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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Ländern Daniels von Haliez die byzantinische Cultur ungleich reichere Blüthen
getrieben hatte, als weiter im Osten, wo ungünstige äußere Umstände und
rohe Nachbaren störend gewirkt hatten, vermochte dieselbe der Civilisation
des Abendlandes keinen dauernden Widerstand entgegenzusetzen. Mehr und
mehr von den Quellen ihres Kirchenthums und ihrer Bildung durch Mon¬
golen und Türken abgeschnitten, erlagen die Lehrer des rechtgläubigen Russen"
thums dem unwiderstehlichen Andrang der mit der ganzen Bildung ihrer
Zeit ausgerüsteten katholischen Kirche; zugleich von politischen und confessio-
nellen Gegnern befehdet, wurden sie aus allen einflußreichen Stellungen ver¬
drängt und in die bescheidene Lage bloßer Dorf- und Bauernpriester herab¬
gedrückt. In Clerus und Adel schloß sich Alles, was von Ehrgeiz und Bil-
dungsdurst beseelt war, der polnisch-katholischen Strömung an -- kaum zwei¬
hundert Jahre nach der Krönung Daniels von Halicz waren Städte und
Edelhofe des Landes Rufz vollständig polonisirt, weitaus die meisten Ver¬
treter höherer Bildung zur römischen Kirche übergetreten; der Bauer, der bei
dem Bekenntniß der Väter ausharrte, sank zum Sclaven herab, sein geistlicher
Berather war in den Augen der Herren und ihrer aristokratischen Beichtiger
ein Paria*). Die kirchliche Union von 1696 ordnete die griechische Kirche vollends
katholischen Einflüssen unter und der Eifer der Jesuiten wußte dafür zu sorgen, daß
es mit den den Unirten gemachten liturgischen und rituellen Concessionen nicht
allzu genau genommen wurde, die übriggebliebenen Unterscheidungen nach Mög¬
lichkeit verwischt wurden. Bei dem Uebergange des alten Rothrußland unter
das östreichische Scepter war dieses Land so vollständig polonisirt, daß die
neuen Machthaber von dem Unterschied zwischen Polen und Ruthenen kaum
eine Vorstellung hatten. Rothrußland und die angrenzenden Theile von
Kleinpolen wurden, was zu polnischer Zeit niemals geschehen war, zu einer
Provinz verbunden und nach denselben Principien verwaltet. Erst Joseph II.
sah in dem Unterschiede zwischen Nationalität und Confession der Herren und
der Bauern ein geeignetes Mittel, die polnische Tradition des Landes zu
entwurzeln und deutsch-östreichischen Einflüssen den Boden zu bereiten. Nicht
nur, daß er die bäuerlichen Lasten verminderte, für Volksschulen sorgte, durch
Anlegung deutscher Bauerncolonien Landwirthschaft und Landeseultur zu
heben versuchte -- er legte zu Lemberg ein unirtes Priesterseminar an, das
später mit der Universität verbunden wurde, er beförderte den Gebrauch der
bis dazu auf Bauerhütten und ärmliche Pfarrhäuser beschränkten ruthenischen
Sprache und verlieh derselben bürgerliche Rechte. -- Aber unter den un¬
fähigen und überdies mit äußeren Händeln überbeschäftigten Nachfolgern



") Ueber Verfassung und Zustand Rothrußlands zur Zeit der polnischen Herrschaft vgl.
Jahrgang 1867 dieser Zeitschrift B. I. S, 241 ff. u, 373 ff.
Grenzboten I. 1870. 20

Ländern Daniels von Haliez die byzantinische Cultur ungleich reichere Blüthen
getrieben hatte, als weiter im Osten, wo ungünstige äußere Umstände und
rohe Nachbaren störend gewirkt hatten, vermochte dieselbe der Civilisation
des Abendlandes keinen dauernden Widerstand entgegenzusetzen. Mehr und
mehr von den Quellen ihres Kirchenthums und ihrer Bildung durch Mon¬
golen und Türken abgeschnitten, erlagen die Lehrer des rechtgläubigen Russen«
thums dem unwiderstehlichen Andrang der mit der ganzen Bildung ihrer
Zeit ausgerüsteten katholischen Kirche; zugleich von politischen und confessio-
nellen Gegnern befehdet, wurden sie aus allen einflußreichen Stellungen ver¬
drängt und in die bescheidene Lage bloßer Dorf- und Bauernpriester herab¬
gedrückt. In Clerus und Adel schloß sich Alles, was von Ehrgeiz und Bil-
dungsdurst beseelt war, der polnisch-katholischen Strömung an — kaum zwei¬
hundert Jahre nach der Krönung Daniels von Halicz waren Städte und
Edelhofe des Landes Rufz vollständig polonisirt, weitaus die meisten Ver¬
treter höherer Bildung zur römischen Kirche übergetreten; der Bauer, der bei
dem Bekenntniß der Väter ausharrte, sank zum Sclaven herab, sein geistlicher
Berather war in den Augen der Herren und ihrer aristokratischen Beichtiger
ein Paria*). Die kirchliche Union von 1696 ordnete die griechische Kirche vollends
katholischen Einflüssen unter und der Eifer der Jesuiten wußte dafür zu sorgen, daß
es mit den den Unirten gemachten liturgischen und rituellen Concessionen nicht
allzu genau genommen wurde, die übriggebliebenen Unterscheidungen nach Mög¬
lichkeit verwischt wurden. Bei dem Uebergange des alten Rothrußland unter
das östreichische Scepter war dieses Land so vollständig polonisirt, daß die
neuen Machthaber von dem Unterschied zwischen Polen und Ruthenen kaum
eine Vorstellung hatten. Rothrußland und die angrenzenden Theile von
Kleinpolen wurden, was zu polnischer Zeit niemals geschehen war, zu einer
Provinz verbunden und nach denselben Principien verwaltet. Erst Joseph II.
sah in dem Unterschiede zwischen Nationalität und Confession der Herren und
der Bauern ein geeignetes Mittel, die polnische Tradition des Landes zu
entwurzeln und deutsch-östreichischen Einflüssen den Boden zu bereiten. Nicht
nur, daß er die bäuerlichen Lasten verminderte, für Volksschulen sorgte, durch
Anlegung deutscher Bauerncolonien Landwirthschaft und Landeseultur zu
heben versuchte — er legte zu Lemberg ein unirtes Priesterseminar an, das
später mit der Universität verbunden wurde, er beförderte den Gebrauch der
bis dazu auf Bauerhütten und ärmliche Pfarrhäuser beschränkten ruthenischen
Sprache und verlieh derselben bürgerliche Rechte. — Aber unter den un¬
fähigen und überdies mit äußeren Händeln überbeschäftigten Nachfolgern



") Ueber Verfassung und Zustand Rothrußlands zur Zeit der polnischen Herrschaft vgl.
Jahrgang 1867 dieser Zeitschrift B. I. S, 241 ff. u, 373 ff.
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[0159] Ländern Daniels von Haliez die byzantinische Cultur ungleich reichere Blüthen getrieben hatte, als weiter im Osten, wo ungünstige äußere Umstände und rohe Nachbaren störend gewirkt hatten, vermochte dieselbe der Civilisation des Abendlandes keinen dauernden Widerstand entgegenzusetzen. Mehr und mehr von den Quellen ihres Kirchenthums und ihrer Bildung durch Mon¬ golen und Türken abgeschnitten, erlagen die Lehrer des rechtgläubigen Russen« thums dem unwiderstehlichen Andrang der mit der ganzen Bildung ihrer Zeit ausgerüsteten katholischen Kirche; zugleich von politischen und confessio- nellen Gegnern befehdet, wurden sie aus allen einflußreichen Stellungen ver¬ drängt und in die bescheidene Lage bloßer Dorf- und Bauernpriester herab¬ gedrückt. In Clerus und Adel schloß sich Alles, was von Ehrgeiz und Bil- dungsdurst beseelt war, der polnisch-katholischen Strömung an — kaum zwei¬ hundert Jahre nach der Krönung Daniels von Halicz waren Städte und Edelhofe des Landes Rufz vollständig polonisirt, weitaus die meisten Ver¬ treter höherer Bildung zur römischen Kirche übergetreten; der Bauer, der bei dem Bekenntniß der Väter ausharrte, sank zum Sclaven herab, sein geistlicher Berather war in den Augen der Herren und ihrer aristokratischen Beichtiger ein Paria*). Die kirchliche Union von 1696 ordnete die griechische Kirche vollends katholischen Einflüssen unter und der Eifer der Jesuiten wußte dafür zu sorgen, daß es mit den den Unirten gemachten liturgischen und rituellen Concessionen nicht allzu genau genommen wurde, die übriggebliebenen Unterscheidungen nach Mög¬ lichkeit verwischt wurden. Bei dem Uebergange des alten Rothrußland unter das östreichische Scepter war dieses Land so vollständig polonisirt, daß die neuen Machthaber von dem Unterschied zwischen Polen und Ruthenen kaum eine Vorstellung hatten. Rothrußland und die angrenzenden Theile von Kleinpolen wurden, was zu polnischer Zeit niemals geschehen war, zu einer Provinz verbunden und nach denselben Principien verwaltet. Erst Joseph II. sah in dem Unterschiede zwischen Nationalität und Confession der Herren und der Bauern ein geeignetes Mittel, die polnische Tradition des Landes zu entwurzeln und deutsch-östreichischen Einflüssen den Boden zu bereiten. Nicht nur, daß er die bäuerlichen Lasten verminderte, für Volksschulen sorgte, durch Anlegung deutscher Bauerncolonien Landwirthschaft und Landeseultur zu heben versuchte — er legte zu Lemberg ein unirtes Priesterseminar an, das später mit der Universität verbunden wurde, er beförderte den Gebrauch der bis dazu auf Bauerhütten und ärmliche Pfarrhäuser beschränkten ruthenischen Sprache und verlieh derselben bürgerliche Rechte. — Aber unter den un¬ fähigen und überdies mit äußeren Händeln überbeschäftigten Nachfolgern ") Ueber Verfassung und Zustand Rothrußlands zur Zeit der polnischen Herrschaft vgl. Jahrgang 1867 dieser Zeitschrift B. I. S, 241 ff. u, 373 ff. Grenzboten I. 1870. 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/159>, abgerufen am 26.06.2024.