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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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in der sich Kraft und Schönheit zu seltener Vollkommenheit vereinigen.
Die prächtige Capelle gegenüber, deren Wände in schwarzem Marmor auf¬
geführt und allenthalben mit Reliefs und Inschriften bedeckt sind, trägt ein
schwervergoldetes Kupferdach, das die Grabdenkmäler Sigismund Jagello's und
Sigismund August's, des letzten Jagellonen schirmt. Wenige Schritte weiter liegt
die Königin Jadwiga (Hedwig) begraben, die Tochter Ludwig's des Großen
von Ungarn und Polen, die durch ihre Heirath mit Jagello (Wladislaw II.)
die Union Polens mit Litthauen und Weißrußland und die Polonisirung
dieser Länder herbeiführte, die seitdem der Schauplatz endloser Kriege zwi¬
schen Polen und Moskowitern wurden; die Reaction gegen das damals be¬
gonnene Werk ist noch heute der leitende Gedanke der russischen innern Po¬
litik, aber der Bund, den die polnische Königstochter mit dem Enkel Gedi-
min's schloß ist zugleich ein Bund zweier Völker gewesen und weder die ver¬
schlagenen Bemühungen Catharina's II., noch die Hochgerichte der Murawjew
und Kaufmann haben ihn aufzulösen vermocht.

Die Capellen links vom Portal, gleichfalls mit Denkmälern und Schnitz¬
werk reich verziert und meist zu Ehren verdienter Kirchenfürsten gestiftet, bieten
weniger Interesse; die Namen, welche der Cicerone, ein feister Kirchendiener
mit harten Zügen, nennt, haben sich in der politischen Geschichte des Landes
keinen Platz erobert und die hier aufgestellten Kunstwerke können denen der
Potocki- und der Siegismundeapelle nicht verglichen werden. Enthält doch
allein die dem Standbild des Grafen Wladimir gegenüberliegende Potockische
Capelle drei herrliche Schöpfungen von Thorwaldsen's kunstreicher Hand:
einen segnenden Christus und die Büsten des Grafen Arthur und seiner
Mutter.

Wir kehren in das Hauptschiff der Kirche zurück. Der eelebrirende Prie-
ster und seine Assistenten haben den mit rothem Sammt ausgeschlagenen
Altarchor verlassen, auf welchem einst die Könige Polens, Litthauens, Weiß-
und Nothrußlands gesalbt und gekrönt wurden. Noch steht der Thronsitz
da, dessen Stufen zuletzt von August III. von Sachsen beschritten worden, wäh¬
rend die übrigen, den höchsten Kronbeamten bestimmten Sitze von Gegnern
besetzt waren, ein Vorspiel der traurigen Regierung des letzten Polenkönigs aus
wettinischem Hause. Nur bei feierlichen Gelegenheiten war die Benutzung dieses
Theils der Kirche durch die königliche Familie üblich, ihre tägliche Messe
pflegte dieselbe in der Capelle hinter dem Hochaltar anzuhören, die früher mit
dem Schloß durch einen besonderen Eingang verbunden war. Der gegen¬
wärtigen Eingangsthür gegenüber, an der Rückseite des Hochaltars befindet sich
das Denkmal Johann Sobieski's und seiner Gemahlin. Klug und freundlich
blickt die marmorne Reliefbüste des tapfern Fürsten zur Seite die Königin,
drein; Pelz und Harnisch bezeichnen den Kriegsmann des 17. Jahrhunderts, der


in der sich Kraft und Schönheit zu seltener Vollkommenheit vereinigen.
Die prächtige Capelle gegenüber, deren Wände in schwarzem Marmor auf¬
geführt und allenthalben mit Reliefs und Inschriften bedeckt sind, trägt ein
schwervergoldetes Kupferdach, das die Grabdenkmäler Sigismund Jagello's und
Sigismund August's, des letzten Jagellonen schirmt. Wenige Schritte weiter liegt
die Königin Jadwiga (Hedwig) begraben, die Tochter Ludwig's des Großen
von Ungarn und Polen, die durch ihre Heirath mit Jagello (Wladislaw II.)
die Union Polens mit Litthauen und Weißrußland und die Polonisirung
dieser Länder herbeiführte, die seitdem der Schauplatz endloser Kriege zwi¬
schen Polen und Moskowitern wurden; die Reaction gegen das damals be¬
gonnene Werk ist noch heute der leitende Gedanke der russischen innern Po¬
litik, aber der Bund, den die polnische Königstochter mit dem Enkel Gedi-
min's schloß ist zugleich ein Bund zweier Völker gewesen und weder die ver¬
schlagenen Bemühungen Catharina's II., noch die Hochgerichte der Murawjew
und Kaufmann haben ihn aufzulösen vermocht.

Die Capellen links vom Portal, gleichfalls mit Denkmälern und Schnitz¬
werk reich verziert und meist zu Ehren verdienter Kirchenfürsten gestiftet, bieten
weniger Interesse; die Namen, welche der Cicerone, ein feister Kirchendiener
mit harten Zügen, nennt, haben sich in der politischen Geschichte des Landes
keinen Platz erobert und die hier aufgestellten Kunstwerke können denen der
Potocki- und der Siegismundeapelle nicht verglichen werden. Enthält doch
allein die dem Standbild des Grafen Wladimir gegenüberliegende Potockische
Capelle drei herrliche Schöpfungen von Thorwaldsen's kunstreicher Hand:
einen segnenden Christus und die Büsten des Grafen Arthur und seiner
Mutter.

Wir kehren in das Hauptschiff der Kirche zurück. Der eelebrirende Prie-
ster und seine Assistenten haben den mit rothem Sammt ausgeschlagenen
Altarchor verlassen, auf welchem einst die Könige Polens, Litthauens, Weiß-
und Nothrußlands gesalbt und gekrönt wurden. Noch steht der Thronsitz
da, dessen Stufen zuletzt von August III. von Sachsen beschritten worden, wäh¬
rend die übrigen, den höchsten Kronbeamten bestimmten Sitze von Gegnern
besetzt waren, ein Vorspiel der traurigen Regierung des letzten Polenkönigs aus
wettinischem Hause. Nur bei feierlichen Gelegenheiten war die Benutzung dieses
Theils der Kirche durch die königliche Familie üblich, ihre tägliche Messe
pflegte dieselbe in der Capelle hinter dem Hochaltar anzuhören, die früher mit
dem Schloß durch einen besonderen Eingang verbunden war. Der gegen¬
wärtigen Eingangsthür gegenüber, an der Rückseite des Hochaltars befindet sich
das Denkmal Johann Sobieski's und seiner Gemahlin. Klug und freundlich
blickt die marmorne Reliefbüste des tapfern Fürsten zur Seite die Königin,
drein; Pelz und Harnisch bezeichnen den Kriegsmann des 17. Jahrhunderts, der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/120>, abgerufen am 26.06.2024.