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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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ähnlich. Er trägt, wenn er nicht in Function ist, denselben langen schwär-
zen Rock wie sein aristokratischer Nachbar -- höchstens daß dieser Rock
von gröberem Tuch und altmodischerem Zuschnitt ist. Auch den Bart muß
er nach Vorschrift der Unionsacte abschneiden, beim Meßopfer die Klingel
ziehen lassen, die dem Rechtgläubigen ein Aergerniß und ein Greuel ist, die
katholische Orgel in seinem Gottesdienste dulden und während der Abend¬
mahlsfeier die Thüre des Allerheiligsten (die sogenannte Zarskije Droeri)
schließen. Aus diese Aeußerlichkeiten beschränkt sich aber auch Alles was der
russische Pope mit dem katholischen Ksends, seinem Nachbarn und Rivalen
gemein hat. Sein Lebenszuschnitt und seine Bildung stehen auf allen Punkten
zu dem katholischen Polonismus in Gegensatz. Während der katholische
Priester sich als Aristokraten fühlt, seine Bildung lateinischer, französischer
und polnischer Literatur dankt und seinen Stolz darein setzt, es dem Pan an
politischem Eifer und weltlicher Bildung und Fertigkeit gleich zu thun, sieht
der Pope in jedem mit lateinischen Lettern gedruckten Buche einen Fallstrick
des Papstes, in jedem Edelmann seinen natürlichen Feind. Heimisch ist er
nur unter den Bauern seines Dorfs und im Kreise seiner Amtsgenossen. Schon
weil er verheirathet, gewöhnlich Vater einer zahlreichen Familie und auf eine
Existenz beschränkt ist, die von der bäuerlichen wenig verschieden erscheint,
steht er dem Volk ungleich näher als sein Nachbar der Ksends. Unter allen
Umständen hält es dieser mit dem Herrn und den herrschaftlichen Interessen.
Seine Sprache und sein Bekenntniß sind wesentlich aristokratischer Natur und
die Wiederaufrichtung der Republik, in welcher der erste Würdenträger ein
Erzbtschof war, verliert auch er niemals außer Augen. Der Pope dagegen
fühlt sich unauflöslich mit dem Bauernvolk verbunden, dessen Leiden und
Freuden seine Vorfahren redlich getheilt haben, dessen Feinde und Bedränger
zugleich die Zwingherren seiner Kirche gewesen sind. Sprache, Lebenszuschnitt
und Cultus hat er mit dem Bauern gemein, vielleicht daß sein Großvater
selber ein Chlop (Bauernknecht) gewesen ist, sicher, daß die Glieder seiner Ge¬
meinde ihn unterstützt haben, wenn er von Krankheit oder Unglücksfällen
heimgesucht war. Dafür ist er auch in allen weltlichen Dingen der Beschützer
und Rather seiner Beichtkinder; aus seiner Feder sind die Bittschriften ge¬
flossen, die den deutschen Beamten in Jaroslaw oder Lemberg zum Einschrei¬
ten gegen die Robotforderungen des Pan aufforderten, er hat an der Spitze
der "treuen Ruthenen" gestanden, welche den kaiserlich königlichen Statthalter
(Graf Stadion oder Feldmarschalllieutenant von Baumgardt) der Treue des
Landvolks versicherten, das auch in den Stürmen der Jahre 1846, 1848 und
1849 unerschütterlich zu seinem Kaiser gestanden.

Vom Jahre 1848 datirt für den Popen wie für den ruthenischen Bauern
Galiziens ein neuer Zeitabschnitt. Zufolge des bekannten Kudlich'schen An-


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ähnlich. Er trägt, wenn er nicht in Function ist, denselben langen schwär-
zen Rock wie sein aristokratischer Nachbar — höchstens daß dieser Rock
von gröberem Tuch und altmodischerem Zuschnitt ist. Auch den Bart muß
er nach Vorschrift der Unionsacte abschneiden, beim Meßopfer die Klingel
ziehen lassen, die dem Rechtgläubigen ein Aergerniß und ein Greuel ist, die
katholische Orgel in seinem Gottesdienste dulden und während der Abend¬
mahlsfeier die Thüre des Allerheiligsten (die sogenannte Zarskije Droeri)
schließen. Aus diese Aeußerlichkeiten beschränkt sich aber auch Alles was der
russische Pope mit dem katholischen Ksends, seinem Nachbarn und Rivalen
gemein hat. Sein Lebenszuschnitt und seine Bildung stehen auf allen Punkten
zu dem katholischen Polonismus in Gegensatz. Während der katholische
Priester sich als Aristokraten fühlt, seine Bildung lateinischer, französischer
und polnischer Literatur dankt und seinen Stolz darein setzt, es dem Pan an
politischem Eifer und weltlicher Bildung und Fertigkeit gleich zu thun, sieht
der Pope in jedem mit lateinischen Lettern gedruckten Buche einen Fallstrick
des Papstes, in jedem Edelmann seinen natürlichen Feind. Heimisch ist er
nur unter den Bauern seines Dorfs und im Kreise seiner Amtsgenossen. Schon
weil er verheirathet, gewöhnlich Vater einer zahlreichen Familie und auf eine
Existenz beschränkt ist, die von der bäuerlichen wenig verschieden erscheint,
steht er dem Volk ungleich näher als sein Nachbar der Ksends. Unter allen
Umständen hält es dieser mit dem Herrn und den herrschaftlichen Interessen.
Seine Sprache und sein Bekenntniß sind wesentlich aristokratischer Natur und
die Wiederaufrichtung der Republik, in welcher der erste Würdenträger ein
Erzbtschof war, verliert auch er niemals außer Augen. Der Pope dagegen
fühlt sich unauflöslich mit dem Bauernvolk verbunden, dessen Leiden und
Freuden seine Vorfahren redlich getheilt haben, dessen Feinde und Bedränger
zugleich die Zwingherren seiner Kirche gewesen sind. Sprache, Lebenszuschnitt
und Cultus hat er mit dem Bauern gemein, vielleicht daß sein Großvater
selber ein Chlop (Bauernknecht) gewesen ist, sicher, daß die Glieder seiner Ge¬
meinde ihn unterstützt haben, wenn er von Krankheit oder Unglücksfällen
heimgesucht war. Dafür ist er auch in allen weltlichen Dingen der Beschützer
und Rather seiner Beichtkinder; aus seiner Feder sind die Bittschriften ge¬
flossen, die den deutschen Beamten in Jaroslaw oder Lemberg zum Einschrei¬
ten gegen die Robotforderungen des Pan aufforderten, er hat an der Spitze
der „treuen Ruthenen" gestanden, welche den kaiserlich königlichen Statthalter
(Graf Stadion oder Feldmarschalllieutenant von Baumgardt) der Treue des
Landvolks versicherten, das auch in den Stürmen der Jahre 1846, 1848 und
1849 unerschütterlich zu seinem Kaiser gestanden.

Vom Jahre 1848 datirt für den Popen wie für den ruthenischen Bauern
Galiziens ein neuer Zeitabschnitt. Zufolge des bekannten Kudlich'schen An-


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[0161] ähnlich. Er trägt, wenn er nicht in Function ist, denselben langen schwär- zen Rock wie sein aristokratischer Nachbar — höchstens daß dieser Rock von gröberem Tuch und altmodischerem Zuschnitt ist. Auch den Bart muß er nach Vorschrift der Unionsacte abschneiden, beim Meßopfer die Klingel ziehen lassen, die dem Rechtgläubigen ein Aergerniß und ein Greuel ist, die katholische Orgel in seinem Gottesdienste dulden und während der Abend¬ mahlsfeier die Thüre des Allerheiligsten (die sogenannte Zarskije Droeri) schließen. Aus diese Aeußerlichkeiten beschränkt sich aber auch Alles was der russische Pope mit dem katholischen Ksends, seinem Nachbarn und Rivalen gemein hat. Sein Lebenszuschnitt und seine Bildung stehen auf allen Punkten zu dem katholischen Polonismus in Gegensatz. Während der katholische Priester sich als Aristokraten fühlt, seine Bildung lateinischer, französischer und polnischer Literatur dankt und seinen Stolz darein setzt, es dem Pan an politischem Eifer und weltlicher Bildung und Fertigkeit gleich zu thun, sieht der Pope in jedem mit lateinischen Lettern gedruckten Buche einen Fallstrick des Papstes, in jedem Edelmann seinen natürlichen Feind. Heimisch ist er nur unter den Bauern seines Dorfs und im Kreise seiner Amtsgenossen. Schon weil er verheirathet, gewöhnlich Vater einer zahlreichen Familie und auf eine Existenz beschränkt ist, die von der bäuerlichen wenig verschieden erscheint, steht er dem Volk ungleich näher als sein Nachbar der Ksends. Unter allen Umständen hält es dieser mit dem Herrn und den herrschaftlichen Interessen. Seine Sprache und sein Bekenntniß sind wesentlich aristokratischer Natur und die Wiederaufrichtung der Republik, in welcher der erste Würdenträger ein Erzbtschof war, verliert auch er niemals außer Augen. Der Pope dagegen fühlt sich unauflöslich mit dem Bauernvolk verbunden, dessen Leiden und Freuden seine Vorfahren redlich getheilt haben, dessen Feinde und Bedränger zugleich die Zwingherren seiner Kirche gewesen sind. Sprache, Lebenszuschnitt und Cultus hat er mit dem Bauern gemein, vielleicht daß sein Großvater selber ein Chlop (Bauernknecht) gewesen ist, sicher, daß die Glieder seiner Ge¬ meinde ihn unterstützt haben, wenn er von Krankheit oder Unglücksfällen heimgesucht war. Dafür ist er auch in allen weltlichen Dingen der Beschützer und Rather seiner Beichtkinder; aus seiner Feder sind die Bittschriften ge¬ flossen, die den deutschen Beamten in Jaroslaw oder Lemberg zum Einschrei¬ ten gegen die Robotforderungen des Pan aufforderten, er hat an der Spitze der „treuen Ruthenen" gestanden, welche den kaiserlich königlichen Statthalter (Graf Stadion oder Feldmarschalllieutenant von Baumgardt) der Treue des Landvolks versicherten, das auch in den Stürmen der Jahre 1846, 1848 und 1849 unerschütterlich zu seinem Kaiser gestanden. Vom Jahre 1848 datirt für den Popen wie für den ruthenischen Bauern Galiziens ein neuer Zeitabschnitt. Zufolge des bekannten Kudlich'schen An- 20*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/161>, abgerufen am 26.06.2024.