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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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trags wurde die Robot (Frohne) durch Beschluß des Reichstags auch für
Galizien aufgehoben und wenig früher halte Graf Franz Stadion die ruthe-
nische Nationalität "erfunden". Die wiederholten Aufstandsversuche, welche der
polnische Adel im Jahre 1846 und dann im Revolutionsjahre unternahm, ließen
es der östreichischen Regierung rathsam erscheinen den bis dazu verachteten
und wenig bemerkten ruthenischen Landmann und Priester auf die politische
Bühne zu führen und als Gegenwinde gegen die polnischen Adelsansprüche
in die Waagschale zu werfen.

Unirter Erzbischof des Landes war in dem Zeitabschnitt, der der Krisis
vorherging, Johann Snegurski gewesen, ein kluger und für die Sache seiner
Nationalität begeisterter Kirchenfürst, dessen Thätigkeit wesentlich dazu beige-
tragen hat, daß die Ruthenen im I. 1848 mit einer Art von Programm her¬
vertreten konnten. Als er seine Eparchie antrat, war die ruthenische Sprache
so vernachlässigt worden, daß selbst die Popen die kyrillischen Lettern
nur mühsam entzifferten und nicht selten die ihnen geläufigeren polnisch-lateini¬
schen Schriftzeichen brauchten. Snegurski's Anstrengungen waren vor Allem
darauf gerichtet, diese zu einem Bauernjargon herabgekommene Sprache zu
reinigen, zu heben und allmälig der polnischen ebenbürtig zu machen. Er
gab das Zeichen dazu, den unirten Gottesdienst in der Form wiederherzu¬
stellen, welche bet der Union von 1S96 vereinbart worden war. Auf seinen
Wink verschwanden die katholifirenden Bräuche, welche sich allmälig einge¬
schlichen hatten; wie er selbst mit seiner Umgebung und seinen Popen, nicht
in polnischer oder lateinischer, sondern in ruthenischer Sprache verkehrte, sorgte
er auch dafür, daß diese Sprache in den Seminarien durch brauchbare Lehrer
gelehrt und von den fremden Elementen, die sie entstellten, gereinigt wurde.
Von der Zeit seiner geistlichen Herrschaft an, that sich bei der Geistlich¬
keit das Bestreben kund, die Unterschiede zwischen Lateinern und Unirten mög¬
lichst zu verschärfen, das Ruthenenthum von polnischen Einflüssen zu befreien.
Seine Witwencassen sorgten dasür, daß der Pope nicht mehr bei der Gnade
des Herrn betteln mußte, um die Zukunft seiner Familie sicher zu stellen, die
Kirchen, die er bauen ließ, wurden in national-russischem Styl aufgeführt und
bald im ganzen Lande nachgeahmt. Um auch die einflußreichen niederen Cle-
rtker (Diakonen) einer besseren Bildung theilhaft zu machen, begründete der
unermüdliche Erzbischof eine besondere Unterrichtsanstalt für diese; die
Kirchensänger wurden gewöhnt, statt der bis dazu üblich gewesenen lateinischen
Hymnen, russische Gesänge (namentlich die Compositionen des Petersburger
Hof-Chordirectors Bortnianski) zur Erbauung der Gläubigen ihres Volks
vorzutragen, während die (gleichfalls von Snegurski begründete) Nikolaus-
Brüderschaft für Ausschmückung der Kirchen in nationalem Geschmack sorgte.


trags wurde die Robot (Frohne) durch Beschluß des Reichstags auch für
Galizien aufgehoben und wenig früher halte Graf Franz Stadion die ruthe-
nische Nationalität „erfunden". Die wiederholten Aufstandsversuche, welche der
polnische Adel im Jahre 1846 und dann im Revolutionsjahre unternahm, ließen
es der östreichischen Regierung rathsam erscheinen den bis dazu verachteten
und wenig bemerkten ruthenischen Landmann und Priester auf die politische
Bühne zu führen und als Gegenwinde gegen die polnischen Adelsansprüche
in die Waagschale zu werfen.

Unirter Erzbischof des Landes war in dem Zeitabschnitt, der der Krisis
vorherging, Johann Snegurski gewesen, ein kluger und für die Sache seiner
Nationalität begeisterter Kirchenfürst, dessen Thätigkeit wesentlich dazu beige-
tragen hat, daß die Ruthenen im I. 1848 mit einer Art von Programm her¬
vertreten konnten. Als er seine Eparchie antrat, war die ruthenische Sprache
so vernachlässigt worden, daß selbst die Popen die kyrillischen Lettern
nur mühsam entzifferten und nicht selten die ihnen geläufigeren polnisch-lateini¬
schen Schriftzeichen brauchten. Snegurski's Anstrengungen waren vor Allem
darauf gerichtet, diese zu einem Bauernjargon herabgekommene Sprache zu
reinigen, zu heben und allmälig der polnischen ebenbürtig zu machen. Er
gab das Zeichen dazu, den unirten Gottesdienst in der Form wiederherzu¬
stellen, welche bet der Union von 1S96 vereinbart worden war. Auf seinen
Wink verschwanden die katholifirenden Bräuche, welche sich allmälig einge¬
schlichen hatten; wie er selbst mit seiner Umgebung und seinen Popen, nicht
in polnischer oder lateinischer, sondern in ruthenischer Sprache verkehrte, sorgte
er auch dafür, daß diese Sprache in den Seminarien durch brauchbare Lehrer
gelehrt und von den fremden Elementen, die sie entstellten, gereinigt wurde.
Von der Zeit seiner geistlichen Herrschaft an, that sich bei der Geistlich¬
keit das Bestreben kund, die Unterschiede zwischen Lateinern und Unirten mög¬
lichst zu verschärfen, das Ruthenenthum von polnischen Einflüssen zu befreien.
Seine Witwencassen sorgten dasür, daß der Pope nicht mehr bei der Gnade
des Herrn betteln mußte, um die Zukunft seiner Familie sicher zu stellen, die
Kirchen, die er bauen ließ, wurden in national-russischem Styl aufgeführt und
bald im ganzen Lande nachgeahmt. Um auch die einflußreichen niederen Cle-
rtker (Diakonen) einer besseren Bildung theilhaft zu machen, begründete der
unermüdliche Erzbischof eine besondere Unterrichtsanstalt für diese; die
Kirchensänger wurden gewöhnt, statt der bis dazu üblich gewesenen lateinischen
Hymnen, russische Gesänge (namentlich die Compositionen des Petersburger
Hof-Chordirectors Bortnianski) zur Erbauung der Gläubigen ihres Volks
vorzutragen, während die (gleichfalls von Snegurski begründete) Nikolaus-
Brüderschaft für Ausschmückung der Kirchen in nationalem Geschmack sorgte.


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[0162] trags wurde die Robot (Frohne) durch Beschluß des Reichstags auch für Galizien aufgehoben und wenig früher halte Graf Franz Stadion die ruthe- nische Nationalität „erfunden". Die wiederholten Aufstandsversuche, welche der polnische Adel im Jahre 1846 und dann im Revolutionsjahre unternahm, ließen es der östreichischen Regierung rathsam erscheinen den bis dazu verachteten und wenig bemerkten ruthenischen Landmann und Priester auf die politische Bühne zu führen und als Gegenwinde gegen die polnischen Adelsansprüche in die Waagschale zu werfen. Unirter Erzbischof des Landes war in dem Zeitabschnitt, der der Krisis vorherging, Johann Snegurski gewesen, ein kluger und für die Sache seiner Nationalität begeisterter Kirchenfürst, dessen Thätigkeit wesentlich dazu beige- tragen hat, daß die Ruthenen im I. 1848 mit einer Art von Programm her¬ vertreten konnten. Als er seine Eparchie antrat, war die ruthenische Sprache so vernachlässigt worden, daß selbst die Popen die kyrillischen Lettern nur mühsam entzifferten und nicht selten die ihnen geläufigeren polnisch-lateini¬ schen Schriftzeichen brauchten. Snegurski's Anstrengungen waren vor Allem darauf gerichtet, diese zu einem Bauernjargon herabgekommene Sprache zu reinigen, zu heben und allmälig der polnischen ebenbürtig zu machen. Er gab das Zeichen dazu, den unirten Gottesdienst in der Form wiederherzu¬ stellen, welche bet der Union von 1S96 vereinbart worden war. Auf seinen Wink verschwanden die katholifirenden Bräuche, welche sich allmälig einge¬ schlichen hatten; wie er selbst mit seiner Umgebung und seinen Popen, nicht in polnischer oder lateinischer, sondern in ruthenischer Sprache verkehrte, sorgte er auch dafür, daß diese Sprache in den Seminarien durch brauchbare Lehrer gelehrt und von den fremden Elementen, die sie entstellten, gereinigt wurde. Von der Zeit seiner geistlichen Herrschaft an, that sich bei der Geistlich¬ keit das Bestreben kund, die Unterschiede zwischen Lateinern und Unirten mög¬ lichst zu verschärfen, das Ruthenenthum von polnischen Einflüssen zu befreien. Seine Witwencassen sorgten dasür, daß der Pope nicht mehr bei der Gnade des Herrn betteln mußte, um die Zukunft seiner Familie sicher zu stellen, die Kirchen, die er bauen ließ, wurden in national-russischem Styl aufgeführt und bald im ganzen Lande nachgeahmt. Um auch die einflußreichen niederen Cle- rtker (Diakonen) einer besseren Bildung theilhaft zu machen, begründete der unermüdliche Erzbischof eine besondere Unterrichtsanstalt für diese; die Kirchensänger wurden gewöhnt, statt der bis dazu üblich gewesenen lateinischen Hymnen, russische Gesänge (namentlich die Compositionen des Petersburger Hof-Chordirectors Bortnianski) zur Erbauung der Gläubigen ihres Volks vorzutragen, während die (gleichfalls von Snegurski begründete) Nikolaus- Brüderschaft für Ausschmückung der Kirchen in nationalem Geschmack sorgte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/162>, abgerufen am 26.06.2024.