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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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dert hat. Im Süden, wo gegenwärtig sehr verschiedene Elemente von der
demokratischen bis zur freiconservativen Schattirung gemeinschaftlich zu dem
einen Ziel zusammenwirken, wäre eine vorzeitige Trennung dieser Elemente
unvermeidlich bei dem Anschluß an eine der norddeutschen Parteien und
sicher vom Uebel. Nachdem nun einmal mit dem Jahr 1867 ein vorläufig
nicht zu überspringender Abschluß unserer nationalen Entwicklung gegeben
und die Unabhängigkeit der süddeutschen Staaten anerkannt ist, bleibt unter
normalen Verhältnissen ein neuer Impuls zunächst nur aus dem Innern
dieser einzelnen Staaten heraus zu erwarten. Offenbar ist dies noch ein lang¬
wieriger Proceß, der wohl in indirecter Weise von außen gefördert und er¬
leichtert werden kann, bei dem aber die nationale Partei jedes Landes doch
wesentlich auf ihre eigenen Mittel angewiesen ist. Niemand kann den Wür-
tenbergern helfen, daß sie mit ihrer Volkspartei fertig werden. Niemand
den Bayern, daß sie in künftigen Wahlen die Ultramontanen schlagen. Die
Hauptsache ist, daß hier und dort die nationale Sache so feste Wurzeln ge¬
schlagen hat, daß sie wohl vorübergehende Einbußen erleiden mag, aber
gründlich nicht mehr erschüttert oder unterdrückt werden kann- Das Weitere
muß die wachsende Einsicht und Bildung thun. Daß der Schwerpunkt der
süddeutschen Frage heute nicht in Hessen, nicht in Baden, nicht in Würtem-
berg, sondern in Bayern liegt, hat Bluntschli in einleuchtender Weise dar¬
gethan.

Die geselligen Vereinigungen erhielten dadurch erhöhte Bedeutung, daß
ungeachtet der Vorstellungen, welche die süddeutsche Diplomatie erhoben haben
soll, sämmtliche badische Minister theilnahmen, mit Ausnahme des in Berlin
abwesenden Generals v. Beyer. Schon die äußere Zusammensetzung der Fest,
laset gab so den Gästen aus Hessen und Würtemberg ein erfreuliches Bild
von der Gesundheit des badischen Staatswesens. Der freundschaftliche Ver¬
kehr von Ministern, Abgeordneten der ersten und zweiten Kammer, Beamten
und Bürgern veranschaulichte die Einigkeit sämmtlicher Elemente des Staats¬
lebens zu dem doppelten Zweck der nationalen Wiedergeburt wie der freisin¬
nigen Gestalt der inneren Einrichtungen. Man begriff wie dieser Staat, der
seine feste Stellung zu Deutschland gewonnen hat, zugleich der einzige der
süddeutschen Staaten ist, der in einer ruhig und unausgesetzt fortschreitenden
Reformarbeit auf allen Gebieten des Culturlebens sich befindet. Und dankbar
wurde des Antheils gedacht, welcher der festen Haltung des Großherzogs
gebührt: das bewies der stürmische Anklang, welcher Römers aus Tübingen
auf den fürstlichen Führer der nationalen Sache in Süddeutschland ausge¬
brachter Toast fand.

Es ist in diesen Toasten manches bedeutende und feine Wort geredet
worden. Vielleicht das bezeichnendste war, daß sie die gründlich veränderte


Grenzboten I. 1S70, 19

dert hat. Im Süden, wo gegenwärtig sehr verschiedene Elemente von der
demokratischen bis zur freiconservativen Schattirung gemeinschaftlich zu dem
einen Ziel zusammenwirken, wäre eine vorzeitige Trennung dieser Elemente
unvermeidlich bei dem Anschluß an eine der norddeutschen Parteien und
sicher vom Uebel. Nachdem nun einmal mit dem Jahr 1867 ein vorläufig
nicht zu überspringender Abschluß unserer nationalen Entwicklung gegeben
und die Unabhängigkeit der süddeutschen Staaten anerkannt ist, bleibt unter
normalen Verhältnissen ein neuer Impuls zunächst nur aus dem Innern
dieser einzelnen Staaten heraus zu erwarten. Offenbar ist dies noch ein lang¬
wieriger Proceß, der wohl in indirecter Weise von außen gefördert und er¬
leichtert werden kann, bei dem aber die nationale Partei jedes Landes doch
wesentlich auf ihre eigenen Mittel angewiesen ist. Niemand kann den Wür-
tenbergern helfen, daß sie mit ihrer Volkspartei fertig werden. Niemand
den Bayern, daß sie in künftigen Wahlen die Ultramontanen schlagen. Die
Hauptsache ist, daß hier und dort die nationale Sache so feste Wurzeln ge¬
schlagen hat, daß sie wohl vorübergehende Einbußen erleiden mag, aber
gründlich nicht mehr erschüttert oder unterdrückt werden kann- Das Weitere
muß die wachsende Einsicht und Bildung thun. Daß der Schwerpunkt der
süddeutschen Frage heute nicht in Hessen, nicht in Baden, nicht in Würtem-
berg, sondern in Bayern liegt, hat Bluntschli in einleuchtender Weise dar¬
gethan.

Die geselligen Vereinigungen erhielten dadurch erhöhte Bedeutung, daß
ungeachtet der Vorstellungen, welche die süddeutsche Diplomatie erhoben haben
soll, sämmtliche badische Minister theilnahmen, mit Ausnahme des in Berlin
abwesenden Generals v. Beyer. Schon die äußere Zusammensetzung der Fest,
laset gab so den Gästen aus Hessen und Würtemberg ein erfreuliches Bild
von der Gesundheit des badischen Staatswesens. Der freundschaftliche Ver¬
kehr von Ministern, Abgeordneten der ersten und zweiten Kammer, Beamten
und Bürgern veranschaulichte die Einigkeit sämmtlicher Elemente des Staats¬
lebens zu dem doppelten Zweck der nationalen Wiedergeburt wie der freisin¬
nigen Gestalt der inneren Einrichtungen. Man begriff wie dieser Staat, der
seine feste Stellung zu Deutschland gewonnen hat, zugleich der einzige der
süddeutschen Staaten ist, der in einer ruhig und unausgesetzt fortschreitenden
Reformarbeit auf allen Gebieten des Culturlebens sich befindet. Und dankbar
wurde des Antheils gedacht, welcher der festen Haltung des Großherzogs
gebührt: das bewies der stürmische Anklang, welcher Römers aus Tübingen
auf den fürstlichen Führer der nationalen Sache in Süddeutschland ausge¬
brachter Toast fand.

Es ist in diesen Toasten manches bedeutende und feine Wort geredet
worden. Vielleicht das bezeichnendste war, daß sie die gründlich veränderte


Grenzboten I. 1S70, 19
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/151>, abgerufen am 26.06.2024.