Drucken ab, um den Ansprüchen der Gebildeten zu
genügen. Nachdem man längere Zeit in grammatischen und orthogra¬
phischen Systemen experimentirt und mit denselben Zeit verloren hatte,
begann eine Anzahl nationaler Schriftsteller durch Adoption in der gro߬
russischen Literatursprache üblicher Formen aus dem dialektisch-provinciellen
Rahmen herauszutreten. Gleich anfangs wurde diese Neuerung als Schwen¬
kung aus dem specifisch-ruthenischen in das russische Lager denuncirt und selbst
von vielen Ruthenen ungern gesehen. Indessen blieb das zunächst ohne
Folgen. Das Urtheil änderte sich indessen bald, da um dieselbe Zeit Ruß-


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[0164] leistet, wurden sie während der gesammten Bach-Schwcirzenberg'schen Epoche gehätschelt und den Polen gegenüber in ihren Ansprüchen und Forderungen unterstützt. Nach dem italienischen Kriege trat aber eine Wendung ein, die eine entschieden polenfreundliche Reaction herbeiführte und den ehemaligen Minister Grafen Goluchowski zum Statthalter machte. Dann suchte das Ministerium Schmerling die halb verscherzten ruthenischen Sympathien für die östreichische Sache neu zu beleben, bis die Grafen Belcredi und Beust wieder in das polnische Fahrwasser steuerten und sich als directe Gegner der russisch-galizischen Sache gerirten. Minder bekannt als die Geschichte dieser für alle Theile gleich gefährlichen Schwankungen und des Einflusses der russisch-polnischen Ereignisse von 1863 ist der innere Entwickelungsgang, den die ruthenische Agitation während der letzten fünfzehn Jahre genommen hat und auf diese müssen wir darum in Kürze zurückkommen/ Die von den ruthenischen und kleinrussischen Bewohnern Ostgaliziens ge¬ sprochene Sprache ist von der großrussischen nur dialektisch und wesentlich zufolge stärkerer polnischer und westeuropäischer Einflüsse auf die sprech- und Schreibweise, verschieden. Die ersten Versuche zur Wiedererweckung, Reini¬ gung und Ausbildung dieses Idioms trugen einen durchaus provinziellen, specifisch kleinrussischen Charakter. Die früheren Schriften Golowazki's und seiner Freunde und die Artikel des damals begründeten Journals „Meta" lehnten sich ^genau an die in Przemysl, Lemberg und Stanislawow übliche Sprechweise an, hatten nur höchst tndirect eine politische Tendenz und waren weit davon entfernt, für das damals wenig bekannte, unter dem Druck des strengsten Absolutismus und erbarmungsloser Leibeigenschaft stehende Ru߬ land Propaganda zu machen. Aber schon Gründe der Orthographie und Grammatik bedingten, daß man bei der blos dialektischen Ausbildung des galizisch-russischen Idioms nicht stehen bleiben konnte. Die phonetische Schreib¬ art, in welche man der verkommenen Sprache Ausdruck zu verschaffen suchte, war zu schwankend, um nicht bald für ein Hinderniß ihrer literarischen Ent¬ wickelung zu gelten, die kirchenslavonischen Lettern, mit denen man druckte, stachen durch ihre alterthümliche und schwerfällige Gestalt zu scharf von andern Drucken ab, um den Ansprüchen der Gebildeten zu genügen. Nachdem man längere Zeit in grammatischen und orthogra¬ phischen Systemen experimentirt und mit denselben Zeit verloren hatte, begann eine Anzahl nationaler Schriftsteller durch Adoption in der gro߬ russischen Literatursprache üblicher Formen aus dem dialektisch-provinciellen Rahmen herauszutreten. Gleich anfangs wurde diese Neuerung als Schwen¬ kung aus dem specifisch-ruthenischen in das russische Lager denuncirt und selbst von vielen Ruthenen ungern gesehen. Indessen blieb das zunächst ohne Folgen. Das Urtheil änderte sich indessen bald, da um dieselbe Zeit Ruß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/164>, abgerufen am 26.06.2024.