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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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abweichen mögen. Die Feudalen und Ultramontanen sind aber viel klüger
als die Liberalen: so oft die letzteren Schiffbruch erleiden, sind jene bereit,
ohne Ansehen der Nationalität das Heft in die Hände zu nehmen und die
Schneide gegen den dritten Stand zu wenden -- ebenfalls ohne Ansehen der
Nationalität und früherer Waffenbrüderschaft. Zur Macht zu gelangen hat
für sie auch geringere Schwierigkeit. Das östreichische Kaiserhaus ist nun
einmal streng kirchlich-katholisch gesinnt, und Staatsmänner, welche in den
gleichen Anschauungen leben und sich von Jugend auf die bei Hofe herr¬
schenden Umgangsformen zu eigen gemacht haben, sind willkommener als
solche, denen der Ruf der Ungläubigkeit und revolutionärer Neigungen
vorausgeht und die überdies häufig etwas von plebejischen Manieren mit¬
bringen. Wie man sich darüber täuschen kann ist unbegreiflich, am unbegreif¬
lichsten, daß man die Abneigung der höchsten Kreise noch muthwillig reizt.
Der Proceß gegen den Bischof von Linz wäre vielleicht besser ganz unter¬
blieben, doch da er einmal anhängig gemacht war, mußte er freilich zu Ende
geführt werden; aber die Begnadigung, noch bevor das Urtheil Rechtskraft
erlangt hatte, zeigte den Regierenden hinreichend, mit welchen Augen die
Procedur angesehen wurde; die Pöbelhaftigkeiten in Wort und Bild, welche
sogenannte Witzblätter sich gegen alles Clericale herausnehmen, müssen leider
als die Wasserzweige am Baum der freien Presse mit hingenommen werden.
Hingegen gibt es gar keine Entschuldigung für den Einfall eines großen
Blattes, die Kaiserin in beleidigenden Tone darüber zur Rechenschaft zu
ziehen, daß sie ihre Schwester in Rom besucht und dem Papst ihre Huldi¬
gung darbringt. Dergleichen würde gewissenhaft gedruckt werden, wenn es
in dem letzten Winkelblatte gestanden hätte; nun das notorisch intime Organ
der Majorität im Ministerium sich den schlechten Spaß erlaubte, mit dem
üblichen Sensationsartikel kurz vor Ablauf des Quartals sich an die Person
der Kaiserin zu wagen, wird ganz natürlich eben jene Majorität des Mi¬
nisteriums dafür verantwortlich gemacht, so wenig wir die Majorität der¬
selben Majorität einer solchen Taktlosigkeit fähig glauben. Es gibt kein
altes Weib, welches nicht den Demokraten von 1848 vorzurechnen wüßte,
wie viel Schaden der guten Sache der Freiheit dadurch zugefügt wurde, daß
man das Militär von vornherein als deren Feind behandelte und absichtlich
reizte; in diesem einen Punkte scheint man auch klüger geworden zu sein.
Dafür wird gegen die katholische Geistlichkeit und den kirchlich gesinnten Adel
in einer Weise geschrieben, als ob Wille und Macht vorhanden wären, beide
abzuschaffen, während einsichtige und wahrhaft verfassungsfreundliche Poli¬
tiker ihr Augenmerk darauf richten sollten, jene Elemente mit der neuen
Ordnung der Dinge zu befreunden, zur activen Theilnahme am konstitutionellen
Leben zu veranlassen. Wohl ist die Witterung reactionären Tendenzen nicht


abweichen mögen. Die Feudalen und Ultramontanen sind aber viel klüger
als die Liberalen: so oft die letzteren Schiffbruch erleiden, sind jene bereit,
ohne Ansehen der Nationalität das Heft in die Hände zu nehmen und die
Schneide gegen den dritten Stand zu wenden — ebenfalls ohne Ansehen der
Nationalität und früherer Waffenbrüderschaft. Zur Macht zu gelangen hat
für sie auch geringere Schwierigkeit. Das östreichische Kaiserhaus ist nun
einmal streng kirchlich-katholisch gesinnt, und Staatsmänner, welche in den
gleichen Anschauungen leben und sich von Jugend auf die bei Hofe herr¬
schenden Umgangsformen zu eigen gemacht haben, sind willkommener als
solche, denen der Ruf der Ungläubigkeit und revolutionärer Neigungen
vorausgeht und die überdies häufig etwas von plebejischen Manieren mit¬
bringen. Wie man sich darüber täuschen kann ist unbegreiflich, am unbegreif¬
lichsten, daß man die Abneigung der höchsten Kreise noch muthwillig reizt.
Der Proceß gegen den Bischof von Linz wäre vielleicht besser ganz unter¬
blieben, doch da er einmal anhängig gemacht war, mußte er freilich zu Ende
geführt werden; aber die Begnadigung, noch bevor das Urtheil Rechtskraft
erlangt hatte, zeigte den Regierenden hinreichend, mit welchen Augen die
Procedur angesehen wurde; die Pöbelhaftigkeiten in Wort und Bild, welche
sogenannte Witzblätter sich gegen alles Clericale herausnehmen, müssen leider
als die Wasserzweige am Baum der freien Presse mit hingenommen werden.
Hingegen gibt es gar keine Entschuldigung für den Einfall eines großen
Blattes, die Kaiserin in beleidigenden Tone darüber zur Rechenschaft zu
ziehen, daß sie ihre Schwester in Rom besucht und dem Papst ihre Huldi¬
gung darbringt. Dergleichen würde gewissenhaft gedruckt werden, wenn es
in dem letzten Winkelblatte gestanden hätte; nun das notorisch intime Organ
der Majorität im Ministerium sich den schlechten Spaß erlaubte, mit dem
üblichen Sensationsartikel kurz vor Ablauf des Quartals sich an die Person
der Kaiserin zu wagen, wird ganz natürlich eben jene Majorität des Mi¬
nisteriums dafür verantwortlich gemacht, so wenig wir die Majorität der¬
selben Majorität einer solchen Taktlosigkeit fähig glauben. Es gibt kein
altes Weib, welches nicht den Demokraten von 1848 vorzurechnen wüßte,
wie viel Schaden der guten Sache der Freiheit dadurch zugefügt wurde, daß
man das Militär von vornherein als deren Feind behandelte und absichtlich
reizte; in diesem einen Punkte scheint man auch klüger geworden zu sein.
Dafür wird gegen die katholische Geistlichkeit und den kirchlich gesinnten Adel
in einer Weise geschrieben, als ob Wille und Macht vorhanden wären, beide
abzuschaffen, während einsichtige und wahrhaft verfassungsfreundliche Poli¬
tiker ihr Augenmerk darauf richten sollten, jene Elemente mit der neuen
Ordnung der Dinge zu befreunden, zur activen Theilnahme am konstitutionellen
Leben zu veranlassen. Wohl ist die Witterung reactionären Tendenzen nicht


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[0139] abweichen mögen. Die Feudalen und Ultramontanen sind aber viel klüger als die Liberalen: so oft die letzteren Schiffbruch erleiden, sind jene bereit, ohne Ansehen der Nationalität das Heft in die Hände zu nehmen und die Schneide gegen den dritten Stand zu wenden — ebenfalls ohne Ansehen der Nationalität und früherer Waffenbrüderschaft. Zur Macht zu gelangen hat für sie auch geringere Schwierigkeit. Das östreichische Kaiserhaus ist nun einmal streng kirchlich-katholisch gesinnt, und Staatsmänner, welche in den gleichen Anschauungen leben und sich von Jugend auf die bei Hofe herr¬ schenden Umgangsformen zu eigen gemacht haben, sind willkommener als solche, denen der Ruf der Ungläubigkeit und revolutionärer Neigungen vorausgeht und die überdies häufig etwas von plebejischen Manieren mit¬ bringen. Wie man sich darüber täuschen kann ist unbegreiflich, am unbegreif¬ lichsten, daß man die Abneigung der höchsten Kreise noch muthwillig reizt. Der Proceß gegen den Bischof von Linz wäre vielleicht besser ganz unter¬ blieben, doch da er einmal anhängig gemacht war, mußte er freilich zu Ende geführt werden; aber die Begnadigung, noch bevor das Urtheil Rechtskraft erlangt hatte, zeigte den Regierenden hinreichend, mit welchen Augen die Procedur angesehen wurde; die Pöbelhaftigkeiten in Wort und Bild, welche sogenannte Witzblätter sich gegen alles Clericale herausnehmen, müssen leider als die Wasserzweige am Baum der freien Presse mit hingenommen werden. Hingegen gibt es gar keine Entschuldigung für den Einfall eines großen Blattes, die Kaiserin in beleidigenden Tone darüber zur Rechenschaft zu ziehen, daß sie ihre Schwester in Rom besucht und dem Papst ihre Huldi¬ gung darbringt. Dergleichen würde gewissenhaft gedruckt werden, wenn es in dem letzten Winkelblatte gestanden hätte; nun das notorisch intime Organ der Majorität im Ministerium sich den schlechten Spaß erlaubte, mit dem üblichen Sensationsartikel kurz vor Ablauf des Quartals sich an die Person der Kaiserin zu wagen, wird ganz natürlich eben jene Majorität des Mi¬ nisteriums dafür verantwortlich gemacht, so wenig wir die Majorität der¬ selben Majorität einer solchen Taktlosigkeit fähig glauben. Es gibt kein altes Weib, welches nicht den Demokraten von 1848 vorzurechnen wüßte, wie viel Schaden der guten Sache der Freiheit dadurch zugefügt wurde, daß man das Militär von vornherein als deren Feind behandelte und absichtlich reizte; in diesem einen Punkte scheint man auch klüger geworden zu sein. Dafür wird gegen die katholische Geistlichkeit und den kirchlich gesinnten Adel in einer Weise geschrieben, als ob Wille und Macht vorhanden wären, beide abzuschaffen, während einsichtige und wahrhaft verfassungsfreundliche Poli¬ tiker ihr Augenmerk darauf richten sollten, jene Elemente mit der neuen Ordnung der Dinge zu befreunden, zur activen Theilnahme am konstitutionellen Leben zu veranlassen. Wohl ist die Witterung reactionären Tendenzen nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/139>, abgerufen am 26.06.2024.