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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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besetzten Beichtstühle drängen, knieen die Meisten in stillem Gebet vor den
einzelnen Altären und den achtzehn Capellen, welche in reichem Kranz das
Schiff der Kirche umgeben; an den schlanken himmelanstrebenden Säulen
prangen allenthalben weiße Tafeln, lateinische Ankündigungen des Concils
enthaltend, das sich in den nächsten Tagen versammeln soll und von dem
die polnischen Gläubigen erwarten, daß es Zeugniß ablegen werde für den
Glauben der Kirche an die Unsterblichkeit der polnischen Sache.

Es vergeht fast eine Stunde, ehe der Sokristan, zu dessen Privilegien
die Orientirung fremder Besucher gehört, das Zeichen zum Eintritt in die
Schatzkammer gibt, aber das Auge wird nicht müde, all' die Schätze zu be¬
wundern, welche mit verschwenderischer Pracht im Dom ausgestreut sind. Kein
Altar, kein Pfeiler, kaum ein Fußbreit steinernen Getäfels, der nicht mit Denk¬
mälern der Vergangenheit, Sarkophagen, Statuen, Fresken oder Inschriften
geschmückt wäre. Hier schläft ein in rothem Marmor ausgehauener König
den ewigen Schlaf, dort blickt das Reliefbild eines Bischofs oder Castellans ernst¬
haft hinab, -- links verkündet eine Inschrift, daß sie zum Gedächtniß eines
verdienten Kriegers errichtet worden sei, rechts segnend ein marmornes
Marienbild den Schläfer, der zu seinen Füßen ruht Alles -- was das Land
an großen Erinnerungen aufzuweisen hat, ist in diesen engen Raum ver¬
einigt und macht sich die Ehre streitig, an der Seite der Könige und Hel¬
den seines Volks zu ruhen. Neben Sculpturen von blos historischem Interesse
und solchen die die Signatur der Jesuitenzeit zeigen, finden sich Kunstwerke
vom höchsten Rang, überall ist das Bild aber nur Zeichen eines bedeutsamen
geschichtlichen Moments. Die Grabmäler Kasimir's Jagello's und das riesige
Denkmal Kasimir's des Großen, beide rechts vom Portal rühren aus der
Werkstatt Veit Stoß's her. In übermenschlicher Größe ruht der städte¬
begründende König aus mächtigem Sarkophag von rothem Marmor, die
Krone auf dem Haupt, das ruhige, ernste Gesicht von lockigem Bart um-
flossen. Seine im vorigen Jahre aufgefundenen Gebeine sind gleichfalls in
dieser Kirche beigesetzt und haben zu einer großen Demonstration in allen
ehemals polnischen Ländern Veranlassung gegeben; selbst unter den Juden,
für die es keine andere Geschichte gibt, als die der verlorenen Heimath am
Jordan, lebt das Gedächtniß des bürgerfreundlichen Königs noch heute! --
Nur wenige Schritte von dem Denkmal des großen Kasimir entfernt, erhebt
sich auf kunstreichem Postament ein weißes Marmorstandbild, das eine herr¬
liche Jünglingsgestalt in antikem Kriegerschmuck zeigt und vielleicht der größte
künstlerische Schmuck des Doms vielleicht Thorwaldsen's vollendetstes Werk
ist; der junge Held, der einem Gott ähnlicher sieht als einem Menschen, ist der
Graf Wladimir Potocki, der im Jahre 1812 den Fahnen Napoleons gefolgt
war und vor Moskau ein frühes Ende fand, -- eine unendlich rührende Gestalt,


Menzboten I, 1870. 15

besetzten Beichtstühle drängen, knieen die Meisten in stillem Gebet vor den
einzelnen Altären und den achtzehn Capellen, welche in reichem Kranz das
Schiff der Kirche umgeben; an den schlanken himmelanstrebenden Säulen
prangen allenthalben weiße Tafeln, lateinische Ankündigungen des Concils
enthaltend, das sich in den nächsten Tagen versammeln soll und von dem
die polnischen Gläubigen erwarten, daß es Zeugniß ablegen werde für den
Glauben der Kirche an die Unsterblichkeit der polnischen Sache.

Es vergeht fast eine Stunde, ehe der Sokristan, zu dessen Privilegien
die Orientirung fremder Besucher gehört, das Zeichen zum Eintritt in die
Schatzkammer gibt, aber das Auge wird nicht müde, all' die Schätze zu be¬
wundern, welche mit verschwenderischer Pracht im Dom ausgestreut sind. Kein
Altar, kein Pfeiler, kaum ein Fußbreit steinernen Getäfels, der nicht mit Denk¬
mälern der Vergangenheit, Sarkophagen, Statuen, Fresken oder Inschriften
geschmückt wäre. Hier schläft ein in rothem Marmor ausgehauener König
den ewigen Schlaf, dort blickt das Reliefbild eines Bischofs oder Castellans ernst¬
haft hinab, — links verkündet eine Inschrift, daß sie zum Gedächtniß eines
verdienten Kriegers errichtet worden sei, rechts segnend ein marmornes
Marienbild den Schläfer, der zu seinen Füßen ruht Alles — was das Land
an großen Erinnerungen aufzuweisen hat, ist in diesen engen Raum ver¬
einigt und macht sich die Ehre streitig, an der Seite der Könige und Hel¬
den seines Volks zu ruhen. Neben Sculpturen von blos historischem Interesse
und solchen die die Signatur der Jesuitenzeit zeigen, finden sich Kunstwerke
vom höchsten Rang, überall ist das Bild aber nur Zeichen eines bedeutsamen
geschichtlichen Moments. Die Grabmäler Kasimir's Jagello's und das riesige
Denkmal Kasimir's des Großen, beide rechts vom Portal rühren aus der
Werkstatt Veit Stoß's her. In übermenschlicher Größe ruht der städte¬
begründende König aus mächtigem Sarkophag von rothem Marmor, die
Krone auf dem Haupt, das ruhige, ernste Gesicht von lockigem Bart um-
flossen. Seine im vorigen Jahre aufgefundenen Gebeine sind gleichfalls in
dieser Kirche beigesetzt und haben zu einer großen Demonstration in allen
ehemals polnischen Ländern Veranlassung gegeben; selbst unter den Juden,
für die es keine andere Geschichte gibt, als die der verlorenen Heimath am
Jordan, lebt das Gedächtniß des bürgerfreundlichen Königs noch heute! —
Nur wenige Schritte von dem Denkmal des großen Kasimir entfernt, erhebt
sich auf kunstreichem Postament ein weißes Marmorstandbild, das eine herr¬
liche Jünglingsgestalt in antikem Kriegerschmuck zeigt und vielleicht der größte
künstlerische Schmuck des Doms vielleicht Thorwaldsen's vollendetstes Werk
ist; der junge Held, der einem Gott ähnlicher sieht als einem Menschen, ist der
Graf Wladimir Potocki, der im Jahre 1812 den Fahnen Napoleons gefolgt
war und vor Moskau ein frühes Ende fand, — eine unendlich rührende Gestalt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/119>, abgerufen am 26.06.2024.