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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Langsam ging ich die mäßige Höhe des Wawelberges, zwischen thurm¬
hohen Mauern hinauf, glücklicher als die Mongolen, Schweden und Russen,
die jeden Schritt auf dieser Bahn mit taufenden von blutigen Köpfen hatten
bezahlen müssen. An dem Thor wandte ich mich um: und wohin der Blick
sich richtete, blieb er gefesselt haften. Südlich erheben sich jenseit des
breiten Silberbandes der Weichsel die Thürme der Kasimirz-Vorstadt, um
finster zu der Burg hinauf zu sehen, die lang genug ihr Schutz und Stolz
gewesen ist und heute ebenso ohnmächtig daliegt wie das Reich, dessen Herz
einst siegesfroh gegen diese Mauern schlug -- weit hinter den Zinnen der
Dreisaltigkeits- und der Frohnleichnamskirche, des Pauliner- und des Augu¬
stinerklosters erhebt sich die blaue Karpathenkette, die natürliche Grenze slavi¬
schen und magyarischen Volksthums. Westlich liegen die Vorstädte von Smo-
lensko -- nördlich und nordöstlich dehnt sich die prächtige, thurm- und Pallast¬
reiche Stadt hin, aus deren ernsten, noblen Zügen sich eine große wechsel¬
volle Vergangenheit herauslesen läßt. In dem leichten Nebel der über dem
dunkeln Bilde liegt, erscheinen die zahllosen Thürme, die unter uns liegen,
und vom Ring, von der Grodzkastraße, von Piesak und Kleparz hinübersehen,
Wie stumme Riesen, die vor Schmerz über die Schmach, der sie zusehen mu߬
ten, zu Stein erstarrt sind. Hier hat die Sonne, für die nur das Lebendige
lebt und die immer nur der Gegenwart Recht gibt. Nichts zu suchen und
die Strahlen, welche hie und da durch den Wolkenschleier brechen und spöt¬
tisch über die goldene Krone am Thurm der Marienkirche hin glänzen, ver>
schwinden rasch wie sie gekommen sind, um dem düstern Ernst des Gemäldes
sein trauriges Recht nicht zu verkümmern.

Aber die Schaar der blassen, schwarzgekleideten Männer und Frauen,
welche den Berg hinabzieht und immer dichter zu werden scheint, mahnt zum
Besuch des Doms, der nach dem Schluß der Messe nicht mehr besichtigt werden
kann. Rechts vom Eingang in die alte Piastenburg erhebt sich der in gothischem
Stil gebaute Dom des heiligen Stanislaw, aus dessen metallenen Dach ein
verwitterter Thurm, der zu dem Ganzen nicht recht passen will, herauswächst.
Dem^öden weiten Schloßhof können wir nur einen flüchtigen Blick widmen,
selbst die Inschriften, welche an Portal und Rückseite des Doms angebracht
sind, bleiben ungelesen. Ein greiser Bettler mit langem weißem Schnurr¬
bart öffnet mit der Rechten die stolze Thür, die in das nationale Heiligthum
führt, während die Linke verstohlen eine Gabe in Empfang nimmt. Zögernd
treten wir ein und es dauert lange ehe wir uns in dem ehrwürdigen Dunkel
orientiren können, in welches das Tageslicht nur verstohlen hineinfällt.

An Reinheit des Stils, Größe und Ebenmaß der Proportionen kann
der Krakauer Stanislaus-Dom weder den rheinischen Kirchen noch der
Aotrti-äamL Ah I'aris verglichen werden. Die zahllosen Monumente und


Langsam ging ich die mäßige Höhe des Wawelberges, zwischen thurm¬
hohen Mauern hinauf, glücklicher als die Mongolen, Schweden und Russen,
die jeden Schritt auf dieser Bahn mit taufenden von blutigen Köpfen hatten
bezahlen müssen. An dem Thor wandte ich mich um: und wohin der Blick
sich richtete, blieb er gefesselt haften. Südlich erheben sich jenseit des
breiten Silberbandes der Weichsel die Thürme der Kasimirz-Vorstadt, um
finster zu der Burg hinauf zu sehen, die lang genug ihr Schutz und Stolz
gewesen ist und heute ebenso ohnmächtig daliegt wie das Reich, dessen Herz
einst siegesfroh gegen diese Mauern schlug — weit hinter den Zinnen der
Dreisaltigkeits- und der Frohnleichnamskirche, des Pauliner- und des Augu¬
stinerklosters erhebt sich die blaue Karpathenkette, die natürliche Grenze slavi¬
schen und magyarischen Volksthums. Westlich liegen die Vorstädte von Smo-
lensko — nördlich und nordöstlich dehnt sich die prächtige, thurm- und Pallast¬
reiche Stadt hin, aus deren ernsten, noblen Zügen sich eine große wechsel¬
volle Vergangenheit herauslesen läßt. In dem leichten Nebel der über dem
dunkeln Bilde liegt, erscheinen die zahllosen Thürme, die unter uns liegen,
und vom Ring, von der Grodzkastraße, von Piesak und Kleparz hinübersehen,
Wie stumme Riesen, die vor Schmerz über die Schmach, der sie zusehen mu߬
ten, zu Stein erstarrt sind. Hier hat die Sonne, für die nur das Lebendige
lebt und die immer nur der Gegenwart Recht gibt. Nichts zu suchen und
die Strahlen, welche hie und da durch den Wolkenschleier brechen und spöt¬
tisch über die goldene Krone am Thurm der Marienkirche hin glänzen, ver>
schwinden rasch wie sie gekommen sind, um dem düstern Ernst des Gemäldes
sein trauriges Recht nicht zu verkümmern.

Aber die Schaar der blassen, schwarzgekleideten Männer und Frauen,
welche den Berg hinabzieht und immer dichter zu werden scheint, mahnt zum
Besuch des Doms, der nach dem Schluß der Messe nicht mehr besichtigt werden
kann. Rechts vom Eingang in die alte Piastenburg erhebt sich der in gothischem
Stil gebaute Dom des heiligen Stanislaw, aus dessen metallenen Dach ein
verwitterter Thurm, der zu dem Ganzen nicht recht passen will, herauswächst.
Dem^öden weiten Schloßhof können wir nur einen flüchtigen Blick widmen,
selbst die Inschriften, welche an Portal und Rückseite des Doms angebracht
sind, bleiben ungelesen. Ein greiser Bettler mit langem weißem Schnurr¬
bart öffnet mit der Rechten die stolze Thür, die in das nationale Heiligthum
führt, während die Linke verstohlen eine Gabe in Empfang nimmt. Zögernd
treten wir ein und es dauert lange ehe wir uns in dem ehrwürdigen Dunkel
orientiren können, in welches das Tageslicht nur verstohlen hineinfällt.

An Reinheit des Stils, Größe und Ebenmaß der Proportionen kann
der Krakauer Stanislaus-Dom weder den rheinischen Kirchen noch der
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[0117] Langsam ging ich die mäßige Höhe des Wawelberges, zwischen thurm¬ hohen Mauern hinauf, glücklicher als die Mongolen, Schweden und Russen, die jeden Schritt auf dieser Bahn mit taufenden von blutigen Köpfen hatten bezahlen müssen. An dem Thor wandte ich mich um: und wohin der Blick sich richtete, blieb er gefesselt haften. Südlich erheben sich jenseit des breiten Silberbandes der Weichsel die Thürme der Kasimirz-Vorstadt, um finster zu der Burg hinauf zu sehen, die lang genug ihr Schutz und Stolz gewesen ist und heute ebenso ohnmächtig daliegt wie das Reich, dessen Herz einst siegesfroh gegen diese Mauern schlug — weit hinter den Zinnen der Dreisaltigkeits- und der Frohnleichnamskirche, des Pauliner- und des Augu¬ stinerklosters erhebt sich die blaue Karpathenkette, die natürliche Grenze slavi¬ schen und magyarischen Volksthums. Westlich liegen die Vorstädte von Smo- lensko — nördlich und nordöstlich dehnt sich die prächtige, thurm- und Pallast¬ reiche Stadt hin, aus deren ernsten, noblen Zügen sich eine große wechsel¬ volle Vergangenheit herauslesen läßt. In dem leichten Nebel der über dem dunkeln Bilde liegt, erscheinen die zahllosen Thürme, die unter uns liegen, und vom Ring, von der Grodzkastraße, von Piesak und Kleparz hinübersehen, Wie stumme Riesen, die vor Schmerz über die Schmach, der sie zusehen mu߬ ten, zu Stein erstarrt sind. Hier hat die Sonne, für die nur das Lebendige lebt und die immer nur der Gegenwart Recht gibt. Nichts zu suchen und die Strahlen, welche hie und da durch den Wolkenschleier brechen und spöt¬ tisch über die goldene Krone am Thurm der Marienkirche hin glänzen, ver> schwinden rasch wie sie gekommen sind, um dem düstern Ernst des Gemäldes sein trauriges Recht nicht zu verkümmern. Aber die Schaar der blassen, schwarzgekleideten Männer und Frauen, welche den Berg hinabzieht und immer dichter zu werden scheint, mahnt zum Besuch des Doms, der nach dem Schluß der Messe nicht mehr besichtigt werden kann. Rechts vom Eingang in die alte Piastenburg erhebt sich der in gothischem Stil gebaute Dom des heiligen Stanislaw, aus dessen metallenen Dach ein verwitterter Thurm, der zu dem Ganzen nicht recht passen will, herauswächst. Dem^öden weiten Schloßhof können wir nur einen flüchtigen Blick widmen, selbst die Inschriften, welche an Portal und Rückseite des Doms angebracht sind, bleiben ungelesen. Ein greiser Bettler mit langem weißem Schnurr¬ bart öffnet mit der Rechten die stolze Thür, die in das nationale Heiligthum führt, während die Linke verstohlen eine Gabe in Empfang nimmt. Zögernd treten wir ein und es dauert lange ehe wir uns in dem ehrwürdigen Dunkel orientiren können, in welches das Tageslicht nur verstohlen hineinfällt. An Reinheit des Stils, Größe und Ebenmaß der Proportionen kann der Krakauer Stanislaus-Dom weder den rheinischen Kirchen noch der Aotrti-äamL Ah I'aris verglichen werden. Die zahllosen Monumente und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/117>, abgerufen am 26.06.2024.