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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Buffit, Segris und Talhouöt haben gegen jene Officiellen gestimmt und müssen
consequenterweise fordern, daß eine aus freien Wahlen hervorgehende Ver¬
sammlung an die Stelle der jetzigen trete. Freilich kann man nicht ver¬
kennen, daß, falls die Auflösung nach Abwickelung der nothwendigsten Geschäfte
ausgesprochen würde, die Neuwahlen unter den ungünstigsten Umständen
stattfinden würden. Das Ministerium hätte noch nicht Zeit gehabt, seine
Tüchtigkeit zu erproben und müßte doch seinen Einfluß auf die Wähler auf¬
geben, die Agitation der Linken und der Socialisten würde großartige Verhält¬
nisse annehmen und zum ersten. Male Spielraum haben, sich auf dem platten
Lande frei zu entwickeln. Es würde sich bei den Candidaturen wahrscheinlich
viel weniger um praktische Maßregeln als um allgemeine Programme
handeln, die schließlich auf die Frage Kaiserreich oder Republik herauslaufen
würden. Nun sagen zwar die Bonapartisten, sie fürchteten freie Wahlen
nicht, die Bauern, der Clerus und die Mehrheit in den kleinen Städten seien
dynastisch-conservativ gesinnt. Aber wenn dies, der Fall, warum haben denn
Billaud, Rouher und Forxade, die doch Frankreich auch kennen, so krampf¬
haft an den officiellen Candidaturen gehalten? Wir wissen, daß scharfe Be¬
obachter, welche nicht zu den Pessimisten gehören, der Ansicht sind, daß Neu¬
wahlen jetzt zu einer girondistischen Constituante führen würden. Es ist nun
möglich, daß die Minister des - linken Centrums in Anbetracht dieser Um¬
stände sich von Ollivier bestimmen lassen, die Wahlreform bis an das Ende
der Session zu verschieben, um die Auflösung erst im nächsten Jahre eintreten
zu lassen (auch Thiers soll hierfür sein), um so Zeit zu gewinnen, eine feste
Stellung zu erhalten. Aber es läßt sich nicht verkennen, daß diese Politik
Schwierigkeiten anderer Art hervorruft; die Linke wird nicht müde, zu wieder¬
holen, daß das Ministerium keinen Anspruch auf das Vertrauen des Landes
habe, so lange es sich nicht auf die Majorität eines frei gewählten Parla¬
ments stützen könne, die Rechte ist an sich der neuen Aera ungünstig und die
Unterstützung des rechten Centrums hängt wesentlich von dem Einfluß des
Kaisers ab; das Ministerium wird also, wenn es nicht auflösen will, durch
die Macht der Dinge dahin gedrängt werden, sich mehr und mehr auf den
Kaiser zu lehnen, dessen Macht es doch grade brechen soll.

Dies führt aus den schwächsten Punkt des ganzen liberalen Baues.
Das senatus-Consultum hat thatsächlich an Machtbefugnissen dem vorxs
lösislaM nur freie Discussion und das Recht, seine Bureaus zu wählen, ge¬
geben, nicht aber die Competenz, die Verfassung abzuändern, welche vielmehr
ausschließlich in den Händen des Senats geblieben ist. dessen Mitglieder vom
Kaiser ernannt werden. Damit aber hat constitutionell dieser das Heft in
seiner Hand behalten. Er hat der Strömung gegen die persönliche Regie¬
rung nachgegeben, weil er sah, daß sie zu stark sei, um einfach zu wider-


Buffit, Segris und Talhouöt haben gegen jene Officiellen gestimmt und müssen
consequenterweise fordern, daß eine aus freien Wahlen hervorgehende Ver¬
sammlung an die Stelle der jetzigen trete. Freilich kann man nicht ver¬
kennen, daß, falls die Auflösung nach Abwickelung der nothwendigsten Geschäfte
ausgesprochen würde, die Neuwahlen unter den ungünstigsten Umständen
stattfinden würden. Das Ministerium hätte noch nicht Zeit gehabt, seine
Tüchtigkeit zu erproben und müßte doch seinen Einfluß auf die Wähler auf¬
geben, die Agitation der Linken und der Socialisten würde großartige Verhält¬
nisse annehmen und zum ersten. Male Spielraum haben, sich auf dem platten
Lande frei zu entwickeln. Es würde sich bei den Candidaturen wahrscheinlich
viel weniger um praktische Maßregeln als um allgemeine Programme
handeln, die schließlich auf die Frage Kaiserreich oder Republik herauslaufen
würden. Nun sagen zwar die Bonapartisten, sie fürchteten freie Wahlen
nicht, die Bauern, der Clerus und die Mehrheit in den kleinen Städten seien
dynastisch-conservativ gesinnt. Aber wenn dies, der Fall, warum haben denn
Billaud, Rouher und Forxade, die doch Frankreich auch kennen, so krampf¬
haft an den officiellen Candidaturen gehalten? Wir wissen, daß scharfe Be¬
obachter, welche nicht zu den Pessimisten gehören, der Ansicht sind, daß Neu¬
wahlen jetzt zu einer girondistischen Constituante führen würden. Es ist nun
möglich, daß die Minister des - linken Centrums in Anbetracht dieser Um¬
stände sich von Ollivier bestimmen lassen, die Wahlreform bis an das Ende
der Session zu verschieben, um die Auflösung erst im nächsten Jahre eintreten
zu lassen (auch Thiers soll hierfür sein), um so Zeit zu gewinnen, eine feste
Stellung zu erhalten. Aber es läßt sich nicht verkennen, daß diese Politik
Schwierigkeiten anderer Art hervorruft; die Linke wird nicht müde, zu wieder¬
holen, daß das Ministerium keinen Anspruch auf das Vertrauen des Landes
habe, so lange es sich nicht auf die Majorität eines frei gewählten Parla¬
ments stützen könne, die Rechte ist an sich der neuen Aera ungünstig und die
Unterstützung des rechten Centrums hängt wesentlich von dem Einfluß des
Kaisers ab; das Ministerium wird also, wenn es nicht auflösen will, durch
die Macht der Dinge dahin gedrängt werden, sich mehr und mehr auf den
Kaiser zu lehnen, dessen Macht es doch grade brechen soll.

Dies führt aus den schwächsten Punkt des ganzen liberalen Baues.
Das senatus-Consultum hat thatsächlich an Machtbefugnissen dem vorxs
lösislaM nur freie Discussion und das Recht, seine Bureaus zu wählen, ge¬
geben, nicht aber die Competenz, die Verfassung abzuändern, welche vielmehr
ausschließlich in den Händen des Senats geblieben ist. dessen Mitglieder vom
Kaiser ernannt werden. Damit aber hat constitutionell dieser das Heft in
seiner Hand behalten. Er hat der Strömung gegen die persönliche Regie¬
rung nachgegeben, weil er sah, daß sie zu stark sei, um einfach zu wider-


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[0133] Buffit, Segris und Talhouöt haben gegen jene Officiellen gestimmt und müssen consequenterweise fordern, daß eine aus freien Wahlen hervorgehende Ver¬ sammlung an die Stelle der jetzigen trete. Freilich kann man nicht ver¬ kennen, daß, falls die Auflösung nach Abwickelung der nothwendigsten Geschäfte ausgesprochen würde, die Neuwahlen unter den ungünstigsten Umständen stattfinden würden. Das Ministerium hätte noch nicht Zeit gehabt, seine Tüchtigkeit zu erproben und müßte doch seinen Einfluß auf die Wähler auf¬ geben, die Agitation der Linken und der Socialisten würde großartige Verhält¬ nisse annehmen und zum ersten. Male Spielraum haben, sich auf dem platten Lande frei zu entwickeln. Es würde sich bei den Candidaturen wahrscheinlich viel weniger um praktische Maßregeln als um allgemeine Programme handeln, die schließlich auf die Frage Kaiserreich oder Republik herauslaufen würden. Nun sagen zwar die Bonapartisten, sie fürchteten freie Wahlen nicht, die Bauern, der Clerus und die Mehrheit in den kleinen Städten seien dynastisch-conservativ gesinnt. Aber wenn dies, der Fall, warum haben denn Billaud, Rouher und Forxade, die doch Frankreich auch kennen, so krampf¬ haft an den officiellen Candidaturen gehalten? Wir wissen, daß scharfe Be¬ obachter, welche nicht zu den Pessimisten gehören, der Ansicht sind, daß Neu¬ wahlen jetzt zu einer girondistischen Constituante führen würden. Es ist nun möglich, daß die Minister des - linken Centrums in Anbetracht dieser Um¬ stände sich von Ollivier bestimmen lassen, die Wahlreform bis an das Ende der Session zu verschieben, um die Auflösung erst im nächsten Jahre eintreten zu lassen (auch Thiers soll hierfür sein), um so Zeit zu gewinnen, eine feste Stellung zu erhalten. Aber es läßt sich nicht verkennen, daß diese Politik Schwierigkeiten anderer Art hervorruft; die Linke wird nicht müde, zu wieder¬ holen, daß das Ministerium keinen Anspruch auf das Vertrauen des Landes habe, so lange es sich nicht auf die Majorität eines frei gewählten Parla¬ ments stützen könne, die Rechte ist an sich der neuen Aera ungünstig und die Unterstützung des rechten Centrums hängt wesentlich von dem Einfluß des Kaisers ab; das Ministerium wird also, wenn es nicht auflösen will, durch die Macht der Dinge dahin gedrängt werden, sich mehr und mehr auf den Kaiser zu lehnen, dessen Macht es doch grade brechen soll. Dies führt aus den schwächsten Punkt des ganzen liberalen Baues. Das senatus-Consultum hat thatsächlich an Machtbefugnissen dem vorxs lösislaM nur freie Discussion und das Recht, seine Bureaus zu wählen, ge¬ geben, nicht aber die Competenz, die Verfassung abzuändern, welche vielmehr ausschließlich in den Händen des Senats geblieben ist. dessen Mitglieder vom Kaiser ernannt werden. Damit aber hat constitutionell dieser das Heft in seiner Hand behalten. Er hat der Strömung gegen die persönliche Regie¬ rung nachgegeben, weil er sah, daß sie zu stark sei, um einfach zu wider-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/133>, abgerufen am 26.06.2024.