Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Obgleich Jachimowitsch. der Nachfolger des vielbeweinten ErzHirten
von Przemysl durchaus andere Wege ging und mehr der polnisch-katholischen
Partei zuneigte, ließ der von Snegurski angefachte nationale Funken sich
nicht mehr ersticken. Begünstigt von der damals ruthenenfreundlichen Re¬
gierungspolitik fuhr die unirte Geistlichkeit des Landes in den Bestrebungen
zur Emancipation ihres Volkes unermüdlich fort. Zahlreiche Schüler der
geistlichen Lehranstalten*) traten nach Beendigung ihres Cursus in die Be¬
amten- und Lehrerlaufbahn, andere wurden Journalisten, um der Sache ihrer
Nationalität auch außerhalb des kirchlichen Gebiets dienen zu können. Die
ruthenische Agitation machte dann, wenn auch in kleinerem Maßstabe, genau die¬
selben Phasen durch, wie die nationale Bewegung bei den Czechen, Slovenen,
Serben u. a. Man begann mit der Sammlung und Herausgabe vergessener
Volkslieder, ging dann zu einem tendenziösen Studium der Geschichte und
Archäologie über und endete mit lautem Trommelschlag in der politischen
Presse. Den Anfang dieser Bewegung bezeichnete Jakob Golowazki's**) "Ga-
lizisch und ungarisch-russische Liedersammlung", welcher andere ähnliche Unter¬
nehmungen (namentlich die Russalka Dnjestrowskaja), endlich "die Vorlesungen
in der Gesellschaft für Geschichte und Alterthum" folgten, um in dem heran¬
wachsenden Geschlecht eine nachhaltige Begeisterung für Geschichte und Bür¬
gerrecht des ostgalizischen Volksthums zu entzünden.

So war der Boden für die Ereignisse des Jahres 1848 leidlich vorbe¬
reitet und unter dem Drang der damaligen Umstände bedürfte es nur eines
gelinden Druckes, um den k. k. Statthalter Grafen Stadion zur förmlichen
Anerkennung der ruthenischen Nationalität zu bewegen. Das im Jahre
1848 den russischen Führern in Lemberg geschenkte "Volkshaus" (Narodny
dom) besiegelte den Bund zwischen der Regierung und dem Volke Ostgali-
ziens; in ihm wurden verschiedene Schulen, ein Museum und ein Clubb
untergebracht, der seitdem der Mittelpunkt der nationalen Agitation des ge-
sammten Landes geworden ist.

Die folgenden Ereignisse sind bekannt. Nach den wichtigen Diensten,
welche die Ruthenen zu Wien und Kremsier dem schwarzgelben Banner ge-




") Schon weil die wichtigste dieser Anstalten, die geistliche Academie von Lemberg mit der
dortigen Universität verbunden ist, namentlich aber wegen des größeren Spielraums, den die
occidentale Bildung in Galizien hat, stehen die unirtcn Geistlichen auf einem höheren Vil-
dungsstandpunkt als die orthodoxen Priester Rußlands. Selbst russische Schriftsteller haben
diese zu Gunsten der Union redende Thatsache anerkannt.
"
) Golowazki hat, nachdem er zwanzig Jahre lang an der Spitze der ruthenischen Agi¬
tation gestanden und vielfache Anfechtungen von Seiten der Polen erfahren, vor einigen Jah¬
ren sein Lehramt an der Lemberger Universität niedergelegt, um als Staatsrath und Director
des Wilnaer archäologischen Museums mit ansehnlichem Gehalt nach Rußland überzusiedeln.
Als erbitterter Polenfeind spielt Golowazki in der russischen Bureaukratie Litthauens seitdem
eine ansehnliche Rolle.

Obgleich Jachimowitsch. der Nachfolger des vielbeweinten ErzHirten
von Przemysl durchaus andere Wege ging und mehr der polnisch-katholischen
Partei zuneigte, ließ der von Snegurski angefachte nationale Funken sich
nicht mehr ersticken. Begünstigt von der damals ruthenenfreundlichen Re¬
gierungspolitik fuhr die unirte Geistlichkeit des Landes in den Bestrebungen
zur Emancipation ihres Volkes unermüdlich fort. Zahlreiche Schüler der
geistlichen Lehranstalten*) traten nach Beendigung ihres Cursus in die Be¬
amten- und Lehrerlaufbahn, andere wurden Journalisten, um der Sache ihrer
Nationalität auch außerhalb des kirchlichen Gebiets dienen zu können. Die
ruthenische Agitation machte dann, wenn auch in kleinerem Maßstabe, genau die¬
selben Phasen durch, wie die nationale Bewegung bei den Czechen, Slovenen,
Serben u. a. Man begann mit der Sammlung und Herausgabe vergessener
Volkslieder, ging dann zu einem tendenziösen Studium der Geschichte und
Archäologie über und endete mit lautem Trommelschlag in der politischen
Presse. Den Anfang dieser Bewegung bezeichnete Jakob Golowazki's**) „Ga-
lizisch und ungarisch-russische Liedersammlung", welcher andere ähnliche Unter¬
nehmungen (namentlich die Russalka Dnjestrowskaja), endlich „die Vorlesungen
in der Gesellschaft für Geschichte und Alterthum" folgten, um in dem heran¬
wachsenden Geschlecht eine nachhaltige Begeisterung für Geschichte und Bür¬
gerrecht des ostgalizischen Volksthums zu entzünden.

So war der Boden für die Ereignisse des Jahres 1848 leidlich vorbe¬
reitet und unter dem Drang der damaligen Umstände bedürfte es nur eines
gelinden Druckes, um den k. k. Statthalter Grafen Stadion zur förmlichen
Anerkennung der ruthenischen Nationalität zu bewegen. Das im Jahre
1848 den russischen Führern in Lemberg geschenkte „Volkshaus" (Narodny
dom) besiegelte den Bund zwischen der Regierung und dem Volke Ostgali-
ziens; in ihm wurden verschiedene Schulen, ein Museum und ein Clubb
untergebracht, der seitdem der Mittelpunkt der nationalen Agitation des ge-
sammten Landes geworden ist.

Die folgenden Ereignisse sind bekannt. Nach den wichtigen Diensten,
welche die Ruthenen zu Wien und Kremsier dem schwarzgelben Banner ge-




") Schon weil die wichtigste dieser Anstalten, die geistliche Academie von Lemberg mit der
dortigen Universität verbunden ist, namentlich aber wegen des größeren Spielraums, den die
occidentale Bildung in Galizien hat, stehen die unirtcn Geistlichen auf einem höheren Vil-
dungsstandpunkt als die orthodoxen Priester Rußlands. Selbst russische Schriftsteller haben
diese zu Gunsten der Union redende Thatsache anerkannt.
"
) Golowazki hat, nachdem er zwanzig Jahre lang an der Spitze der ruthenischen Agi¬
tation gestanden und vielfache Anfechtungen von Seiten der Polen erfahren, vor einigen Jah¬
ren sein Lehramt an der Lemberger Universität niedergelegt, um als Staatsrath und Director
des Wilnaer archäologischen Museums mit ansehnlichem Gehalt nach Rußland überzusiedeln.
Als erbitterter Polenfeind spielt Golowazki in der russischen Bureaukratie Litthauens seitdem
eine ansehnliche Rolle.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0163" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123251"/>
            <p xml:id="ID_443"> Obgleich Jachimowitsch. der Nachfolger des vielbeweinten ErzHirten<lb/>
von Przemysl durchaus andere Wege ging und mehr der polnisch-katholischen<lb/>
Partei zuneigte, ließ der von Snegurski angefachte nationale Funken sich<lb/>
nicht mehr ersticken. Begünstigt von der damals ruthenenfreundlichen Re¬<lb/>
gierungspolitik fuhr die unirte Geistlichkeit des Landes in den Bestrebungen<lb/>
zur Emancipation ihres Volkes unermüdlich fort. Zahlreiche Schüler der<lb/>
geistlichen Lehranstalten*) traten nach Beendigung ihres Cursus in die Be¬<lb/>
amten- und Lehrerlaufbahn, andere wurden Journalisten, um der Sache ihrer<lb/>
Nationalität auch außerhalb des kirchlichen Gebiets dienen zu können. Die<lb/>
ruthenische Agitation machte dann, wenn auch in kleinerem Maßstabe, genau die¬<lb/>
selben Phasen durch, wie die nationale Bewegung bei den Czechen, Slovenen,<lb/>
Serben u. a. Man begann mit der Sammlung und Herausgabe vergessener<lb/>
Volkslieder, ging dann zu einem tendenziösen Studium der Geschichte und<lb/>
Archäologie über und endete mit lautem Trommelschlag in der politischen<lb/>
Presse. Den Anfang dieser Bewegung bezeichnete Jakob Golowazki's**) &#x201E;Ga-<lb/>
lizisch und ungarisch-russische Liedersammlung", welcher andere ähnliche Unter¬<lb/>
nehmungen (namentlich die Russalka Dnjestrowskaja), endlich &#x201E;die Vorlesungen<lb/>
in der Gesellschaft für Geschichte und Alterthum" folgten, um in dem heran¬<lb/>
wachsenden Geschlecht eine nachhaltige Begeisterung für Geschichte und Bür¬<lb/>
gerrecht des ostgalizischen Volksthums zu entzünden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_444"> So war der Boden für die Ereignisse des Jahres 1848 leidlich vorbe¬<lb/>
reitet und unter dem Drang der damaligen Umstände bedürfte es nur eines<lb/>
gelinden Druckes, um den k. k. Statthalter Grafen Stadion zur förmlichen<lb/>
Anerkennung der ruthenischen Nationalität zu bewegen. Das im Jahre<lb/>
1848 den russischen Führern in Lemberg geschenkte &#x201E;Volkshaus" (Narodny<lb/>
dom) besiegelte den Bund zwischen der Regierung und dem Volke Ostgali-<lb/>
ziens; in ihm wurden verschiedene Schulen, ein Museum und ein Clubb<lb/>
untergebracht, der seitdem der Mittelpunkt der nationalen Agitation des ge-<lb/>
sammten Landes geworden ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_445" next="#ID_446"> Die folgenden Ereignisse sind bekannt. Nach den wichtigen Diensten,<lb/>
welche die Ruthenen zu Wien und Kremsier dem schwarzgelben Banner ge-</p><lb/>
            <note xml:id="FID_23" place="foot"> ") Schon weil die wichtigste dieser Anstalten, die geistliche Academie von Lemberg mit der<lb/>
dortigen Universität verbunden ist, namentlich aber wegen des größeren Spielraums, den die<lb/>
occidentale Bildung in Galizien hat, stehen die unirtcn Geistlichen auf einem höheren Vil-<lb/>
dungsstandpunkt als die orthodoxen Priester Rußlands. Selbst russische Schriftsteller haben<lb/>
diese zu Gunsten der Union redende Thatsache anerkannt.<lb/>
"</note><lb/>
            <note xml:id="FID_24" place="foot"> ) Golowazki hat, nachdem er zwanzig Jahre lang an der Spitze der ruthenischen Agi¬<lb/>
tation gestanden und vielfache Anfechtungen von Seiten der Polen erfahren, vor einigen Jah¬<lb/>
ren sein Lehramt an der Lemberger Universität niedergelegt, um als Staatsrath und Director<lb/>
des Wilnaer archäologischen Museums mit ansehnlichem Gehalt nach Rußland überzusiedeln.<lb/>
Als erbitterter Polenfeind spielt Golowazki in der russischen Bureaukratie Litthauens seitdem<lb/>
eine ansehnliche Rolle.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0163] Obgleich Jachimowitsch. der Nachfolger des vielbeweinten ErzHirten von Przemysl durchaus andere Wege ging und mehr der polnisch-katholischen Partei zuneigte, ließ der von Snegurski angefachte nationale Funken sich nicht mehr ersticken. Begünstigt von der damals ruthenenfreundlichen Re¬ gierungspolitik fuhr die unirte Geistlichkeit des Landes in den Bestrebungen zur Emancipation ihres Volkes unermüdlich fort. Zahlreiche Schüler der geistlichen Lehranstalten*) traten nach Beendigung ihres Cursus in die Be¬ amten- und Lehrerlaufbahn, andere wurden Journalisten, um der Sache ihrer Nationalität auch außerhalb des kirchlichen Gebiets dienen zu können. Die ruthenische Agitation machte dann, wenn auch in kleinerem Maßstabe, genau die¬ selben Phasen durch, wie die nationale Bewegung bei den Czechen, Slovenen, Serben u. a. Man begann mit der Sammlung und Herausgabe vergessener Volkslieder, ging dann zu einem tendenziösen Studium der Geschichte und Archäologie über und endete mit lautem Trommelschlag in der politischen Presse. Den Anfang dieser Bewegung bezeichnete Jakob Golowazki's**) „Ga- lizisch und ungarisch-russische Liedersammlung", welcher andere ähnliche Unter¬ nehmungen (namentlich die Russalka Dnjestrowskaja), endlich „die Vorlesungen in der Gesellschaft für Geschichte und Alterthum" folgten, um in dem heran¬ wachsenden Geschlecht eine nachhaltige Begeisterung für Geschichte und Bür¬ gerrecht des ostgalizischen Volksthums zu entzünden. So war der Boden für die Ereignisse des Jahres 1848 leidlich vorbe¬ reitet und unter dem Drang der damaligen Umstände bedürfte es nur eines gelinden Druckes, um den k. k. Statthalter Grafen Stadion zur förmlichen Anerkennung der ruthenischen Nationalität zu bewegen. Das im Jahre 1848 den russischen Führern in Lemberg geschenkte „Volkshaus" (Narodny dom) besiegelte den Bund zwischen der Regierung und dem Volke Ostgali- ziens; in ihm wurden verschiedene Schulen, ein Museum und ein Clubb untergebracht, der seitdem der Mittelpunkt der nationalen Agitation des ge- sammten Landes geworden ist. Die folgenden Ereignisse sind bekannt. Nach den wichtigen Diensten, welche die Ruthenen zu Wien und Kremsier dem schwarzgelben Banner ge- ") Schon weil die wichtigste dieser Anstalten, die geistliche Academie von Lemberg mit der dortigen Universität verbunden ist, namentlich aber wegen des größeren Spielraums, den die occidentale Bildung in Galizien hat, stehen die unirtcn Geistlichen auf einem höheren Vil- dungsstandpunkt als die orthodoxen Priester Rußlands. Selbst russische Schriftsteller haben diese zu Gunsten der Union redende Thatsache anerkannt. " ) Golowazki hat, nachdem er zwanzig Jahre lang an der Spitze der ruthenischen Agi¬ tation gestanden und vielfache Anfechtungen von Seiten der Polen erfahren, vor einigen Jah¬ ren sein Lehramt an der Lemberger Universität niedergelegt, um als Staatsrath und Director des Wilnaer archäologischen Museums mit ansehnlichem Gehalt nach Rußland überzusiedeln. Als erbitterter Polenfeind spielt Golowazki in der russischen Bureaukratie Litthauens seitdem eine ansehnliche Rolle.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/163
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/163>, abgerufen am 26.06.2024.