Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gangen war. Durch Handel und Bürgersinn blühten die Städte am östlichen
Abhang der Karpathen mächtig auf, die katholischen Fürsten Polens und
Ungarns gewöhnten sich daran, in dem Herrscher von Halicz einen wichtigen
Bundesgenossen gegen die mongolische Gefahr zu sehen und dieser war bemüht,
sein Land der Segnungen occidentaler Cultur und Bildung theilhaft werden
zulassen. Morgen- und Abendland, römisches Kirchenthum und byzantinische
Rechtgläubigkeit zu versöhnen.

In dieses Zeitalter fallen all' die großen Erinnerungen der russischen
Bewohner des heutigen Galizien, die Tage Roman's und Daniels sind es, die
ihnen jede Unterordnung unter die Polen unerträglich erscheinen lassen. Von
den Städten aber, welche das Zeitalter der westrussischen Herrlichkeit gesehen
haben, ist Przemysl am San die einzige, welche noch gegenwärtig eine nicht
ganz entwürdigte Stellung einnimmt. Lemberg hat die große Zeit Rothru߬
lands als unmündiges Kind erlebt, denn erst 1269 wurde es von Leo, dem
Sohne Daniels, begründet, Halicz, der mächtige Fürstensitz ist zu einem elen¬
den Flecken mit kaum 4000 Bewohnern herabgesunken, das alte Wladimir-
Wolynski hat sein Geschick längst von dem der übrigen roth- und kleinrussi¬
schen Städte getrennt; zu einer von 6000 meist jüdischen Bürgern bewohnten
russischen Kreisstadt herabgesunken, ist es von Großrußland verschlungen und
um all' seine historischen Erinnerungen gebracht worden -- Przemysl allein
ritt unter den Städten, die an der Größe des alten Reichs Theil gehabt
haben, noch mit einigen Ehren auf. Freilich war diese Größe von nur kurzer
Dauer und hat auch der thurmreiche, mauerumgürtete Bischofssitz am San,
Zeuge einer Jahrhunderte langen Fremdherrschaft sein müssen.

Schon in der Mitte des 14. Jahrhunderts war der Glanz der Krone
Daniel's verblichen; nach dem Tode seines Enkels Georg, dessen Vater russi¬
schem Brauch gemäß seine Herrschaft bereits mit einem jüngeren Bruder ge¬
theilt hatte, mußte aufs Neue das Herrenrecht der polnischen Könige aner¬
kannt werden. Kasimir der Große nahm Lemberg mit Sturm (1348) und die
Lenden ließen die ihnen gewordene Beute nicht wiederfahren. Ludwig der Große,
zugleich König von Ungarn und Polen, gründete allenthalben auf rothrussi¬
scher Erde römische Bischofssitze und Abteien; auch Przemysl mußte erleben
daß ein katholischer Kirchenfürst seinem rechtgläubigen Erzbischof den Rang
streitig machte und bald war das' gesammte Land von dem dichten Netz einer
zugleich katholisirenden und polonisirenden Propaganda umzogen, die jeden
Widerstand unmöglich machte, alles russiche und rechtgläubige Leben einschnürte.

Die Geschichte der Polonisirung des östlichen Galizien brauchen wir nicht
zu erzählen. Es ist dieselbe Geschichte, die sich unter denselben Namen und
Formen in dem Großfürstenthum Litthauen und in den weißrussischen Län¬
dern während des Is. und 16. Jahrhunderts vollzogen hat. Obgleich in den


gangen war. Durch Handel und Bürgersinn blühten die Städte am östlichen
Abhang der Karpathen mächtig auf, die katholischen Fürsten Polens und
Ungarns gewöhnten sich daran, in dem Herrscher von Halicz einen wichtigen
Bundesgenossen gegen die mongolische Gefahr zu sehen und dieser war bemüht,
sein Land der Segnungen occidentaler Cultur und Bildung theilhaft werden
zulassen. Morgen- und Abendland, römisches Kirchenthum und byzantinische
Rechtgläubigkeit zu versöhnen.

In dieses Zeitalter fallen all' die großen Erinnerungen der russischen
Bewohner des heutigen Galizien, die Tage Roman's und Daniels sind es, die
ihnen jede Unterordnung unter die Polen unerträglich erscheinen lassen. Von
den Städten aber, welche das Zeitalter der westrussischen Herrlichkeit gesehen
haben, ist Przemysl am San die einzige, welche noch gegenwärtig eine nicht
ganz entwürdigte Stellung einnimmt. Lemberg hat die große Zeit Rothru߬
lands als unmündiges Kind erlebt, denn erst 1269 wurde es von Leo, dem
Sohne Daniels, begründet, Halicz, der mächtige Fürstensitz ist zu einem elen¬
den Flecken mit kaum 4000 Bewohnern herabgesunken, das alte Wladimir-
Wolynski hat sein Geschick längst von dem der übrigen roth- und kleinrussi¬
schen Städte getrennt; zu einer von 6000 meist jüdischen Bürgern bewohnten
russischen Kreisstadt herabgesunken, ist es von Großrußland verschlungen und
um all' seine historischen Erinnerungen gebracht worden — Przemysl allein
ritt unter den Städten, die an der Größe des alten Reichs Theil gehabt
haben, noch mit einigen Ehren auf. Freilich war diese Größe von nur kurzer
Dauer und hat auch der thurmreiche, mauerumgürtete Bischofssitz am San,
Zeuge einer Jahrhunderte langen Fremdherrschaft sein müssen.

Schon in der Mitte des 14. Jahrhunderts war der Glanz der Krone
Daniel's verblichen; nach dem Tode seines Enkels Georg, dessen Vater russi¬
schem Brauch gemäß seine Herrschaft bereits mit einem jüngeren Bruder ge¬
theilt hatte, mußte aufs Neue das Herrenrecht der polnischen Könige aner¬
kannt werden. Kasimir der Große nahm Lemberg mit Sturm (1348) und die
Lenden ließen die ihnen gewordene Beute nicht wiederfahren. Ludwig der Große,
zugleich König von Ungarn und Polen, gründete allenthalben auf rothrussi¬
scher Erde römische Bischofssitze und Abteien; auch Przemysl mußte erleben
daß ein katholischer Kirchenfürst seinem rechtgläubigen Erzbischof den Rang
streitig machte und bald war das' gesammte Land von dem dichten Netz einer
zugleich katholisirenden und polonisirenden Propaganda umzogen, die jeden
Widerstand unmöglich machte, alles russiche und rechtgläubige Leben einschnürte.

Die Geschichte der Polonisirung des östlichen Galizien brauchen wir nicht
zu erzählen. Es ist dieselbe Geschichte, die sich unter denselben Namen und
Formen in dem Großfürstenthum Litthauen und in den weißrussischen Län¬
dern während des Is. und 16. Jahrhunderts vollzogen hat. Obgleich in den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0158" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123246"/>
            <p xml:id="ID_432" prev="#ID_431"> gangen war. Durch Handel und Bürgersinn blühten die Städte am östlichen<lb/>
Abhang der Karpathen mächtig auf, die katholischen Fürsten Polens und<lb/>
Ungarns gewöhnten sich daran, in dem Herrscher von Halicz einen wichtigen<lb/>
Bundesgenossen gegen die mongolische Gefahr zu sehen und dieser war bemüht,<lb/>
sein Land der Segnungen occidentaler Cultur und Bildung theilhaft werden<lb/>
zulassen. Morgen- und Abendland, römisches Kirchenthum und byzantinische<lb/>
Rechtgläubigkeit zu versöhnen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_433"> In dieses Zeitalter fallen all' die großen Erinnerungen der russischen<lb/>
Bewohner des heutigen Galizien, die Tage Roman's und Daniels sind es, die<lb/>
ihnen jede Unterordnung unter die Polen unerträglich erscheinen lassen. Von<lb/>
den Städten aber, welche das Zeitalter der westrussischen Herrlichkeit gesehen<lb/>
haben, ist Przemysl am San die einzige, welche noch gegenwärtig eine nicht<lb/>
ganz entwürdigte Stellung einnimmt. Lemberg hat die große Zeit Rothru߬<lb/>
lands als unmündiges Kind erlebt, denn erst 1269 wurde es von Leo, dem<lb/>
Sohne Daniels, begründet, Halicz, der mächtige Fürstensitz ist zu einem elen¬<lb/>
den Flecken mit kaum 4000 Bewohnern herabgesunken, das alte Wladimir-<lb/>
Wolynski hat sein Geschick längst von dem der übrigen roth- und kleinrussi¬<lb/>
schen Städte getrennt; zu einer von 6000 meist jüdischen Bürgern bewohnten<lb/>
russischen Kreisstadt herabgesunken, ist es von Großrußland verschlungen und<lb/>
um all' seine historischen Erinnerungen gebracht worden &#x2014; Przemysl allein<lb/>
ritt unter den Städten, die an der Größe des alten Reichs Theil gehabt<lb/>
haben, noch mit einigen Ehren auf. Freilich war diese Größe von nur kurzer<lb/>
Dauer und hat auch der thurmreiche, mauerumgürtete Bischofssitz am San,<lb/>
Zeuge einer Jahrhunderte langen Fremdherrschaft sein müssen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_434"> Schon in der Mitte des 14. Jahrhunderts war der Glanz der Krone<lb/>
Daniel's verblichen; nach dem Tode seines Enkels Georg, dessen Vater russi¬<lb/>
schem Brauch gemäß seine Herrschaft bereits mit einem jüngeren Bruder ge¬<lb/>
theilt hatte, mußte aufs Neue das Herrenrecht der polnischen Könige aner¬<lb/>
kannt werden. Kasimir der Große nahm Lemberg mit Sturm (1348) und die<lb/>
Lenden ließen die ihnen gewordene Beute nicht wiederfahren. Ludwig der Große,<lb/>
zugleich König von Ungarn und Polen, gründete allenthalben auf rothrussi¬<lb/>
scher Erde römische Bischofssitze und Abteien; auch Przemysl mußte erleben<lb/>
daß ein katholischer Kirchenfürst seinem rechtgläubigen Erzbischof den Rang<lb/>
streitig machte und bald war das' gesammte Land von dem dichten Netz einer<lb/>
zugleich katholisirenden und polonisirenden Propaganda umzogen, die jeden<lb/>
Widerstand unmöglich machte, alles russiche und rechtgläubige Leben einschnürte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_435" next="#ID_436"> Die Geschichte der Polonisirung des östlichen Galizien brauchen wir nicht<lb/>
zu erzählen. Es ist dieselbe Geschichte, die sich unter denselben Namen und<lb/>
Formen in dem Großfürstenthum Litthauen und in den weißrussischen Län¬<lb/>
dern während des Is. und 16. Jahrhunderts vollzogen hat. Obgleich in den</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0158] gangen war. Durch Handel und Bürgersinn blühten die Städte am östlichen Abhang der Karpathen mächtig auf, die katholischen Fürsten Polens und Ungarns gewöhnten sich daran, in dem Herrscher von Halicz einen wichtigen Bundesgenossen gegen die mongolische Gefahr zu sehen und dieser war bemüht, sein Land der Segnungen occidentaler Cultur und Bildung theilhaft werden zulassen. Morgen- und Abendland, römisches Kirchenthum und byzantinische Rechtgläubigkeit zu versöhnen. In dieses Zeitalter fallen all' die großen Erinnerungen der russischen Bewohner des heutigen Galizien, die Tage Roman's und Daniels sind es, die ihnen jede Unterordnung unter die Polen unerträglich erscheinen lassen. Von den Städten aber, welche das Zeitalter der westrussischen Herrlichkeit gesehen haben, ist Przemysl am San die einzige, welche noch gegenwärtig eine nicht ganz entwürdigte Stellung einnimmt. Lemberg hat die große Zeit Rothru߬ lands als unmündiges Kind erlebt, denn erst 1269 wurde es von Leo, dem Sohne Daniels, begründet, Halicz, der mächtige Fürstensitz ist zu einem elen¬ den Flecken mit kaum 4000 Bewohnern herabgesunken, das alte Wladimir- Wolynski hat sein Geschick längst von dem der übrigen roth- und kleinrussi¬ schen Städte getrennt; zu einer von 6000 meist jüdischen Bürgern bewohnten russischen Kreisstadt herabgesunken, ist es von Großrußland verschlungen und um all' seine historischen Erinnerungen gebracht worden — Przemysl allein ritt unter den Städten, die an der Größe des alten Reichs Theil gehabt haben, noch mit einigen Ehren auf. Freilich war diese Größe von nur kurzer Dauer und hat auch der thurmreiche, mauerumgürtete Bischofssitz am San, Zeuge einer Jahrhunderte langen Fremdherrschaft sein müssen. Schon in der Mitte des 14. Jahrhunderts war der Glanz der Krone Daniel's verblichen; nach dem Tode seines Enkels Georg, dessen Vater russi¬ schem Brauch gemäß seine Herrschaft bereits mit einem jüngeren Bruder ge¬ theilt hatte, mußte aufs Neue das Herrenrecht der polnischen Könige aner¬ kannt werden. Kasimir der Große nahm Lemberg mit Sturm (1348) und die Lenden ließen die ihnen gewordene Beute nicht wiederfahren. Ludwig der Große, zugleich König von Ungarn und Polen, gründete allenthalben auf rothrussi¬ scher Erde römische Bischofssitze und Abteien; auch Przemysl mußte erleben daß ein katholischer Kirchenfürst seinem rechtgläubigen Erzbischof den Rang streitig machte und bald war das' gesammte Land von dem dichten Netz einer zugleich katholisirenden und polonisirenden Propaganda umzogen, die jeden Widerstand unmöglich machte, alles russiche und rechtgläubige Leben einschnürte. Die Geschichte der Polonisirung des östlichen Galizien brauchen wir nicht zu erzählen. Es ist dieselbe Geschichte, die sich unter denselben Namen und Formen in dem Großfürstenthum Litthauen und in den weißrussischen Län¬ dern während des Is. und 16. Jahrhunderts vollzogen hat. Obgleich in den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/158
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/158>, abgerufen am 26.06.2024.