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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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unmittelbar an einflußreicher Stelle zu intimiren gedachte, werden heute als
Illusionen erkannt sein. Wenn es begründet ist, was mir aus Hamburg
berichtet wird, daß der Vorsitzende des Ausstellungscomitis, W. v. Pustau,
ein um das commercielle Leben Altona's bisher übereifrig besorgter Mann,
sein Comtoir jetzt gleichfalls nach Hamburg zu verlegen vor hat, so müssen die
Stimmungen in diesen bisher vielleicht nur zu sanguinisch preußisch gesinnten
Kreisen ziemlich verbitterte sein.

Der Humor kann aber in der That auch ganz unbetheiligten Leuten ver¬
gehen, wenn man mit ansehen muß, in welch' verkehrter Methode man in Berlin
zugleich karg und verschwenderisch mit den officiellen Gunstbezeugungen um¬
zugehen versteht. Der holstein'sche Adel war durch das Contingent seiner
Berufungen zum Herrenhaus bereits mehr als genügend berücksichtigt wor¬
den. Einem seiner Mitglieder wurde bei Gelegenheit der Feier seiner silber¬
nen Hochzeit, wahrscheinlich ebenso zu seiner wie zur Ueberraschung der Pro¬
vinz, in den letzten Monaten noch eine besondere Auszeichnung zu Theil, wie
sie meines Wissens in Preußen seit Menschengedenken in so prägnanter Art
nicht vorgekommen ist. Graf Schimmelmann-Ahrensburg z, B., ein begüterter
Cavalier mittleren Lebensalters, wurde durch die Ernennung zum Wirklichen
Geheimen Rath mit dem Prädicat "Excellenz" plötzlich mit derjenigen höchsten
Charge begnadigt, welche nach sonstigem preußischen Herkommen als die letzte
Ruhmeszier der im Staats- und Hofdienst ergrauten Würdenträger galt.
Und um das Gleichgewicht zwischen ihm und Herrn v. Scheel-Plessen wieder¬
herzustellen, erfolgte bald darauf, ich weiß wirklich nicht, ob gleichfalls bei
Gelegenheit der unlängst gefeierten silbernen Hochzeit, des Letzteren Ernennung
zum Curator der Universität Kiel, welche wichtige und nothwendige Dignität
zwar nicht grade vermehrte Amtscharge, aber doch verstärkte Amtsemolumente
mit sich bringt. Der Etat des preußischen Cultusministeriums, der verrottete
Universitätsflecken Kiel, und der reichste Mann der Herzogthümer mit der
Sinecure dieses Curatoriums speciell dotirt -- ist es möglich, über solche
Dinge mit Gelassenheit weg zu raisonniren?

Im Oetober und November fanden in den Städten und größern Flecken
Schleswig-Holsteins die ersten Wahlen der Stadt-Deputirten nach der neuen
Städte-Ordnung statt. Ueber eine der sonderbarsten Episoden der Wahlen
ist Ihnen bereits aus der guten Stadt Kiel berichtet worden. Soweit meine
Beobachtungen reichen, stand der dortige Coalitionsversuch zwischen Gouverne¬
mentalismus und Volkspartei, den man übrigens officiöserseirs Ihrer Mit¬
theilung gegenüber lebhaft zu bemänteln sich nachträglich bemüht hat, ziemlich
vereinzelt da. Das aber läßt sich wohl als der gemeinsame Charakter der
Wahlen verzeichnen, daß sie die völlige Auflösung der nationalen Partei bis
zur Unkenntlichkeit constatirt haben, daß der Gouvernementalismus, wie man


unmittelbar an einflußreicher Stelle zu intimiren gedachte, werden heute als
Illusionen erkannt sein. Wenn es begründet ist, was mir aus Hamburg
berichtet wird, daß der Vorsitzende des Ausstellungscomitis, W. v. Pustau,
ein um das commercielle Leben Altona's bisher übereifrig besorgter Mann,
sein Comtoir jetzt gleichfalls nach Hamburg zu verlegen vor hat, so müssen die
Stimmungen in diesen bisher vielleicht nur zu sanguinisch preußisch gesinnten
Kreisen ziemlich verbitterte sein.

Der Humor kann aber in der That auch ganz unbetheiligten Leuten ver¬
gehen, wenn man mit ansehen muß, in welch' verkehrter Methode man in Berlin
zugleich karg und verschwenderisch mit den officiellen Gunstbezeugungen um¬
zugehen versteht. Der holstein'sche Adel war durch das Contingent seiner
Berufungen zum Herrenhaus bereits mehr als genügend berücksichtigt wor¬
den. Einem seiner Mitglieder wurde bei Gelegenheit der Feier seiner silber¬
nen Hochzeit, wahrscheinlich ebenso zu seiner wie zur Ueberraschung der Pro¬
vinz, in den letzten Monaten noch eine besondere Auszeichnung zu Theil, wie
sie meines Wissens in Preußen seit Menschengedenken in so prägnanter Art
nicht vorgekommen ist. Graf Schimmelmann-Ahrensburg z, B., ein begüterter
Cavalier mittleren Lebensalters, wurde durch die Ernennung zum Wirklichen
Geheimen Rath mit dem Prädicat „Excellenz" plötzlich mit derjenigen höchsten
Charge begnadigt, welche nach sonstigem preußischen Herkommen als die letzte
Ruhmeszier der im Staats- und Hofdienst ergrauten Würdenträger galt.
Und um das Gleichgewicht zwischen ihm und Herrn v. Scheel-Plessen wieder¬
herzustellen, erfolgte bald darauf, ich weiß wirklich nicht, ob gleichfalls bei
Gelegenheit der unlängst gefeierten silbernen Hochzeit, des Letzteren Ernennung
zum Curator der Universität Kiel, welche wichtige und nothwendige Dignität
zwar nicht grade vermehrte Amtscharge, aber doch verstärkte Amtsemolumente
mit sich bringt. Der Etat des preußischen Cultusministeriums, der verrottete
Universitätsflecken Kiel, und der reichste Mann der Herzogthümer mit der
Sinecure dieses Curatoriums speciell dotirt — ist es möglich, über solche
Dinge mit Gelassenheit weg zu raisonniren?

Im Oetober und November fanden in den Städten und größern Flecken
Schleswig-Holsteins die ersten Wahlen der Stadt-Deputirten nach der neuen
Städte-Ordnung statt. Ueber eine der sonderbarsten Episoden der Wahlen
ist Ihnen bereits aus der guten Stadt Kiel berichtet worden. Soweit meine
Beobachtungen reichen, stand der dortige Coalitionsversuch zwischen Gouverne¬
mentalismus und Volkspartei, den man übrigens officiöserseirs Ihrer Mit¬
theilung gegenüber lebhaft zu bemänteln sich nachträglich bemüht hat, ziemlich
vereinzelt da. Das aber läßt sich wohl als der gemeinsame Charakter der
Wahlen verzeichnen, daß sie die völlige Auflösung der nationalen Partei bis
zur Unkenntlichkeit constatirt haben, daß der Gouvernementalismus, wie man


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[0154] unmittelbar an einflußreicher Stelle zu intimiren gedachte, werden heute als Illusionen erkannt sein. Wenn es begründet ist, was mir aus Hamburg berichtet wird, daß der Vorsitzende des Ausstellungscomitis, W. v. Pustau, ein um das commercielle Leben Altona's bisher übereifrig besorgter Mann, sein Comtoir jetzt gleichfalls nach Hamburg zu verlegen vor hat, so müssen die Stimmungen in diesen bisher vielleicht nur zu sanguinisch preußisch gesinnten Kreisen ziemlich verbitterte sein. Der Humor kann aber in der That auch ganz unbetheiligten Leuten ver¬ gehen, wenn man mit ansehen muß, in welch' verkehrter Methode man in Berlin zugleich karg und verschwenderisch mit den officiellen Gunstbezeugungen um¬ zugehen versteht. Der holstein'sche Adel war durch das Contingent seiner Berufungen zum Herrenhaus bereits mehr als genügend berücksichtigt wor¬ den. Einem seiner Mitglieder wurde bei Gelegenheit der Feier seiner silber¬ nen Hochzeit, wahrscheinlich ebenso zu seiner wie zur Ueberraschung der Pro¬ vinz, in den letzten Monaten noch eine besondere Auszeichnung zu Theil, wie sie meines Wissens in Preußen seit Menschengedenken in so prägnanter Art nicht vorgekommen ist. Graf Schimmelmann-Ahrensburg z, B., ein begüterter Cavalier mittleren Lebensalters, wurde durch die Ernennung zum Wirklichen Geheimen Rath mit dem Prädicat „Excellenz" plötzlich mit derjenigen höchsten Charge begnadigt, welche nach sonstigem preußischen Herkommen als die letzte Ruhmeszier der im Staats- und Hofdienst ergrauten Würdenträger galt. Und um das Gleichgewicht zwischen ihm und Herrn v. Scheel-Plessen wieder¬ herzustellen, erfolgte bald darauf, ich weiß wirklich nicht, ob gleichfalls bei Gelegenheit der unlängst gefeierten silbernen Hochzeit, des Letzteren Ernennung zum Curator der Universität Kiel, welche wichtige und nothwendige Dignität zwar nicht grade vermehrte Amtscharge, aber doch verstärkte Amtsemolumente mit sich bringt. Der Etat des preußischen Cultusministeriums, der verrottete Universitätsflecken Kiel, und der reichste Mann der Herzogthümer mit der Sinecure dieses Curatoriums speciell dotirt — ist es möglich, über solche Dinge mit Gelassenheit weg zu raisonniren? Im Oetober und November fanden in den Städten und größern Flecken Schleswig-Holsteins die ersten Wahlen der Stadt-Deputirten nach der neuen Städte-Ordnung statt. Ueber eine der sonderbarsten Episoden der Wahlen ist Ihnen bereits aus der guten Stadt Kiel berichtet worden. Soweit meine Beobachtungen reichen, stand der dortige Coalitionsversuch zwischen Gouverne¬ mentalismus und Volkspartei, den man übrigens officiöserseirs Ihrer Mit¬ theilung gegenüber lebhaft zu bemänteln sich nachträglich bemüht hat, ziemlich vereinzelt da. Das aber läßt sich wohl als der gemeinsame Charakter der Wahlen verzeichnen, daß sie die völlige Auflösung der nationalen Partei bis zur Unkenntlichkeit constatirt haben, daß der Gouvernementalismus, wie man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/154>, abgerufen am 26.06.2024.