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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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zwischen den Traditionen des Ritterthums und der modernen Taktik stand.
Unter der Büste hängt ein mächtiger, reichgeschmückter Schild aus weißem
Marmor, dessen goldene Inschrift den Befreier Wiens und den nationalen
Helden feiert. -- Durch die gegenüberliegende Thür treten wir in die Königs-
capelle, die ganz aus schwarzem Marmor gearbeitet ist; selbst die Kirchen¬
stühle sind aus diesem kalten Stein, nur der Thron des Königs ist aus
rothem Stein gefertigt, desgleichen das einzige Denkmal, das sich in dieser
Capelle befindet, der Sarkophag Stephan Bathory's, des klugen Ungarfürsten,
der durch seinen Bund mit den Jesuiten alle katholischen Interessen in den Dienst
Polens zu ziehen gedachte, aber durch Intoleranz gegen die Evangelischen den
Verlust der erst vor wenigen Jahren errungenen Provinz Livland verschuldete.
-- Hier war die geheimste und wichtigste Werkstatt der katholischen Reaction
des 16. und 17. Jahrhunderts, welche vornehmlich durch die jesuitischen
Beichtväter und Hauscaplane der Könige betrieben wurde und zu den Dissi¬
dentenhändeln, später zu verhängnißvollen Interventionen der glaubensver¬
wandten Nachbarn führte. Von dieser Kanzel herab wurden die Könige
und Fürsten immer wieder aufgestachelt, die ketzerischen Greuel, welche
des ersten Sigismund weise Toleranz geduldet hatte, von der polnischen
Erde zu verscheuchen, die griechischen und protestantischen Nachbarn auf Tod
und Leben herauszufordern. Hier wurde Sigismund III. zu dem wahn¬
sinnigen Unterfangen geweiht, seine protestantische Heimath jenseit des Meeres
zum Gehorsam gegen die alleinseeligmachende Kirche zurückzuführen. Diese
Capelle ist endlich die Zeugin eines der denkwürdigsten und folgenreichsten
Abschnitte der neueren polnisch-russischen Geschichte gewesen i hier kniete, um¬
geben von geflüchteten Moskaner Magnaten jener räthselhafte Abenteurer, der
in der Geschichte als falscher Demetrius bekannt ist, an der Seite der schönen
Marina Mniczek um von Sigismund, dem Sohn des Schwedenkönigs Johann
und der Carharina Jagello, Unterstützung seines Zuges nach Moskau zu
erflehen: hier wurde der Grund zu dem Vernichtungskampf gelegt, in welchem
Polens Kraft verblutete. Unwillkürlich steigt die Gestalt des wunderbaren
Mannes vor uns auf, den Merime"s Meisterhand so lebensvoll geschildert
hat, des Betrügers, der zugleich tadelloser Ritter, humaner und feinge¬
bildeter Regent war, von häßlichem Angesicht und blos mittlerer Größe, aber
so bezaubernd durch Geist und Liebenswürdigkeit, daß die stolzen Puschkin
und Kurbsky ihm zu Liebe das Knie vor dem feindlichen Polensürsten beug¬
ten und im Bunde mit dem Kosacken-Hetman "Krieg gegen Moskau, --
Krieg gegen den Godunow" riefen. Hier empfing die gleißende Marina,
die Tochter des Woyewoden von Sandomir, den Schwur, dessen Erfüllung
Demetrius zugleich das Glück des Lebens und den tapfer erkämpften
Zaarenthron kostete; hier soll Pater Tschernikowsky dem Prätendenten


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zwischen den Traditionen des Ritterthums und der modernen Taktik stand.
Unter der Büste hängt ein mächtiger, reichgeschmückter Schild aus weißem
Marmor, dessen goldene Inschrift den Befreier Wiens und den nationalen
Helden feiert. — Durch die gegenüberliegende Thür treten wir in die Königs-
capelle, die ganz aus schwarzem Marmor gearbeitet ist; selbst die Kirchen¬
stühle sind aus diesem kalten Stein, nur der Thron des Königs ist aus
rothem Stein gefertigt, desgleichen das einzige Denkmal, das sich in dieser
Capelle befindet, der Sarkophag Stephan Bathory's, des klugen Ungarfürsten,
der durch seinen Bund mit den Jesuiten alle katholischen Interessen in den Dienst
Polens zu ziehen gedachte, aber durch Intoleranz gegen die Evangelischen den
Verlust der erst vor wenigen Jahren errungenen Provinz Livland verschuldete.
— Hier war die geheimste und wichtigste Werkstatt der katholischen Reaction
des 16. und 17. Jahrhunderts, welche vornehmlich durch die jesuitischen
Beichtväter und Hauscaplane der Könige betrieben wurde und zu den Dissi¬
dentenhändeln, später zu verhängnißvollen Interventionen der glaubensver¬
wandten Nachbarn führte. Von dieser Kanzel herab wurden die Könige
und Fürsten immer wieder aufgestachelt, die ketzerischen Greuel, welche
des ersten Sigismund weise Toleranz geduldet hatte, von der polnischen
Erde zu verscheuchen, die griechischen und protestantischen Nachbarn auf Tod
und Leben herauszufordern. Hier wurde Sigismund III. zu dem wahn¬
sinnigen Unterfangen geweiht, seine protestantische Heimath jenseit des Meeres
zum Gehorsam gegen die alleinseeligmachende Kirche zurückzuführen. Diese
Capelle ist endlich die Zeugin eines der denkwürdigsten und folgenreichsten
Abschnitte der neueren polnisch-russischen Geschichte gewesen i hier kniete, um¬
geben von geflüchteten Moskaner Magnaten jener räthselhafte Abenteurer, der
in der Geschichte als falscher Demetrius bekannt ist, an der Seite der schönen
Marina Mniczek um von Sigismund, dem Sohn des Schwedenkönigs Johann
und der Carharina Jagello, Unterstützung seines Zuges nach Moskau zu
erflehen: hier wurde der Grund zu dem Vernichtungskampf gelegt, in welchem
Polens Kraft verblutete. Unwillkürlich steigt die Gestalt des wunderbaren
Mannes vor uns auf, den Merime"s Meisterhand so lebensvoll geschildert
hat, des Betrügers, der zugleich tadelloser Ritter, humaner und feinge¬
bildeter Regent war, von häßlichem Angesicht und blos mittlerer Größe, aber
so bezaubernd durch Geist und Liebenswürdigkeit, daß die stolzen Puschkin
und Kurbsky ihm zu Liebe das Knie vor dem feindlichen Polensürsten beug¬
ten und im Bunde mit dem Kosacken-Hetman „Krieg gegen Moskau, —
Krieg gegen den Godunow" riefen. Hier empfing die gleißende Marina,
die Tochter des Woyewoden von Sandomir, den Schwur, dessen Erfüllung
Demetrius zugleich das Glück des Lebens und den tapfer erkämpften
Zaarenthron kostete; hier soll Pater Tschernikowsky dem Prätendenten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/121>, abgerufen am 26.06.2024.