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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Daru, als den angesehensten Führer des linken Centrums, zu sich, um ihn
zu bewegen, seine Partei an dem Ministerium theilnehmen zu lassen. Derselbe
stellte seine Bedingungen, unrer Anderem den Rücktritt Magne's, und rief
als diese acceptirt waren, Büffet, Se'gris und Talhouöt ins Cabinet, wodurch
dasselbe ein ganz anderes Ansehen gewonnen. Man kann also sagen, daß
nicht Ollivier Daru gewählt hat, sondern daß Daru eigentlich das Cabinet
gebildet und Ollivier für das Portefeuille der Justiz acceptirt hat. Daß das
Ministerium, so wie es schließlich constituirt ist, so ziemlich das beste ist, wel¬
ches gegenwärtig gebildet werden konnte, räumen wir bereitwillig ein. aber
man darf die Geschichte seiner Entstehung nicht außer Auge lassen, denn sie
beweist, daß es nicht die homogene Verwaltung ist, die Ollivier dem Kaiser
schaffen sollte. Zwischen seinen Mitgliedern bestehen erhebliche Differenzen,
Graf Daru z. B. gilt für einen Zögling Thiers und ist, wie auch Büffet
und Se'gris, für ein gemäßigtes Schutzzollsystem. Ollivier hat sich, obwohl er
Pouyer-Quertier's Candidatur befürwortet, stets als principieller Freihändler
ausgesprochen: indeß über diese Frage mag man noch durch Einsetzung einer
parlamentarischen Enquete wegkommen. Schwieriger schon steht es mit der
Armeereduction; das Contingent kann unzweifelhaft möglichst herabgesetzt
werden, aber der Kaiser wird nicht seine Zustimmung geben, die kaum durch¬
geführte Armeereform, welche den großen Mehraufwand gebracht hat, rück¬
gängig zu machen, und was den Vorschlag einer allgemeinen Entwaffnung
betrifft, welche die Linke fordert, so weiß der General Leboeuf sehr wohl, daß
Preußen hierauf nicht eingehen kann, aus dem einfachen Grunde, weil die
Friedensstärke seiner Armee sich bereits auf dem niedrigsten Stande befindet,
der mit ihrer Organisatian verträglich ist; man lese nur den vortrefflichen
Aufsatz Rougemont's: I/g,rince I^russienns on 1870 in der neuesten Ksvus
clef clsux Nouctes. Ein Ansinnen auf Entwaffnung, das in Berlin gestellt
würde, könnte also nur zu unangenehmen Erörterungen führen, nicht zu prak¬
tischen Resultaten.

Aber der eigentliche Stein des Anstoßes bleibt die Wahlreform, die Ab¬
schaffung der officiellen Candidaturen und die gesetzliche Feststellung der
Wahlbezirke, der dann die Auflösung der jetzigen Versammlung folgen müßte.
Für diese Reform hat sich im Sommer Alles im Oorxs l^iÄatik ausge¬
sprochen, was noch entfernt auf Unabhängigkeit Anspruch machte, ja selbst
die Rechte erklärte, sie fürchte freie Wahlen nicht, die große Mehrheit
des Landes sei bonapartistisch und conservativ. -- was sie freilich nicht hin¬
derte, alle faulen Resultate der officiellen Candidaturen zu bestätigen.
Wenn sich nun Ollivier im Widerspruch mit seiner Vergangenheit ihr
darin anschloß, so kann das doch nur den Sinn haben, daß er wohl
die Wahlreform will, aber nicht die sofortige Auslösung. Daru dagegen


Daru, als den angesehensten Führer des linken Centrums, zu sich, um ihn
zu bewegen, seine Partei an dem Ministerium theilnehmen zu lassen. Derselbe
stellte seine Bedingungen, unrer Anderem den Rücktritt Magne's, und rief
als diese acceptirt waren, Büffet, Se'gris und Talhouöt ins Cabinet, wodurch
dasselbe ein ganz anderes Ansehen gewonnen. Man kann also sagen, daß
nicht Ollivier Daru gewählt hat, sondern daß Daru eigentlich das Cabinet
gebildet und Ollivier für das Portefeuille der Justiz acceptirt hat. Daß das
Ministerium, so wie es schließlich constituirt ist, so ziemlich das beste ist, wel¬
ches gegenwärtig gebildet werden konnte, räumen wir bereitwillig ein. aber
man darf die Geschichte seiner Entstehung nicht außer Auge lassen, denn sie
beweist, daß es nicht die homogene Verwaltung ist, die Ollivier dem Kaiser
schaffen sollte. Zwischen seinen Mitgliedern bestehen erhebliche Differenzen,
Graf Daru z. B. gilt für einen Zögling Thiers und ist, wie auch Büffet
und Se'gris, für ein gemäßigtes Schutzzollsystem. Ollivier hat sich, obwohl er
Pouyer-Quertier's Candidatur befürwortet, stets als principieller Freihändler
ausgesprochen: indeß über diese Frage mag man noch durch Einsetzung einer
parlamentarischen Enquete wegkommen. Schwieriger schon steht es mit der
Armeereduction; das Contingent kann unzweifelhaft möglichst herabgesetzt
werden, aber der Kaiser wird nicht seine Zustimmung geben, die kaum durch¬
geführte Armeereform, welche den großen Mehraufwand gebracht hat, rück¬
gängig zu machen, und was den Vorschlag einer allgemeinen Entwaffnung
betrifft, welche die Linke fordert, so weiß der General Leboeuf sehr wohl, daß
Preußen hierauf nicht eingehen kann, aus dem einfachen Grunde, weil die
Friedensstärke seiner Armee sich bereits auf dem niedrigsten Stande befindet,
der mit ihrer Organisatian verträglich ist; man lese nur den vortrefflichen
Aufsatz Rougemont's: I/g,rince I^russienns on 1870 in der neuesten Ksvus
clef clsux Nouctes. Ein Ansinnen auf Entwaffnung, das in Berlin gestellt
würde, könnte also nur zu unangenehmen Erörterungen führen, nicht zu prak¬
tischen Resultaten.

Aber der eigentliche Stein des Anstoßes bleibt die Wahlreform, die Ab¬
schaffung der officiellen Candidaturen und die gesetzliche Feststellung der
Wahlbezirke, der dann die Auflösung der jetzigen Versammlung folgen müßte.
Für diese Reform hat sich im Sommer Alles im Oorxs l^iÄatik ausge¬
sprochen, was noch entfernt auf Unabhängigkeit Anspruch machte, ja selbst
die Rechte erklärte, sie fürchte freie Wahlen nicht, die große Mehrheit
des Landes sei bonapartistisch und conservativ. — was sie freilich nicht hin¬
derte, alle faulen Resultate der officiellen Candidaturen zu bestätigen.
Wenn sich nun Ollivier im Widerspruch mit seiner Vergangenheit ihr
darin anschloß, so kann das doch nur den Sinn haben, daß er wohl
die Wahlreform will, aber nicht die sofortige Auslösung. Daru dagegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/132>, abgerufen am 26.06.2024.