Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dieses geistreichen Fürsten gerieth das von ihm begonnene Werk bald wieder
ins Stocken. Wohl geschah es, daß die Wiener Regierung sich gelegentlich
polnischen Ansprüchen gegenüber auf die nichtpolnische Nationalität der
Bauern in den östlichen Kreisen berief und diese gegen die Willkür der
Herren in Schutz nahm -- im Wesentlichen blieb Alles beim Alten. Die
aufrecht erhaltene politische Einheit der zwiespältigen Provinz und die der¬
selben im Jahre 1817 verliehene Provincialverfassung sorgten dafür, daß der
polnische Einfluß sich befestigte und allmälig alle ruthenischen Velleitäten
beseitigte.

Noch heute bedarf es einiger Aufmerksamkeit, um aus der polnischen
Physiognomie des östlichen Galizien die Unterschiede herauszulesen, welche
zwischen diesem Landestheil und dem kleinpolnischen Westen bestehen. Stroh¬
bedeckt sind diesseit und jenseit des San die Bauerhäuser, an denen die Ei¬
senbahn den Reisenden vorbeiführt. Der Bewohner des Edelhofs, der zu
ihm ins Coupe steigt, verräth auf den ersten Blick den Polen, mag er bei
Krakau oder bei Przemysl sein Gefährte gegen den Waggon vertauscht ha¬
ben; mögen seine Ahnherren unter Roman von Haliez für die Sache der Recht¬
gläubigkeit gefochten, oder schon im 11. Jahrhundert zur Heeresfolge des
Piaster Boleslaw gehört haben, -- er ist Pole und Katholik. Der schlanke
Thurm, der zum Edelhof hinüber sieht, erhebt sich allenthalben über einer katho¬
lischen Kirche, und der Ksends, der den befreundeten Nachbar an die Sta¬
tion geleitet hat, ruft ihm einen lateinischen oder polnischen Abschiedsgruß zu.
Auch der Kutscher, der das Gefährte des Pan heim geleitet, redet polnisch
und es ist nicht unmöglich, daß er zu der Kirche seines Herrn gehört. Ebenso
machen die östlichen Städte des Landes auf den ersten Blick genau denselben
Eindruck, wie ihre westlichen Nachbarinnen. Sieht man schärfer zu, so wird
freilich ein Unterschied bemerkbar, der immer deutlicher hervortritt, je mehr
man sich von dem 40° söll. Länge entfernt: aus der Mitte der Dörfer, die
rechts und links am Wege in Mitten der weiten, von Hügeln durchzogenen
Ebene liegen, welche im Westen durch die blauen Karpathenzüge begrenzt
wird, sieht immer häusiger ein Gebäude hervor, das trotz seines Strohdaches
aus eine exceptionelle Stellung schließen läßt. Der Thurm, der aus dem
grauen Stroh hervorragt, ist zuweilen nur einige Fuß hoch und aus rohem
Holz gezimmert, aber ganz fehlt er nirgend und immer zeigt er die Zwiebel¬
gestalt. Mitten im Dorf, fast immer eine Stunde von dem steingemauerten
Herrenhause und dem ebenso stattlichen Sitz des Ksends entfernt, liegt die
unirte Dorfkirche, ihr gegenüber das bescheidene Haus des bauernfreundlichen
Popen, höchstens durch größere Thüren und Fenster und saubereren Anstrich von
den Hütten der Dorfbewohner verschieden, immer für diese bereitwillig geöffnet.
Der Pope sieht dem römischen Priester (Ksends) äußerlich zum Verwechseln


dieses geistreichen Fürsten gerieth das von ihm begonnene Werk bald wieder
ins Stocken. Wohl geschah es, daß die Wiener Regierung sich gelegentlich
polnischen Ansprüchen gegenüber auf die nichtpolnische Nationalität der
Bauern in den östlichen Kreisen berief und diese gegen die Willkür der
Herren in Schutz nahm — im Wesentlichen blieb Alles beim Alten. Die
aufrecht erhaltene politische Einheit der zwiespältigen Provinz und die der¬
selben im Jahre 1817 verliehene Provincialverfassung sorgten dafür, daß der
polnische Einfluß sich befestigte und allmälig alle ruthenischen Velleitäten
beseitigte.

Noch heute bedarf es einiger Aufmerksamkeit, um aus der polnischen
Physiognomie des östlichen Galizien die Unterschiede herauszulesen, welche
zwischen diesem Landestheil und dem kleinpolnischen Westen bestehen. Stroh¬
bedeckt sind diesseit und jenseit des San die Bauerhäuser, an denen die Ei¬
senbahn den Reisenden vorbeiführt. Der Bewohner des Edelhofs, der zu
ihm ins Coupe steigt, verräth auf den ersten Blick den Polen, mag er bei
Krakau oder bei Przemysl sein Gefährte gegen den Waggon vertauscht ha¬
ben; mögen seine Ahnherren unter Roman von Haliez für die Sache der Recht¬
gläubigkeit gefochten, oder schon im 11. Jahrhundert zur Heeresfolge des
Piaster Boleslaw gehört haben, — er ist Pole und Katholik. Der schlanke
Thurm, der zum Edelhof hinüber sieht, erhebt sich allenthalben über einer katho¬
lischen Kirche, und der Ksends, der den befreundeten Nachbar an die Sta¬
tion geleitet hat, ruft ihm einen lateinischen oder polnischen Abschiedsgruß zu.
Auch der Kutscher, der das Gefährte des Pan heim geleitet, redet polnisch
und es ist nicht unmöglich, daß er zu der Kirche seines Herrn gehört. Ebenso
machen die östlichen Städte des Landes auf den ersten Blick genau denselben
Eindruck, wie ihre westlichen Nachbarinnen. Sieht man schärfer zu, so wird
freilich ein Unterschied bemerkbar, der immer deutlicher hervortritt, je mehr
man sich von dem 40° söll. Länge entfernt: aus der Mitte der Dörfer, die
rechts und links am Wege in Mitten der weiten, von Hügeln durchzogenen
Ebene liegen, welche im Westen durch die blauen Karpathenzüge begrenzt
wird, sieht immer häusiger ein Gebäude hervor, das trotz seines Strohdaches
aus eine exceptionelle Stellung schließen läßt. Der Thurm, der aus dem
grauen Stroh hervorragt, ist zuweilen nur einige Fuß hoch und aus rohem
Holz gezimmert, aber ganz fehlt er nirgend und immer zeigt er die Zwiebel¬
gestalt. Mitten im Dorf, fast immer eine Stunde von dem steingemauerten
Herrenhause und dem ebenso stattlichen Sitz des Ksends entfernt, liegt die
unirte Dorfkirche, ihr gegenüber das bescheidene Haus des bauernfreundlichen
Popen, höchstens durch größere Thüren und Fenster und saubereren Anstrich von
den Hütten der Dorfbewohner verschieden, immer für diese bereitwillig geöffnet.
Der Pope sieht dem römischen Priester (Ksends) äußerlich zum Verwechseln


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0160" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123248"/>
            <p xml:id="ID_437" prev="#ID_436"> dieses geistreichen Fürsten gerieth das von ihm begonnene Werk bald wieder<lb/>
ins Stocken. Wohl geschah es, daß die Wiener Regierung sich gelegentlich<lb/>
polnischen Ansprüchen gegenüber auf die nichtpolnische Nationalität der<lb/>
Bauern in den östlichen Kreisen berief und diese gegen die Willkür der<lb/>
Herren in Schutz nahm &#x2014; im Wesentlichen blieb Alles beim Alten. Die<lb/>
aufrecht erhaltene politische Einheit der zwiespältigen Provinz und die der¬<lb/>
selben im Jahre 1817 verliehene Provincialverfassung sorgten dafür, daß der<lb/>
polnische Einfluß sich befestigte und allmälig alle ruthenischen Velleitäten<lb/>
beseitigte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_438" next="#ID_439"> Noch heute bedarf es einiger Aufmerksamkeit, um aus der polnischen<lb/>
Physiognomie des östlichen Galizien die Unterschiede herauszulesen, welche<lb/>
zwischen diesem Landestheil und dem kleinpolnischen Westen bestehen. Stroh¬<lb/>
bedeckt sind diesseit und jenseit des San die Bauerhäuser, an denen die Ei¬<lb/>
senbahn den Reisenden vorbeiführt. Der Bewohner des Edelhofs, der zu<lb/>
ihm ins Coupe steigt, verräth auf den ersten Blick den Polen, mag er bei<lb/>
Krakau oder bei Przemysl sein Gefährte gegen den Waggon vertauscht ha¬<lb/>
ben; mögen seine Ahnherren unter Roman von Haliez für die Sache der Recht¬<lb/>
gläubigkeit gefochten, oder schon im 11. Jahrhundert zur Heeresfolge des<lb/>
Piaster Boleslaw gehört haben, &#x2014; er ist Pole und Katholik. Der schlanke<lb/>
Thurm, der zum Edelhof hinüber sieht, erhebt sich allenthalben über einer katho¬<lb/>
lischen Kirche, und der Ksends, der den befreundeten Nachbar an die Sta¬<lb/>
tion geleitet hat, ruft ihm einen lateinischen oder polnischen Abschiedsgruß zu.<lb/>
Auch der Kutscher, der das Gefährte des Pan heim geleitet, redet polnisch<lb/>
und es ist nicht unmöglich, daß er zu der Kirche seines Herrn gehört. Ebenso<lb/>
machen die östlichen Städte des Landes auf den ersten Blick genau denselben<lb/>
Eindruck, wie ihre westlichen Nachbarinnen. Sieht man schärfer zu, so wird<lb/>
freilich ein Unterschied bemerkbar, der immer deutlicher hervortritt, je mehr<lb/>
man sich von dem 40° söll. Länge entfernt: aus der Mitte der Dörfer, die<lb/>
rechts und links am Wege in Mitten der weiten, von Hügeln durchzogenen<lb/>
Ebene liegen, welche im Westen durch die blauen Karpathenzüge begrenzt<lb/>
wird, sieht immer häusiger ein Gebäude hervor, das trotz seines Strohdaches<lb/>
aus eine exceptionelle Stellung schließen läßt. Der Thurm, der aus dem<lb/>
grauen Stroh hervorragt, ist zuweilen nur einige Fuß hoch und aus rohem<lb/>
Holz gezimmert, aber ganz fehlt er nirgend und immer zeigt er die Zwiebel¬<lb/>
gestalt. Mitten im Dorf, fast immer eine Stunde von dem steingemauerten<lb/>
Herrenhause und dem ebenso stattlichen Sitz des Ksends entfernt, liegt die<lb/>
unirte Dorfkirche, ihr gegenüber das bescheidene Haus des bauernfreundlichen<lb/>
Popen, höchstens durch größere Thüren und Fenster und saubereren Anstrich von<lb/>
den Hütten der Dorfbewohner verschieden, immer für diese bereitwillig geöffnet.<lb/>
Der Pope sieht dem römischen Priester (Ksends) äußerlich zum Verwechseln</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0160] dieses geistreichen Fürsten gerieth das von ihm begonnene Werk bald wieder ins Stocken. Wohl geschah es, daß die Wiener Regierung sich gelegentlich polnischen Ansprüchen gegenüber auf die nichtpolnische Nationalität der Bauern in den östlichen Kreisen berief und diese gegen die Willkür der Herren in Schutz nahm — im Wesentlichen blieb Alles beim Alten. Die aufrecht erhaltene politische Einheit der zwiespältigen Provinz und die der¬ selben im Jahre 1817 verliehene Provincialverfassung sorgten dafür, daß der polnische Einfluß sich befestigte und allmälig alle ruthenischen Velleitäten beseitigte. Noch heute bedarf es einiger Aufmerksamkeit, um aus der polnischen Physiognomie des östlichen Galizien die Unterschiede herauszulesen, welche zwischen diesem Landestheil und dem kleinpolnischen Westen bestehen. Stroh¬ bedeckt sind diesseit und jenseit des San die Bauerhäuser, an denen die Ei¬ senbahn den Reisenden vorbeiführt. Der Bewohner des Edelhofs, der zu ihm ins Coupe steigt, verräth auf den ersten Blick den Polen, mag er bei Krakau oder bei Przemysl sein Gefährte gegen den Waggon vertauscht ha¬ ben; mögen seine Ahnherren unter Roman von Haliez für die Sache der Recht¬ gläubigkeit gefochten, oder schon im 11. Jahrhundert zur Heeresfolge des Piaster Boleslaw gehört haben, — er ist Pole und Katholik. Der schlanke Thurm, der zum Edelhof hinüber sieht, erhebt sich allenthalben über einer katho¬ lischen Kirche, und der Ksends, der den befreundeten Nachbar an die Sta¬ tion geleitet hat, ruft ihm einen lateinischen oder polnischen Abschiedsgruß zu. Auch der Kutscher, der das Gefährte des Pan heim geleitet, redet polnisch und es ist nicht unmöglich, daß er zu der Kirche seines Herrn gehört. Ebenso machen die östlichen Städte des Landes auf den ersten Blick genau denselben Eindruck, wie ihre westlichen Nachbarinnen. Sieht man schärfer zu, so wird freilich ein Unterschied bemerkbar, der immer deutlicher hervortritt, je mehr man sich von dem 40° söll. Länge entfernt: aus der Mitte der Dörfer, die rechts und links am Wege in Mitten der weiten, von Hügeln durchzogenen Ebene liegen, welche im Westen durch die blauen Karpathenzüge begrenzt wird, sieht immer häusiger ein Gebäude hervor, das trotz seines Strohdaches aus eine exceptionelle Stellung schließen läßt. Der Thurm, der aus dem grauen Stroh hervorragt, ist zuweilen nur einige Fuß hoch und aus rohem Holz gezimmert, aber ganz fehlt er nirgend und immer zeigt er die Zwiebel¬ gestalt. Mitten im Dorf, fast immer eine Stunde von dem steingemauerten Herrenhause und dem ebenso stattlichen Sitz des Ksends entfernt, liegt die unirte Dorfkirche, ihr gegenüber das bescheidene Haus des bauernfreundlichen Popen, höchstens durch größere Thüren und Fenster und saubereren Anstrich von den Hütten der Dorfbewohner verschieden, immer für diese bereitwillig geöffnet. Der Pope sieht dem römischen Priester (Ksends) äußerlich zum Verwechseln

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/160
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/160>, abgerufen am 26.06.2024.